In Polen fanden diese Woche unerwartet dramatische Entwicklungen statt. Nach den breiten Protesten vom Montag folgten am Mittwoch und Donnerstag die politischen Entscheidungen. Die Gesetzesinitiative, die ein praktisch vollständiges Verbot der Abtreibung und deren Kriminalisierung anstrebte, wurde vom Parlament zurückgewiesen.
Unerwarteter Grosserfolg
„Ich bin an dieser Kundgebung, weil ich gegen eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes bin. Ob es was nützt, weiss ich nicht, ich hoffe es wenigstens, ich musste mich da einfach zeigen.“ Die gut 40jährige, etwas behäbig wirkende Frau gab damit die Meinung vieler Demonstrantinnen wieder, die an der Schlusskundgebung des Frauenstreiks vom Montag in Warschau teilnahmen.
Der Aufmarsch übertraf alle Erwartungen. Die Teilnehmerinnen stauten sich bis weit in die Nebenstrassen des zentralen Schlossplatzes, und dies trotz miserablem Wetter. Es waren vor allem junge Frauen gekommen, die allermeisten in Schwarz gekleidet, als auffälliges Zeichen des Protests. Einige trugen selbstgemachte Plakate mit sich. „Fuck the fanatics“ war eines der unkonventionelleren.
In Warschau wurde die Zahl der Demonstrantinnen auf weit über 20’000 geschätzt. Auch in andern Städten wurden sehr hohe Zahlen registriert, in Wroclaw beispielsweise gegen 20’000. Ingesamt wurden nach Polizeiangaben in 143 Städten Kundgebungen durchgeführt mit insgesamt rund 100’000 Personen. Dazu fanden nach Angaben der Organisatorinnen in rund 60 kleineren Orten Aktionen statt.
Diese enorme Mobilisierung überraschte nicht nur die oft spontan entstandenen lokalen Organisationskomitees. Bei den Demonstrantinnen und Demonstranten – es nahmen auch etliche vor allem junge Männer an den Demos teil – war die Befriedigung förmlich spürbar, dass sich so viele solidarisierten. Eine Teilnehmerin brachte es auf den Punkt: „Wir zeigen unsere Kraft, das ist schön.“
Auf den Strassen von Warschau waren viele schwarz gekleidete Frauen zu sehen, die damit ihre Unterstützung für den Frauenprotest ausdrückten. „Bei mir im Spital kam mehr als die Hälfte in Schwarz zur Arbeit. In den Diskussionen wurde die Gesetzverschärfung meist kritisiert. Dass da eine Minderheit allen andern eine so extreme Position aufdrücken will, finde ich eine Frechheit.“ Marzena Tyburz ist Krankenschwester und als Rentnerin noch teilweise berufstätig. Dass so viele junge Frauen protestierten, findet sie gut, denn diese seien ja besonders betroffen. Eine Umfrage zeigte auch, dass 52 Prozent den Schwarzen Montag entschieden unterstützten, nur 16 Prozen lehnten ihn entschieden ab.
Spontane Aktion von unten
Die ganze Aktion war erst vor knapp einer Woche ins Leben gerufen worden. Krystina Janda, eine bekannte polnische Schauspielerin und Regisseurin, hatte auf ihrer Internetseite die Idee eines Frauenstreiktags propagiert. Sie berief sich dabei auf den Frauenstreiktag von 1975 in Island. Der Vorschlag fand im Netz schnell Unterstützung, und es bildeten sich lokale Organisationskomitees. Mit dem typisch polnischen Improvisationstalent wurden Ideen kreiert und Netzwerke aktiviert. Bald schon zeichnete sich die Struktur des Frauenstreiktages, des Schwarzen Montags, ab.
Es wurde kein eigentlicher Streik geplant. Möglichst viele Frauen sollten einen Urlaubstag einziehen und sich an den Aktionen in den verschiedenen Städten beteiligen. Wer das nicht konnte oder wollte, sollte zum Zeichen der Solidarität Schwarz tragen und wenn möglich nach der Arbeit zu den Schlusskundgebungen kommen. Propaganda wurde vor allem im Netz gemacht. Oppositionelle Medien wie die Zeitung „Gazeta Wyborcza“ und der Fernsehsender TVN berichteten über die Initiative sowie die geplanten Aktionen und Kundgebungen.
Auch wurden auf der Strasse Flyer verteilt. „Sehen Sie, das ist meine zehnjährige Tochter. Ich will nicht, dass sie in ein paar Jahren ein Kind austragen muss, das von einer Vergewaltigung stammt“, erklärte mir die Russischdozentin, die zusammen mit ihrer Tochter in Krakau zum Schwarzen Montag Flugblätter verteilte. Sie hatte sich spontan dem Organisationskomitee angeschlossen. Das funktioniere ohne grosse Abmachungen recht gut. Offenbar hatte sie Recht. Denn auch in Krakau fand ein paar Tage später eine der grössten Protestdemos statt.
