Obschon der Westen sich mit Entwicklungshilfe in Afrika seit Jahrzehnten engagiert, findet er auf dem Kontinent wenig Gegenliebe. Vielmehr gelingt es China und zunehmend auch Russland, sich als Partner Afrikas zu etablieren.
Die westlichen Regierungen und die Medien in Europa tun sich schwer damit, den Afrika-Gipfel des russischen Regimes in St. Petersburg ernst zu nehmen. Was hat Russland denn Afrika in den letzten Jahrzehnten im Vergleich zum Westen schon geboten – und was hat es zu bieten, abgesehen von jenen eher symbolischen Geschenken in Form von Gratisgetreide, wie es Wladimir Putin jetzt, beim Treffen mit den afrikanischen Politikern, versprochen hat?
Die bisherige Bilanz: An Entwicklungshilfe leistete Russland praktisch nichts, während aus westlichen Ländern selbst nach der vorsichtigsten Schätzung seit 1960 mindestens 500 Milliarden Dollar geflossen sind. Dies ein erstes Argument. Und was den Handel betrifft: Das Volumen EU-Afrika erreicht pro Jahr rund 275 Milliarden, jenes China-Afrika 200 Milliarden, und für die USA und Indien werden 63 respektive 53 Milliarden errechnet – der Austausch zwischen Russland und ganz Afrika dagegen überstieg bis zum letzten Jahr nicht einmal 22,5 Milliarden.
Partner autoritärer Regime
Diese Zahlen lassen aber Wesentliches ausser Acht: Russland mag für die Bürgerinnen und Bürger in afrikanischen Ländern nur von geringer Bedeutung sein. Für die Regierenden, die mehrheitlich autoritären Regime, aber war und ist Putins Staat als Partner unschätzbar. Bis 2015 gab es 20 Militärabkommen Moskaus mit afrikanischen Regierungen, in den folgenden sieben Jahren aber kamen 20 weitere hinzu, macht total 40. Auch einen ersten militärischen Stützpunkt hat Russland nun auf dem Kontinent, in Port Sudan. Und woher beziehen afrikanische Staaten ihre Waffen? 44 Prozent kommen aus Russland.
Die Themen-Gemengelage ist jedoch noch um einiges komplexer. Spricht man mit den Menschen in verschiedenen afrikanischen Ländern (meine eigenen Erfahrungen vor Ort beziehen sich auf Südafrika, Simbabwe, Botswana, Tansania und die Republik Zentralafrika), so erhält man üblicherweise Antworten wie: Wunderbar, wie uns private Institutionen aus dem Westen beispielsweise bei Problemen mit Schulen oder im Gesundheitswesen helfen. Aber warum müssen dann anderseits Politikerinnen und Politiker, wenn sie zu uns reisen, jederzeit mit der Sanktionskeule drohen, wenn sie meinen, dieses oder jenes Problem im Bereich von Demokratie oder Menschenrechten erkannt zu haben? China – das wird immer gerne angefügt – stellt uns und unsere Politiker nie an den Pranger. Es will Geschäfte machen, aber diese Geschäfte, die sind ja meistens auch zu unserem Vorteil.
Wie oft sie zum Vorteil der Menschen in Afrika sind, bleibe dahingestellt – es ist ein hochkomplexes Thema. In einigen Ländern Afrikas, etwa in Sambia, gab es blutige Konflikte um die Hungerlöhne, die chinesische Unternehmen beispielsweise den Arbeitern in den Kupferminen zahlten. Umfragen – wohl verstanden: durchgeführt vom US-amerikanischen Pew-Institut – gelangten dennoch zum Ergebnis, dass mehr als 60 Prozent der Befragten in mehreren afrikanischen Ländern ein positives China-Bild haben.
Wie auch nur halbwegs repräsentative Ergebnisse von Umfragen zu Russland lauten würden, ist nicht bekannt, denn Russen respektive russische Unternehmen sind fast nirgendwo in afrikanischen Ländern sichtbar.
Also bleibt, um die Bedeutung Russlands abzuschätzen, nur der Blick in die politische Realität – und das Herauspicken von Beispielen.
Beispiel Südafrika
Als das Land 1994 die ersten freien Wahlen durchführte, als es Apartheid nicht mehr gab und als Nelson Mandela zur Lichtgestalt eines neuen Südafrika wurde, gab es im Westen nicht den Hauch eines Zweifels, dass das Land mit westlichen Idealen verbunden bleiben werde. Doch man verkannte weitherum, wie stark die neue Gegenwart von der alten Vergangenheit durchzogen war, konkret: wie viele Angehörige der nun einflussreich gewordenen politischen Klasse, alles Mitglieder des African National Congress, von ihren subjektiv positiven Erfahrungen mit der Sowjetunion in der Zeit des Widerstandskampfs gegen die Apartheid, vom Exil in Moskau, beeinflusst waren.
Russland stand und steht für viele als Garant nicht nur gegen die frühere Apartheid, sondern auch gegen den Geist des Kolonialismus und somit gegen das, was aus afrikanischer Perspektive oft als Arroganz des Westens gekennzeichnet wird.
