Das iranische Regime feiert den 44. Jahrestag seiner «Islamischen Revolution». In den Ereignissen um den 11. Februar 1979 verdichtete sich die gleichnamige Ideologie, die eine programmatisch als Islamische Republik definierte Gesellschafts- und Staatsutopie begründen sollte. Mit der Islamischen Revolution endete das 200-jährige Revolutionszeitalter und die Epoche republikanischer Umbrüche in der nahöstlichen Staatenwelt (1952–1979). Das Pathos revolutionärer Utopien, die auf die normative Errichtung einer «Gesellschaft neuer Menschen» zielten, spielte fortan keine Rolle mehr.
Die Islamische Revolution war der letzte Versuch, eine Ordnung neuer Menschen zu schaffen. Anders als ihre marxistischen Konkurrenten begründete sie ihre Normativität jedoch nicht in einer «wissenschaftlichen Ideologie», sondern in einer religiösen Tradition. Ein kleinerer Teil der Meinungsführer «religionisierte» (d. h. islamisierte) die marxistisch-leninistischen Ideologeme und verband sie mit einer historischen Heilsvorstellung, die unmittelbar an die schiitische Tradition anknüpfte. Die Mehrheit der iranischen Revolutionäre betonte dagegen einen rechtsnationalistischen Kurs. In ihren Augen sollte die neue Gesellschaft nicht allein den Islam, sondern vor allem die iranische Nation repräsentieren.
Nationalistischer Islamismus
Dabei hielt das neue Regime an der Vorstellung fest, dass der Iran nur als Imperium existieren könne. Die islamische Revolution sollte daher auch der Wiedergeburt der iranischen Nation dienen. Der irakische Angriffskrieg gegen den Iran 1980–1988 war für das Regime der willkommene Anlass, die Gesellschaft für diese imperiale Ordnung zu mobilisieren. Gleichzeitig unterwarf es in diesem Krieg den Islam seiner nationalistischen Interpretation. Dies ermöglichte es ihm, propagandistische Brückenköpfe in schiitischen Milieus ausserhalb Irans zu errichten, etwa in Libanon, im Jemen oder im Irak, die nach und nach zu Agenturen der Islamischen Revolution werden sollten. In dem Masse, in dem die Islamische Revolution die schiitische Tradition als Interpretationsrahmen nutzte, transformierte sie sie in einen religiösen Nationalismus.
Die Besonderheit der Islamischen Revolution als Spätgeburt des Revolutionszeitalters hatte zur Folge, dass die politische Transformation im Iran zu einer distinkten dualen Ordnung führte. Der Iran sollte in einer republikanischen Ordnung abgebildet werden, die aber von der machtpolitischen Ordnung der Islamischen Revolution getrennt werden musste, so dass die Islamische Revolution aus der Perspektive früherer Revolutionen als unvollständig erschien. Andererseits erlaubte die duale Ordnung der Ideologie der Islamischen Revolution, sich als normative Rahmenordnung der Republik dauerhaft zu definieren. So endete die Islamische Revolution im Verständnis der klerikalen Eliten nicht mit der Machtübernahme 1979, sondern dauert bis heute an. Je stärker der religiöse Nationalismus im Kontext der schiitischen Tradition formuliert wurde, desto stärker wurde die heilsgeschichtliche Erwartung des Nationalismus mit dem Messianismus der schiitischen Tradition verbunden.
Eine weitere Besonderheit der Islamischen Revolution besteht darin, dass sie einen Teil der schiitischen Geistlichkeit in besonderer Weise ermächtigte und zu Repräsentanten ihrer ideologischen Ordnung machte. Diese «kämpfenden Gelehrten» formten und kontrollierten nun einen eigenen, ausgefeilten bürokratischen Apparat der Islamischen Revolution, der mit der staatlichen Exekutive der Republik konkurrierte.
«Islamikative»
Die Islamische Revolution, d. h. das ideologische System, das sich in der Islamischen Revolution verwirklichen sollte, institutionalisierte sich bereits 1979 als eine eigenständige politische Staatsgewalt, die ihren sozialen Ort im «kämpfenden Klerus» hatte. Diese «Islamikative» war nicht nur eine vierte Gewalt, sondern verstand sich als hegemoniale Ordnung, der sich die anderen Staatsgewalten unterzuordnen hatten. Die Islamikative liess den drei Staatsgewalten einen gewissen Spielraum, ja sogar eine Gewaltenteilung zu. In Krisenzeiten zeigte sich jedoch schnell, dass die Islamikative allein für die politische Ordnung des Landes massgeblich war.
Es liegt auf der Hand, dass diese duale Ordnung, in der eine Staatsgewalt die Hegemonie über alle anderen Staatsgewalten ausübte, zu einem politischen und gesellschaftlichen Ungleichgewicht führte. Dies lag vor allem daran, dass sich die islamische Mehrheit einen eigenständigen exekutiven Machtapparat zu sichern suchte. Die Wächter der islamischen Revolution (Pasdaran) und ihre vielfältigen Unterorganisationen bildeten den sozialen Raum, um der islamischen Revolution eine Durchsetzungskraft in der Gesellschaft zu sichern.
Gleichzeitig hatten die Garden die Funktion, die imperiale Ordnung Irans nach aussen zu repräsentieren und in Form einer islamischen Heilsordnung zu propagieren. So bildeten die Pasdaran seit dem iranisch-irakischen Krieg den Kern einer militärischen Expansionsordnung Irans. Die vom System angestrebte kooperative Struktur zwischen Revolutionswächtern und regulärer Armee erwies sich jedoch bald als Illusion, da der Armee wesentliche Ressourcen für eine ihrer Machtposition entsprechende militärische Ausrüstung vorenthalten wurden und die Revolutionsgarden militärisch bevorzugt ausgestattet wurden.