Verschärfte ideologische Spannungen
Dass der Schwarze Montag so erfolgreich war, hängt mit der Verschärfung der weltanschaulich-ideologischen Auseinandersetzung zusammen. Diese konzentrierte sich in letzter Zeit auf die schon lange anstehende Abtreibungsfrage (vgl. Journal21.ch vom 12. April 2016).
Der Sejm, die Abgeordnetenkammer des polnischen Parlaments, hatte vor zwei Wochen die Bürgergesetzesinitiative der erzkatholischen Organisation „Ordo Juris“ zur Begutachtung an die entsprechende Kommission überwiesen. Diese sieht ein praktisch vollständiges Abtreibungsverbot mit Gefängnisstrafen für Ärzte und betroffene Frauen vor. Gleichzeitig lehnte der Sejm eine Bürgergesetzesinitiative für eine Liberalisierung ab, obwohl selbst die Führung der herrschenden nationalkonservativen PiS-Partei unter Jaroslaw Kaczynski das Projekt aus taktischen Gründen ebenfalls zur Begutachtung überweisen wollte.
„Was da jetzt kommen kann, beunruhigt mich schon, ein totales Verbot wäre schlimm, es sollte so bleiben, wie es jetzt ist“, erklärte mir Agatha Gubernat, die nach drei Jahren in England bald wieder mit ihrem Mann und dem kleinen Baby nach Krakau zurückkehren wird. Ihre Meinung, dass der Status quo erhalten werden solle, wurde auch in einer Umfrage von Ende September von fast der Hälfte der Befragten geteilt. Nur gut zehn Prozent waren für eine Abtreibungsverschärfung. Gut ein Drittel sprach sich sogar für eine Abtreibungsliberalisierung aus. Selbst unter den PiS-Anhängern war nur ein Viertel fur die Verschärfung.
Das ist nicht unbedingt erstaunlich, ist doch bereits die geltende Regelung sehr restriktiv. Abtreibungen sind nur erlaubt, wenn die Gesundheit und das Leben der Mutter in Gefahr ist, eine Vergewaltigung oder ein Inzest stattfand oder der Fötus schwerwiegende Missbildungen und Krankheiten aufweist.
Taktischer Rückzug der PiS?
Die grosse Mobilisierung und die klare Mehrheitsmeinung brachten die PiS in eine sehr unangenehme Lage. Nicht nur ihre Anhänger sind gespalten, auch ihre Abgeordneten und Regierungsmitglieder. Bis jetzt galt die Devise, die Abtreibungsfrage sei Gewissensfrage; es gab denn auch keine Fraktionsdisziplin. Dass die radikale Verbotsinitiative in der Kommission und im Parlament eine Mehrheit finden würde, war allerdings von Anfang an unwahrscheinlich. Vielfach wurde spekuliert, dass die PiS auf Zeit spielen und nur eine teilweise Verschärfung befürworten würde, etwa bei der Definition von Missbildungen und Krankheiten. Dies vor allem, um der Kirche entgegenzukommen und die eigenen recht zahlreichen Traditionalisten wenigstens teilweise zufriedenzustellen.
Überraschend wurde aber nur zwei Tage nach dem Frauenstreik die radikale Gesetzesinitiative von der zuständigen Kommission an das Parlament zurückgewiesen. Offensichtlich hatte der Big Boss Jaroslaw Kaczynski die Notbremse gezogen und entsprechend interveniert, um die PiS aus dem Kreuzfeuer zu nehmen. Das Parlament hat entsprechend nur einen Tag später nach kurzer, nur noch ritueller Beratung die Initiative mit 352 gegen 58 Stimmen beerdigt. 168 Abgeordnete der PiS stimmten ebenfalls für den Rückzug. Kaczynski möchte so der entstehenden breiten Frauenbewegung den Wind aus den Segeln nehmen. Dass er aber ganz auf eine Gesetzesänderung verzichten wolle, hat er in seinem Votum klar verneint. Es solle später eine eigene moderatere PiS-Vorlage ins Spiel gebracht werden.
Ob ein solches Manöver der Mehrheit der aufgewachten polnischen Frauen verkauft werden kann, ist allerdings fraglich. Viel wird davon abhängen, wie sich die spontan entstandene Bewegung vom Schwarzen Montag weiter entwickelt. Jolanta Supinska, emeritierte Professorin für Sozialpolitik und langjährige Aktivistin, ist optimistisch: „Nach meinen Erfahrungen an der Demonstration und aufgrund der Berichte in Presse und Fernsehen glaube ich, dass die Bewegung bleibt und sich sogar noch verstärken kann. Denn erstmals ist diese wirklich breit abgestützt und sind alle sozialen Schichten vertreten – vor allem auch sehr viele junge Frauen, die bisher wenig politisch aktiv waren.“