Seit Frankreich im Aufruhr gegen die Rentenreform ist und das Land zumindest teilweise blockiert, die Versorgung mit Treibstoff nicht mehr gesichert ist und die Proteste nach und nach radikaler geworden sind, ist die Steuer- und Parteispendenaffäre Woerth/Bettancourt, die Präsident Sarkozy und seine Regierung seit Monaten plagt, ein wenig in den Hintergrund getreten.
Neben dieser Affäre wartet aber bereits, von der französischen Öffentlichkeit bisher weitgehend unbeachtet, die nächste Affäre, welche für die derzeitigen Machthaber in Paris nicht weniger unangenehm ist: die Affäre Wildenstein.
Im Zentrum dieser Affäre stehen die Familie Wildenstein, eine Dynastie von legendären Kunsthändlern in der 5. Generation, ein Erbstreit in Milliardenhöhe und der Verdacht des massiven Steuerbetrugs. Das Problem: der mutmassliche Nutzniesser des Steuerbetrugs, Guy Wildenstein, Chef von Wildenstein & Company, mit Galerien in New York, London und Tokyo, ist ein guter Freund von Staatspräsident Nicolas Sarkozy, sowie Gründungsmitglied und wichtiger Geldgeber der konservativen UMP-Partei des Präsidenten.
Ein immenses Imperium - gegründet von einem jüdischen Viehhändler
Und natürlich spielt auch in dieser Affäre Eric Woerth wieder eine gewisse Rolle. Woerth ist bereits bis zum Hals in die Turbulenzen um die L’Oreal–Erbin Bettancourt verstrickt.
Die Galerie Wildenstein in New York befindet sich in einem noblen Stadthaus aus den 30er-Jahren, in der Nähe der Madison- und der 5th Avenue. Die Webseite von „ Wildenstein&Company“ wirkt ein wenig angestaubt, aber immerhin: Zuletzt hat man Gauguin ausgestellt.
Der Herr des Hauses, der 65jährige Guy Wildenstein, hat das Äussere eines braven Beamten. Seit dem Tod seines Bruders Alec vor zwei Jahren ist er alleiniges Familienoberhaupt und an der Spitze eines immensen Imperiums von Kunstwerken, welches Nathaniel Wildenstein, Sohn jüdischer Viehhändler aus dem Elsass, in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts in Paris gegründet hatte.
Nach dem 1870er-Krieg hatte er, wie viele im Elsass, für Frankreich optiert und seine von Deutschland vereinnahmte Heimat verlassen.
Wenn Frankreichs Präsident heute von Nathaniel Wildensteins Urenkel Guy spricht, sagt er: "Mein Freund Guy". Freund Guy war dabei, als Nicolas Sarkozy 2004 die neogaullistische RPR-Partei in seine UMP-Partei verwandelte und die Parteiführung übernahm - ein entscheidender Schritt zur Eroberung der Macht drei Jahre später.
Das vornehme Hotel Bristol - Sarkozys Kantine
Freund Guy war auch zur Stelle, als Nicolas Sarkozy, um neue Geldquellen für seine Partei zu erschliessen, etwas initiierte, was in den USA schon immer üblich war, in Frankreich aber bis heute als skandalös empfunden wird: Ein so genannter „Premier Cercle“ wurde gegründet, eine Art Club, in dem rund 500 Mitglieder vereint und bereit sind, jährlich einen Scheck über 7 500 Euro zugunsten von Sarkozys Partei auszustellen. Dafür werden sie, einige Male im Jahr, zu exklusiven Treffen mit Politikern, manchmal sogar mit dem Präsidenten persönlich, an exklusive Orte geladen, etwa ins Restaurant des Hotels Bristol, das dem Elyséepalast fast gegenüberliegt und von Nicolas Sarkozy zur Kantine auserkoren wurde.
Wie selbstverständlich ist Guy Wildenstein auch Mitglied dieses Clubs von namhaften und reichen Parteispendern. Und wie durch Zufall befindet sich der Sitz der UMP-Partei in der Pariser Rue de la Boetie - exakt neben dem „Wildenstein Institute“, einem für Pariser Verhältnisse immensen Stadtpalais, in dem früher die seit 40 Jahren geschlossene Pariser Wildenstein Galerie beheimatet war – heute ein privates Kunstinstitut mit 30 Angestellten - ein einzigartiger Ort mit einer 400 000 Bände umfassenden Bibliothek und kostbarstem Archivmaterial, wo die Werkkataloge Renoirs oder Monets erarbeitet wurden, was dem Institut auf dem internationalen Kunstmarkt eine unvergleichliche Machtposition verschafft.