Klassisches Beispiel: Jacob Zuma, Präsident Südafrikas von 2009 bis 2018, 1985 vorübergehend im Exil in der Sowjetunion, ist derzeit eben wieder in Moskau – angeblich in einem Spital wegen einer Operation, möglicherweise aber eher auf der Flucht vor der Justiz im eigenen Land, die ihn wegen Korruption (erneut) zur Rechenschaft ziehen will. Aber auch der jetzige Präsident, Cyril Ramaphosa, hat keine Berührungsängste mit Putins Regime. Ausgerechnet am ersten Jahrestag des von Russland gegen die Ukraine entfachten Kriegs liess er ein gemeinsames Militärmanöver mit russischen (und chinesischen) Einheiten in Küstennähe zu.
Beispiel Zentralafrika
Die Republik Zentralafrika bietet Nachhilfeunterricht auf anderer Ebene: Das eigentlich unermesslich reiche Land (Diamanten, Gold, weitere Bodenschätze) ist, schaut man sich die Realität an, bitterarm. Blickt man in Bangui, der Hauptstadt, auf den Ubangi-Fluss, präsentiert sich das Elend bereits exemplarisch: Männer und Frauen schieben mühsam voll beladene Schiffe gegen die Strömung, bis zur Hüfte im Wasser stehend. Weil das Geld für den Betrieb des Motors des Schiffs fehlt.
Oder: Fährt man hinaus aus Bangui, begegnet man ständig Schiebekarren, auf denen Brennholz transportiert wird. Es fehlt das Geld, um das Holz auf Transportwagen in die Stadt zu bringen. Die Karrenschieber kommen dann, wenn sie sich der Hauptstadt nähern, an einem allmählich verrottenden Prunkgebäude vorbei – das sei der Palast des früheren Diktators Bokassa, erfährt man. Wer sich für die Geschichte des Landes interessiert, stösst irgendwann einmal auf die so genannte Diamantenaffäre. Dabei geht es um Diamanten, die Bokassa dem damaligen französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing schenkte, was schliesslich zum Sturz Giscards führen sollte.
Als Bokassa (angeblicher Liebhaber von Menschenfleisch) entmachtet war, verbreitete sich international die Illusion, das Land könne nun allmählich zur Normalität finden. Das hat sich bis heute nicht bewahrheitet, im Gegenteil: Ein korruptes Regime folgte auf das nächste, immer gab es irgendwelche Rebellengruppen, welche den jeweils Herrschenden bedrohten – bis Faustin-Archange Touadéra, Ministerpräsident von 2008 bis 2013 und Präsident, also Alleinherrscher, seit 2016, auf die Idee kam, Russland als Garanten des Regimes zu engagieren.
Touadéra holte die Wagner-Truppen ins Land, deren Mannschaftsstärke geschätzt bis zu 10’000 Mann erreichte (heute sollen es noch 1’500 sein), und er gab Russland Vollmachten, die Goldressourcen Zentralafrikas auszubeuten. Das Land wurde zum wichtigsten Lieferanten von Gold für Russland – wichtig für den Kreml, weil Russland ja aufgrund westlicher Sanktionen von internationalen Finanzkanälen abgeschnitten und daher darauf angewiesen ist, grenzüberschreitende Transaktionen entweder im direkten Tauschhandel oder eben mit Gold abzuwickeln.
Beispiel Simbabwe
Seit Robert Mugabe (gestorben 2019) die rechtsstaatlichen Prinzipien ausgehebelt und die Minderheiten unterdrückt hat, ist Simbabwe Sanktionen durch westliche Länder unterworfen. Nachfolger Emmerson Mnangagwa versprach (und verspricht weiterhin), das Land zur Rechtsstaatlichkeit zurückzuführen. Die Resultate sind, das kann man vor Ort feststellen, nicht beeindruckend, aber es gibt Ansätze.
Besser vorangekommen ist Simbabwe unter Mnangagwa wirtschaftlich. Reist man querdurch, erhält man immer wieder die Antwort: Ja, alles ist noch immer schwierig, aber es ist doch ein wenig besser als vorher. Warum, so geht das Gespräch dann normalerweise weiter, warum hilft uns der Westen nicht beispielsweise mit der Aufhebung oder der Lockerung der Sanktionen?
Ja, das ist ein klassisches Beispiel: Der US-Senat beschloss, routinemässig, ausgerechnet im März 2022, die Sanktionen gegen Simbabwe um ein Jahr zu verlängern. Und was war die Reaktion aus der Simbabwe-Hauptstadt Harare? Dass die Regierung sich neutral verhielt bei der Abstimmung in der Uno über Russlands Krieg gegen die Ukraine. Und dass nun davon ausgegangen werden muss, dass Simbabwe im Zweifelsfall überall dort, wo Sachthemen zur Debatte stehen, für Russland und somit gegen die Interessen des Westens votieren wird.
Drei Beispiele aus Afrika – dem Kontinent, den der Westen gerne auf seiner Seite wissen möchte, der aber, auch aufgrund westlicher Fehler (Verkennen der historischen Komplexitäten; Drohen mit der Sanktionskeule; Rückstand bei sichtbaren Investitionen) je länger desto deutlicher in die Einflusssphäre Russlands (und auch Chinas) gerät. Die gewaltsamen Machtwechsel in der Sahel-Zone, zuletzt in Niger, sind Beispiele für diesen Trend.