Vorläufig ist es nur ein vom «Wall Street Journal» verbreitetes Gerücht. Die CS soll insgesamt 2,5 Milliarden Dollar Busse zahlen und ein Schuldeingeständnis ablegen, dass sie US-Steuerpflichtigen beim Verstauen von Schwarzgeld geholfen habe. Bravo, kann man da nur sagen. Das setzt den Tarif für die übrigen mehr als hundert Schweizer Banken, die bereits ein Schuldeingeständnis abgelegt haben.
Das Desaster
Natürlich kann dieses Gerücht auch von der CS selbst gestreut worden sein, damit sie in nächster Zukunft triumphierend verkünden kann: Erfolg, es sind «nur» 2 Milliarden Busse. Aber wie auch immer, es zeichnet sich ab, was seit dem Fall UBS fünf Jahre Schweizer Verhandlungsgeschick aus- und anrichten konnten.
Helfen wir dem Kurzzeitgedächtnis der Öffentlichkeit kurz auf die Sprünge. Als die UBS 2009 mit Notrecht vor dem Abgrund gerettet werden musste, als der Grossbank gelang, was alle linken Kritiker über Jahrzehnte nicht schafften, nämlich das Bankgeheimnis zu schleifen, schworen alle grosse Eide: einmalig, ausnahmsweise, nie wieder, Problem erledigt.
Noch nie in der jüngeren und älteren Wirtschaftsgeschichte entwickelte sich aus einem Paradigmenwechsel ein solches Systemversagen einer ganzen Branche, begleitet von einem Versagen der Regierung und staatlicher Behörden. Erinnert sich noch jemand an die «Globallösung», die über Jahre kurz bevorstand? Erinnert sich noch jemand an die Behauptung, dass das Aufbewahren von unversteuertem Geld niemals das Geschäftsprinzip Schweizer Banken gewesen sei? Und wer das Gegenteil behauptete, sei ein «Verräter»?
Strukturelles Versagen
Obwohl es teuer wird für den Finanzplatz Schweiz, wäre es zu billig, sein Versagen an einzelnen Personen festzumachen. Die berechtigte Kritik, dass Bankenführer für Millionengehälter Milliardendesaster anrichten, greift zu kurz. Denn in Wirklichkeit ist es noch viel schlimmer.
Fehler machen, diese Gefahr wohnt jeder unternehmerischen Entscheidung inne. Denn sie ist per Definition in die Zukunft gerichtet, und die ist bekanntlich unvorhersehbar. Im Nachhinein ist es einfach, rückwirkend Recht haben zu wollen. Aber im Steuerstreit mit den USA ist das nicht so.
Mehr als hundert Schweizer Banken strafen alle ihre früheren Aussagen Lügen, dass sie keine oder höchstens kleine Probleme mit den US-Steuerbehörden hätten. In Wirklichkeit hatten und haben sie grobe, grosse, teilweise existenzgefährdende Probleme. War das unvorhersehbar? Sicher nicht. Wieso wurde das dann nicht gesehen? Offensichtlich haben wir es hier mit einem Systemversagen zu tun.
Das Controlling
Wie für das meiste im Banking gibt es zwei schöne banglische Ausdrücke für diese Probleme. Sie lauten Controlling und Compliance. Jede Firma, auch eine Bank, je grösser, desto wichtiger, muss Mechanismen haben, die es ihr erlauben, Probleme zu identifizieren und sofort Gegenmassnahmen zu ergreifen. Das nennt man Kontrolle. Jede Firma muss Strukturen haben, die sicherstellen, dass Gesetze, Regeln und Richtlinien eingehalten werden, das nennt man Compliance.