Verweigerte Legitimität
Die als «Islamische Republik» bezeichnete Gesamtordnung hat eine Achillesferse. Anders als ihre Vorgänger, die Französische oder die Russische Revolution, waren die Islamische Revolution und ihre Ordnung als Islamische Republik in hohem Masse auf die Anerkennung durch die Bevölkerung angewiesen. Das Bemühen um Legitimität beziehungsweise um die Anerkennung von Legitimität bildete bereits in den 1980er Jahren den Schwerpunkt der propagandistischen Aktivitäten des Regimes.
Dabei ging es nicht um die tatsächliche Anerkennung der Legitimität durch die Bevölkerung, sondern um deren Inszenierung. Politische Wahlen, etwa zum Amt des Präsidenten oder zum Parlament (Madschles), spielten daher eine enorm wichtige Rolle. Ein Schwachpunkt liegt allerdings darin, dass durch die Betonung der Bedeutung von Legitimität die Kritik an der politischen Ordnung sehr mächtig werden kann. Zudem kann der Repräsentant der Exekutive, der Präsident, unter besonderen Umständen eine so starke Hausmacht aufbauen, dass er sogar die Islamikative herausfordern kann.
Prozesse des Wandels
Nun hat sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass auch die Islamische Revolution den Prozessen der Geschichte unterworfen ist. Zwar gibt es auch heute noch nostalgische Stimmen, die die Zeit von 1979 als Idealzeit der Islamischen Revolution beschwören, doch hat die Gründungszeit der Islamischen Revolution heute selbst für die Geistlichkeit überwiegend nur noch symbolischen Wert. Wichtiger ist die Frage, wie sich die Islamische Republik als Gesamtordnung des iranischen Systems weiterentwickeln und wie sie ihre Grundaufgabe, die imperiale Ordnung Irans zu sichern, erfüllen kann.
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die systembedingte Eintracht zwischen den drei Staatsgewalten und der Islamischen Staatsordnung unter Khamenei zu bröckeln droht. Seit 2009 befindet sich das System der Islamischen Republik in einer permanenten Legitimitätskrise. Eine politische Massnahme oder ein Ereignis, das sich der Kontrolle des Regimes entzieht, kann zu einer breiten Massenmobilisierung führen, die das Ausmass der Anerkennungsverweigerung durch die Bevölkerung deutlich macht. Das Regime reagiert darauf mit dem Versuch, sich aus der Abhängigkeit von einer Legitimitätsordnung zu befreien. In der Praxis bedeutet dies die schleichende und kontrollierte Machtübernahme der staatlichen Exekutive, Judikative und Legislative durch das System der Islamischen Revolution. Mit anderen Worten: Das System spielt mit der schleichenden Machtübernahme durch die Revolutionswächter. Dies bedeutet das Ende des «Gesellschaftsvertrages», der mit der Islamischen Revolution von 1979 scheinbar geschlossen worden war. Und es bedeutet zugleich das Ende der Ordnung der Islamischen Republik.
Eine Staatsmacht ohne Volk
44 Jahre nach der islamischen Revolution von 1979 hat die Islamische Republik ihre Raison d’être verloren. Und nicht nur das: Gleichzeitig hat sich ihr Volk von ihr abgewandt. Vier Fünftel der Bevölkerung, so eine einigermassen zuverlässige Umfrage, lehnen die Ordnung der Islamischen Republik aktiv oder stillschweigend ab, halten sie für überholt und suchen nach Alternativen. Ihre Kritik bezieht sich auch auf den Umgang des Regimes mit dem Islam. Für die grosse Mehrheit der Iranerinnen und Iraner soll der Islam nicht mehr der symbolische und politische Raum der Nation sein. Sie lehnen jede Auskleidung der Nation mit als islamisch definierten Symbolen wie dem Kopftuch für Frauen ab. Und immer wieder wird betont: Staatskritik ist nicht zwangsläufig Religionskritik. Vielmehr wird der Islam in manchen Oppositionskulturen zu einer Ressource des zivilen Protests gegen die Obrigkeit.
Die Institution einer permanenten Islamischen Revolution muss einer permanenten Opposition weichen. Mit dem Niedergang der Islamischen Republik verblasst auch der Einfluss der Ideologie der Islamischen Revolution. Die Bevölkerung beginnt sich mal klandestin, mal offen zivilgesellschaftlich zu organisieren. Dies verändert den Charakter der iranischen Politik grundlegend. Erstmals wird Iran nicht mehr als expansives Imperium einer iranisch-islamischen Nation gedacht, sondern als defensive Allianz einer zivilgesellschaftlichen Pluralität, in der keine Gemeinschaft mehr Privilegien einer Titularnation für sich beansprucht. Für viele definiert sich «Irantum» nicht mehr persisch oder islamisch, sondern republikanisch-rechtsstaatlich.
Wie stark diese Vorstellungswelt in der Bevölkerung verankert ist, kann derzeit niemand sagen. Sicher ist, dass alte nostalgische Erinnerungen an eine vorrevolutionäre Ordnung noch lebendig sind und dass es immer noch schwärmerische Vorstellungen von der Wiedergeburt eines persischen Reiches gibt. Diese restaurativen Vorstellungen werden derzeit vor allem von oppositionellen Gruppen im Ausland vertreten. Im Iran selbst hingegen prägen vor allem die Erfahrungen einer solidarischen zivilgesellschaftlichen Ordnung die Visionen eines neuen Iran.