Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag ist nicht perfekt. Staaten wie die USA, Russland oder China unterwerfen sich seiner Gerichtsbarkeit nicht. Aber der ICC ist der einsame Leuchtturm auf der Welt, der korrupten und kriminellen Herrschern ihre Grenzen aufzeigen kann. Klarmachen, dass der Titel Präsident, Staatschef, Regierender nicht vor Strafverfolgung schützt, wie es fast immer in der Geschichte Brauch war.
Nachdem der Warlord, Verbrecher, Mörder und Schlächter Charles Taylor als erstes ehemaliges Staatsoberhaupt seit dem Zweiten Weltkrieg in Den Haag für seine Greueltaten in Liberia zu 50 Jahren Haft verurteilt wurde, bekommen andere Potentaten in Afrika Schiss. Kenyas Präsident Kenyatta, der sudanesische Blutsäufer al-Baschir, der ivorische Ex-Präsidenten Laurent Gbagbo sind ebenfalls wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen angeklagt.
Postkoloniale weisse Arroganz?
Wie immer bei Afrika melden sich schnell Stimmen, die beklagen, dass der ICC bislang nur gegen afrikanische Potentaten ermittelt. Dabei gebe es so viele weitere Verbrechen von Regierungschefs zu ahnden. Das ist einerseits richtig, andererseits ist Subsahara-Afrika nun mal das Höllenloch der Erde, wo hilflose Helfer Arm in Arm mit korrupten Potentaten dafür sorgen, dass dieser reiche halbe Kontinent nicht aus seinem Elend herauskommt.
Wohlmeinende behaupten, das liege in erster Linie an den Handelsschranken gegen afrikanische Produkte, die entwickelte Länder aufrichten, am Verkauf von Lebensmitteln und anderen Waren zu Dumpingpreisen in Afrika und natürlich an der brutalen Ausbeutung der Naturschätze durch internationale Multis.
Nur das erste Argument hält einer genaueren Betrachtung stand. Protektionismus, absurde Subventionen für die eigene Agrarindustrie in den USA, Europa und auch in der Schweiz widersprechen diametral allen Bekenntnissen zu einer angeblich freien Marktwirtschaft, zu offener Konkurrenz, allen Lippenbekenntnissen entsprechender Parteien, die aber gleichzeitig, um ihre Wählerklientel zu schützen, diese Absurditäten befürworten.
Wir helfen zu Tode
Wenn Nahrungsmittelüberschüsse zu Schleuderpreisen auf afrikanischen Märkten auftauchen und die lokalen Bauern ruinieren, wenn internationale Rohstoffkonzerne brutalen Raubbau an Naturschätzen betreiben und dafür ein Butterbrot zahlen, dann ist das nur möglich, weil es mit Einverständnis der korrupten Herrschercliquen in afrikanischen Staaten geschieht. Wobei Staat, bspw. in der Zentralafrikanischen Republik, im Kongo und nicht nur dort, ein Euphemismus ist. In Wirklichkeit ist Afrika übersät mit gescheiterten Staaten, wo Warlords, Stammesführer, Gangsterbanden, übelste Verbrecher herrschen.
Natürlich sind das auch Spätfolgen der willkürlichen kolonialistischen Grenzziehungen, wo ohne Rücksicht auf Geschichte, Traditionen, tribale Strukturen Staatsgebilde als Claims abgesteckt wurden. Aber fünfzig Jahre sind vergangen, seit die meisten afrikanischen Staaten die Unabhängigkeit eroberten oder bekamen. Mehr als 20 Jahre sind vergangen, seit auch Afrika im Kalten Krieg ein Kampfplatz um Einfluss zwischen dem Westen und dem kommunistischen Lager war. 1000 Milliarden Dollar Entwicklungshilfe später ist das Fazit: Subsahara-Afrika ist elender dran als vorher, nur dort nehmen Armut und Hunger dramatisch zu.
Kolonialismus kann heute, um nur zwei Beispiel zu nehmen, nicht mehr als Erklärung dafür herhalten, dass der ehemalige Befreiungskämpfer Mugabe in Simbabwe ein mit reichen Naturschätzen gesegnetes Land in ein Höllenloch verwandelte, aus dem früher Nahrungsmittelüberschüsse exportiert werden konnten und heute 1,5 Millionen Simbabwer von internationalen Organisationen vor dem Verhungern bewahrt werden müssen. Das kann nicht erklären, dass die Tochter des ehemaligen Befreiungskämpfers José Eduardo dos Santos in Angola die erste schwarzafrikanische Milliardärin ist, während die Bevölkerung verelendet, in einem Land, das nicht nur mit Erdölvorkommen überreich gesegnet ist.
In die Schranken weisen
Elend, Armut, Hunger, helfen. Nichts ist verständlicher, nichts humaner als dieser Reflex. Flüchtlinge, die dieser Misere entkommen wollen und im Mittelmeer elendiglich ersaufen. Eine Schande für das reiche Europa. Nichts ist verständlicher als diese Reaktion. Nichts scheint schwieriger zu sein als die bittere Einsicht: Das ist nicht Europas Schande. Das ist nur begrenzt Europas Schuld. Das ist die Schande Afrikas, die Schuld der dort herrschenden Verbrechercliquen. Deren Machtausübung man unterstützt, indem man versucht, ihnen die Verantwortung für durch sie verursachte Hungerkatastrophen, für all das Elend, für Vertreibung, Unterdrückung, Übelkeit erregende Verbrechen durch Hilfe abzunehmen.
Afrikaner müssen ihre Probleme in Afrika lösen. Konsequent zu Ende gedacht könnten wir ihnen mit einer Rekolonialisierung, mit militärischen Interventionen dabei zu helfen versuchen. Eine absurde Vorstellung. Wir können weiterhin mit Todeshilfe, denn nichts anderes ist Entwicklungshilfe, nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit oder wie das alles heisst, den Status quo aufrechterhalten. Eine wahrhaft menschenverachtende und zynische Vorstellung. Wir könnten, zu Ende gedacht, die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer beenden, indem wir mittelmeertaugliche Boote zur Verfügung stellen. Eine absurde Vorstellung. Dennoch beherrschen diese absurden Vorstellungen, weil sie nicht zu Ende gedacht werden, den Diskurs. Darin besteht unsere eigentliche Schuld.
Fussnote
Nebenbei: Wir pflegen bekanntlich eine sehr liberale Politik bezüglich Kommentaren. Es wäre aber begrüssenswert, wenn möglichst Wenige geschützt durch feige Anonymität unsachliche Verbalinjurien absondern.