Im Wahlkampforganigramm Nicolas Sarkozys hatte "Freund Guy" 2007 seine eigene E Mail-Adresse: [email protected]. Freund Guy war Vorsitzender des New Yorker Unterstützungskomitees für Nicolas Sarkozy im Wahlkampf 2007.
Aus jener Zeit gibt es noch ein Fernsehinterview, in dem er von seiner langjährigen Freundschaft mit Nicoals Sarkozy spricht und seiner Bewunderung für den Menschen und dessen Überzeugungen. Er nennt ihn einen aussergewöhnlichen Menschen, der eine echte Vision habe und wisse, wohin er Frankreich führen wolle.
Und in einem Propagandavideo für Wahlkampfzwecke der UMP-Partei sagt Guy Wildenstein den Auslandsfranzosen unumwunden: „Nicolas Sarkozy zählt auf uns, wir können auf ihn zählen.“
Ziemlich unverschämt übers Ohr gehauen
Guy Wildenstein ist seit Jahren auch Delegierter der UMP-Partei für die gesamte amerikanische Ostküste und UMP-Chef im Parlament der Auslandsfranzosen. Wann immer in den letzten Jahren ein französischer Minister in New York vorbeikam, stand ein Empfang mit Guy Wildenstein auf dem Programm.
Dieses Aushängeschild der Präsidentenpartei UMP in New York, Geldgeber und Freund von Nicolas Sarkozy hat jetzt allerdings ein ernstes Problem, und zwar seine heute 77jährige Stiefmutter, Silvia Roth.
Vor neun Jahren hatten Guy und sein damals noch lebender Bruder Alec Wildenstein diese Dame nach dem Tode ihres Vaters, des Patriarchen Daniel Wildenstein, ziemlich unverschämt übers Ohr gehauen. Silvia Roth war fast 40 Jahre lang mit Daniel Wildenstein verheiratet gewesen, hatte sich aber nie um dessen Geschäfte gekümmert.
Nach dem Ableben ihres Mannes erzählten ihr Daniel Wildensteins Söhne aus erster Ehe dann, der legendäre Kunsthändler sei am Ende praktisch pleite gewesen, ja Schuldansprüche könnten bestehen und enorme Forderungen vom Finanzamt auf sie zukommen - es sei vernünftiger, auf das Erbe zu verzichten.
Silvia Roth, die in eine mehrmonatige Depression verfallen war, liess sich mit einer jährlichen Rente von 400 000 Euro abspeisen und dem Nutzungsrecht für eine 500 Quadratmeter-Wohnung am Pariser Bois de Boulogne.
Was die Anwältin herausfand ist explosiv
Doch schon bald kamen der Dame Zweifel. Sie fragte sich, was denn aus den nicht hunderten, sondern tausenden von Gemälden, die ihr verstorbener Mann besessen hatte, geworden ist: aus den Bonnards und Courbets, den Picassos, den Rembrandts und Caravaggios. Sie engagierte eine Anwältin, und die begann zu arbeiten.
In einem ersten Schritt schaffte sie es, im Jahr 2005 ein Pariser Gericht davon zu überzeugen, das Erbe Daniel Wildensteins auf immerhin 42 Millionen Euro zu veranschlagen, Silvia Roth wurden davon 15 Millionen zugesprochen. Doch damit nicht genug, die Anwältin arbeitete weiter und was sie im Lauf der Jahre herausfand, ist explosiv.
Guy und Alec Wildenstein hatten ihrer Stiefmutter schlicht verschwiegen, dass fast das gesamte Erbe ihres Vaters Daniel in mehreren Treuhandgesellschaften, so genannten „Trusts“ versteckt ist, welche in Steuerparadiesen wie Guernesey, den Bahamas oder den Kaiman-Inseln beheimatet sind und somit den Klauen des französischen Fiskus entzogen.
Treuhandgesellschaften, die die sprechenden Namen Danieltrust, Sonstrust, Silviatrust und Deltatrust tragen – Silviatrust war für Silvia Roth bestimmt, dahinter verbergen sich 18 Gemälde von Bonnard. Sie selbst wusste davon nichts und hat bis heute keinen Zugang zu den Werken. Nach und nach wurden aus den angeblich verbliebenen 42 Millionen gut vier Milliarden Euro. Manche schätzen das Vermögen, das Daniel Wildenstein hinterlassen hat, mittlerweile auf 10 Milliarden - neben den Meisterwerken tauchte auch eine Pferdezucht von Vollblütern in Irland auf, ein Ferienparadies auf den Jungferninseln, diverse Immobilien in Frankreich und eine 36 000 Hektar-Ranch in Kenia, wo einst Sydney Pollacks „Out of Africa“ gedreht wurde.
