Fitrat, der über eine Residenz in den USA verfügt, erklärte in einem Telephoninterview, das er amerikanischen Korrespondenten gewährte, er trete von seinem Amt zurück, seine Rücktrittserklärung müsse er im Ausland abgeben, weil sein Leben in Kabul gefährdet wäre. Er machte klar, dass seine Flucht durch den Skandal bedingt ist, der sich seit dem vergangenen September um die private Kabul Bank dreht.
Faule Kredite für den Bruder von Präsident Karzai
Diese Bank diente der Regierung von Präsident Karzai für die Bezahlung von gegen 250 000 Regierungsbeamten, Polizisten und anderen Staatsangestellten. Zu ihren wichtigsten Aktionären gehörte der Bruder des Präsidenten, Mahmud Karzai, und ein Bruder des Vizepräsidenten Muhammed Qasim Fahim gehörte zu ihren Gründern. Kabul Bank drohte im September zahlungsunfähig zu werden, offenbar weil die Bank zahlreichen Hochgestellten in der Regierung und deren Freunden Anleihen gewährt hatte, die diese nicht zurückbezahlten und die ungenügend gesichert waren, wenn überhaupt.
Ein Run auf die Bank fand statt. Viele ihrer Anleihen waren für den Kauf von Luxusresidenzen in Dubai verwendet worden, und diese hatten im Verlauf der dortigen Finanzkrise grosse Teile ihres Wertes eingebüsst.*
Todesdrohungen?
Als die Krise im September ausbrach, hatte der IMF der Regierung geraten, die angeschlagene Bank einem Konkursverfahren zu unterziehen. Doch die Regierung entschloss sich stattdessen, sie der Zentralbank einzuverleiben, indem sie beide Banken zusammenschloss.
Qadir Fitrat sagte in den USA aus, er habe während der vergangenen 10 Monate versucht, die Verantwortlichen für den Zusammenbruch der Kabul Bank zur Rechenschaft zu ziehen. Doch dies sei nicht geschehen. Er habe schliesslich einige der Namen von vermutlichen Verantwortlichen im Parlament genannt, doch daraufhin habe er "verlässliche Informationen erhalten", dass sein Leben in Gefahr schwebe. Über die Quellen dieser Informationen wollte er sich nicht äussern.*
Scharfe Reaktion aus Kabul
Die Karzai-Regierung hat auf die Entwicklungen scharf reagiert. Der Sprecher des Präsidenten erklärte, die Flucht des Bank Gouverneurs komme Verrat gleich, und er behauptete, Fitrat selbst sei Gegenstand einer Untersuchung.
Der Bruder des Präsidenten, Mahmud Karzai, ritt seinerseits eine Gegenattacke, indem er "al-Jazeera" erklärte, der Bankgouverneur sei geflohen, weil er selbst unter Nachforschungen stehe. Gefahr für sein Leben habe nicht bestanden, und es sei bedauerlich, dass jedermann, der sich in Afghanistan etwas zu schulden kommen lasse, ins Ausland fliehen könne, um dort die afghanische Regierung der Korruption zu beschuldigen.
Etwas späterwurde bekannt gegeben, die Regierung in Kabul habe ein Vorführungsmandat gegen Fitrat erlassen. Darin wird ihm vorgeworfen, er habe die Zentralbank schlecht verwaltet, sich nicht an die Ratschläge anderer Fachleute gehalten und die privaten Banken nicht adäquat beobachtet.*
Im Sand verlaufen
Im vergangenen Februar hatte der Bankgouverneur öffentlich gefordert, dass die Verantwortlichen für den Zusammenbruch der Kabul Bank zur Rechenschaft gezogen würden. Er sagte damals, der Bruder Karzais, Mahmud, einer der Hauptaktionäre von Kabul Bank, habe der Bank 4,5 Millionen Dollar zurückbezahlt, er schulde ihr jedoch bedeutend mehr. Untersuchungen der Antikorruptionsbehörde hatten ergeben, dass die Kabul Bank rund 467 Millionen Dollars in Anleihen ausgegeben habe, die nicht genügend dokumentiert seien oder ungenügend abgesichert. Andere Quellen sprachen von 900 Millionen.
Karzai erklärte im Februar angesichts dieser Meldungen, die Afghanen seien unerfahren im Bankwesen, und die Schuld sei primär bei den ausländischen Beratern der Bank zu suchen. Er versprach auch, eine kriminelle Untersuchung werde durchgeführt werden. Doch von einer solchen hörte man später nichts mehr.
Der IMF fordert Aufklärung
Die gegenwärtige Krise in der Zentralbank wurde dadurch ausgelöst, dass der IMF eine Aufklärung der Vorkommen in der Kabul Bank forderte, bevor er ein neues Programm von Anleihen an den afghanischen Staat frei gebe. Vor einer Woche hatte der Finanzminister der Karzai-Regierung, Omar Zaikhalwal, erklärt, Afghanistan sei der "Manöver des IMF müde", und Andeutungen wurden gemacht, Afghanistan könnte mit dem Währungsfonds brechen.
Dies kann Kabul sich freilich nicht wirklich leisten. Von der Freigabe der Fonds-Gelder hängen auch grosse Beträge von anderen staatlichen und privaten Geldgebern ab, weil die Entscheidungen des IMF eine Art Gütesigel für den Zustand der nationalen Wirtschaft des Landes darstellen. Wenn er neue Anleihen gewährt, ermutigt er auch andere Geldgeber, Afghanistan Vertrauen zu schenken, wenn nicht, dient dies als Warnung für alle weiteren Anleger. *
Anschuldigungen gegen den Anschuldiger
Die gesamte Vorgeschichte spricht dafür, dass Qadir Fetrat seinen Posten verlassen hat, weil der Skandal um die Kabul Bank wegen der engen Verbindungen, die zur Regierung bestanden, nicht aufgeklärt wurde und dass er durchaus Gründe gehabt haben könnte, für sein Leben zu fürchten. Seine Feinde in Kabul allerdings verbreiten das Gerücht, er selbst sei in die Affaire der Kabul Bank verwickelt. Sie sagen, er als Gouverneur der Zentralbank müsse über die Vorgänge in der Kabul Bank auf dem Laufenden gewesen sein, er habe sie aber geschehen lassen. Sie fügen hinzu, wahrscheinlich sei der Bankgouverneur mit dem Einverständnis der Schuldiger der Kabul Bank nach Amerika geflohen, weil ohne ihn der Skandal nie aufgeklärt werden könne. *
Dass nun eine Aufklärung der Vergehen in der Kabul Bank unwahrscheinlicher geworden ist als je, kann man den Anklägern Fitrats einräumen. Doch es sind sie, die davon profitieren, wenn die Nachforschungen wie bisher im Sand verlaufen, und die Frage bleibt: Wie wird sich der Währungsfonds unter diesen Umständen verhalten?