Die Chefin hat wieder einmal alle überrascht. Sie hat den Parteivorsitz, den sie nun abgibt, vom Amt der Kanzlerin getrennt. Zugleich hat sie angekündigt, nach Ablauf der Legislatur im Jahr 2021 nicht mehr als Regierungschefin zu kandidieren – und, wie sie anfügte, auch für kein anderes politisches Amt. Damit hat sie das Berliner politische Spiel nach den Wahlen in Bayern und Hessen völlig neu gepolt. Die zahlreichen Herolde der Erneuerung müssen jetzt liefern – so sie denn können. Auf die Kanzlerin oder auf querköpfige Kabinettsmitglieder einzudreschen, war einfacher.
Es ist ein verantwortungsbewusster und stilvoller Abgang, den Angela Merkel am Montag eingeleitet hat. Verantwortung beweist sie, indem sie nicht brüsk hingeschmissen hat, sondern ihrer Partei Zeit für Regelung und Aufbau einer Nachfolge verschafft. Denn obschon es der CDU nicht an Bewerbungen fehlt, mag man sich die derzeit Interessierten zumindest auf internationalem Level noch nicht so recht in Merkels Fussstapfen vorstellen. Wer hält die zwischen Brexit, Kaczynski, Orbán und Salvini zum Zerreissen gespannte EU zusammen? Wer bietet Putin, Trump, Xi Jinping und einigen mittelgrossen „Starken Männern“ Paroli?
Mit ihrem elastischen Pragmatismus hat Angela Merkel immer wieder den Zusammenstoss mit den sich rapide verändernden Realitäten zwar vermieden. Der Preis dafür war aber der Verlust christdemokratischen Profils. Die „Sozialdemokratisierung“ ihrer eigenen Partei verwischte die Konturen in der politischen Landschaft und spielte den radikalen Kräften Chancen zu. Mit der Flüchtlingskrise von 2015 erhielt die AfD ein Thema, das sie seither hemmungslos ausschlachtet. Angela Merkel ist nach ihrem von den Gegnern gezielt missdeuteten „Wir schaffen das“ auf infame Weise dämonisiert worden. Nun aber ist die schwierige Angelegenheit der Migration allmählich dabei, ein „normales“ politisches Thema zu werden. Die Partei, die von der „Merkel-muss-weg“-Hysterie gelebt hat, wird nach dem Verebben der Hasswogen auf dem Trockenen sitzen.
Angela Merkel hat mit der Art ihrer Ankündigung Format gezeigt. Ihre Niederlagen und den wenig erhebenden Zustand ihres Kabinetts hat sie ohne Beschönigung eingestanden und die von ihr getroffene Entscheidung ohne Pathos dargelegt. Zugleich machte sie ihrer Partei Mut für eine gründliche Klärung von Richtungs- und Personalfragen. Mit ihrem Verzicht auf jeden Versuch, den eigenen Schritt in eine weltpolitische und historische Perspektive zu stellen, ist sie sich als Pragmatikerin und Gegnerin grosser Worte treu geblieben.
Noch ist es zu früh, Angela Merkels politische Leistung zu bewerten. Sie bleibt ja im Amt als Kanzlerin, und das könnte durchaus bis zum Ende der Legislatur so bleiben; denn wer sie stürzen wollte, müsste erst mal eine Mehrheit im Bundestag stellen können. Fehler, auch gravierende, sind in ihrer Amtszeit nicht schwer zu finden. Das Positive aber wird man vermutlich rückblickend umschreiben mit Begriffen wie Beharrlichkeit, Unaufgeregtheit, Nüchternheit und Integrität. Politikerinnen und Politiker in Spitzenpositionen pflegen zu betonen, es gehe ihnen nicht um sie selbst, sondern um den Dienst am Staat. Aussagen dieser Art sind bei Angela Merkel Raritäten. Am Montag hat sie immerhin diese grossen Worte benutzt. Man ist geneigt, sie ihr zu glauben.