Milliarden am Fiskus vorbeigeschleust - Woerth tat nichts
Die Rechtsanwältin machte ihre Arbeit und informierte die französischen Behörden über die Ergebnisse dieser Arbeit – immerhin hatte sie ja entdeckt, dass da jemand Milliarden am französischen Fiskus vorbeigeschleust hatte.
Die Anwältin richtete im Juni 2009 ein erstes Schreiben an den französischen Haushaltsminister, den inzwischen durch die Bettancourt Affäre hinlänglich bekannten Eric Woerth.
Der hatte sich damals, nach der Finanzkrise, gerade zum Jäger auf Steuerflüchtlinge gemausert und einigen tausend Franzosen, die ihr Geld in die Schweiz und anderswo hin geschafft hatten, Sorgen bereitet.
Das Schreiben der Anwältin hätte für ihn ein gefundenes Fressen sein müssen. Doch Eric Woerth blieb jede Antwort schuldig und schenkte auch einem zweiten Schreiben der Anwältin keinerlei Beachtung. Auch sein Nachfolger, François Baroin, an den ein dritter Brief gerichtet war, hob bislang nicht den kleinsten Finger. Wirklich verwunderlich ist das nicht.
Denn es trifft sich nun einmal, dass Eric Woerth zwar nicht, wie Präsident Sarkozy, ein langjähriger Freund von Guy Wildenstein ist - doch ganz unbekannt sind sich die beiden auch nicht.
Schliesslich war Haushaltsminister Woerth ja Schatzmeister der UMP-Partei und auch für die Finanzen von Nicolas Sarkozys Wahlkampf 2007 verantwortlich gewesen. Er war in dieser Rolle von Guy Wildenstein während des Wahlkampfs auch in New York empfangen worden und natürlich kannte man sich durch den „Premier Cercle“, den Club der superreichen Parteispender, dem Eric Woerth vorstand und dessen Mitglied Guy Wildenstein immer noch ist.
Orden der Ehrenlegion für den Steuerhinterzieher
Und nicht zu vergessen: die Pferderennen. Seit Jahrzehnten halten die Wildensteins Vollblüter, die die grössten Rennen der Welt gewonnen haben. Auch auf der Rennbahn von Chantilly bei Paris waren sie gern und häufig gesehene Gäste. Eric Woerth ist auch Bürgermeister von Chantilly und Frau Woerth hat ja ebenfalls einen, wenn auch kleinen Pferderennstall – sagen wir also: man kennt sich.
Und nun sollte also ausgerechnet Eric Woerth einem so grosszügigen Mäzen der Partei und grossen Bewunderer von Staatspräsident Sarkozy mit einer Steuerprüfung zu Leibe rücken? Undenkbar.
Silvia Roths Anwältin aber hat in diesem Zusammenhang jetzt Klage eingereicht, unter anderem wegen aktiver und passiver Bestechung. Das zielt direkt auf den ehemaligen Haushaltminister Woerth und seinen Nachfolger Baroin. Und diesmal - anders als in der Bettancourt-Affäre, in der immer noch nur ein Staatsanwalt ermittelt, der Sarkozy sehr nahe steht, könnte in der Affäre Wildenstein ein unabhängiger Untersuchungsrichter aktiv werden.
Und der könnte sich dann ja auch dafür interessieren, dass kein geringerer als Staatspräsident Nicolas Sarkozy persönlich am 5. März 2009 einem gewissen Guy Wildenstein, „seinem langjährigen Freund“, im Elyséepalast den Orden der französischen Ehrenlegion ans Revers geheftet hat.
Davon existiert zumindest ein Photo. Normalerweise erhält man diesen Orden für Verdienste um Frankreich, Guy Wildenstein hat ihn ganz offensichtlich für Verdienste um Nicolas Sarkozy und dessen Partei bekommen.
Die Geschichte mit dem versteckten Milliardenerbe, den Treuhandgesellschaften und den Steuerparadiesen war zu jener Zeit schon hinlänglich bekannt. Die Ordensverleiher scheint dies nicht weiter gestört zu haben. Präsident Sarkozy hatte seinen Mitbürgern nach dem Höhepunkt der internationalen Finanzkrise im September 2009 ja vollmundig erklärt:
„Les paradis fiscaux, le secret bancaire, - c’est fini .„
Und wenn es keine Steuerparadiese und kein Bankgeheimnis mehr gibt, kann es auch keine Affäre Wildenstein geben. Logisch – oder ?