Es ist unbestreitbar, dass in den letzten Jahren grenzüberschreitender Finanzverkehr mit einer Unmenge von neuen Regeln, Vorschriften, Gesetzen zugeschüttet wurde. Darauf hätte man aber reagieren können, indem man entweder gewisse Geschäfte nicht mehr betreibt, weil Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis mehr stehen – oder indem man sicherstellt, dass die Einhaltung all dieser Regeln garantiert ist. Es stellt sich die Frage, wieso Schweizer Banken dazu nicht in der Lage waren. Darauf gibt es eine einfache Antwort: Gier frisst Hirn.
Das bedeutet hier, dass die Banken einfach zu berechnen versuchten, ob die möglichen Kosten eines Regelverstosses den dadurch möglichen Extraprofit übersteigen würden – oder nicht. Und ob daraus auch ein Schaden am eigenen Portemonnaie entstünde – oder Gehalt und Bonus vor dem Zahltag für die Firma schon kassiert wurden.
Verantwortungslosigkeit
Die meisten von gewaltigen Bussen bedrohten Schweizer Banken sind Aktiengesellschaften. In einer Aktiengesellschaft gibt es eine Geschäftsleitung, die für den reibungslosen Ablauf des operativen Geschäfts zuständig ist. Und einen Verwaltungsrat, der stellvertretend für die eigentlichen Besitzer, die Aktionäre, die richtige Strategie, das Geschäftsmodell, die Leitlinien festlegen sollte.
Und genau hier liegt das Problem. Sowohl Mitglieder der Geschäftsleitung wie des Verwaltungsrats sind Angestellte der Firma, der Bank, nicht ihre Besitzer. Obwohl das in der Schweiz gesetzlich so vorgesehen wäre, gibt es bis heute keinen einzigen Fall, in dem ein Verwaltungsrat, ein Mitglied der Geschäftsleitung für Fehlentscheidungen zur Verantwortung gezogen worden wäre. Und Angestellte denken, im Gegensatz zu Besitzern, kurzfristig, an ihr eigenes Wohlergehen. Gehalt ist kurzsichtig, Kapital ist weitsichtig.
Nicht einmal bei der Swissair, die von einem Versagerrat als ehemals fliegende Bank bis zum Grounding herabgewirtschaftet wurde, hatte das finanzielle Konsequenzen für die Entscheidungsträger. Auch auf dem Finanzplatz Schweiz führten dramatische Fehlentscheidungen bislang höchstens zum abrupten Ende der Karriere.
Nordkoreanische Verhältnisse
Das liegt daran, dass die eigentlichen Besitzer der meisten Banken, die Aktionäre, nur theoretisch ihre Besitzrechte geltend machen können. Bei den Generalversammlungen der beiden Grossbanken UBS und CS, die unlängst stattfanden, sind die Hallen jeweils wohlgefüllt. Tausende von Aktionären sind anwesend. Sie alle zusammen repräsentieren aber nicht mal ein Prozent des gesamten Aktienkapitals.
Sämtliche Entscheidungen einer solchen GV sind bereits zuvor mit den Grossaktionären abgestimmt worden. Da aber weder bei der UBS noch bei der CS ein solcher Grossaktionär mehr als rund 10 Prozent des Aktienkapitals besitzt, kann auch von denen keiner auf den Tisch schlagen. Selbst wenn es aktuell möglicherweise 2,5 Milliarden Gründe gäbe, den gesamten Verwaltungsrat und die gesamte Geschäftsleitung fristlos von ihren Aufgaben zu entbinden.
Noch schlimmer steht es bei den beiden Kantonalbanken mit Staatsgarantie, gegen die ebenfalls strafrechtliche Untersuchungen in den USA laufen. Ihre Besitzer sind die Steuerzahler des jeweiligen Kantons. Deren Interessen sollten vom sogenannten Bankrat wahrgenommen werden. Der ist aber ein im Parteienproporz zusammengesetztes Abklingbecken für verdiente Parteifunktionäre.
Selber schuld
Wo Kontrolle und Aufsicht fehlt, regiert Verantwortungslosigkeit und Haftungsfreiheit. Wo der Eigentümer seine Investition nicht als Mittel zur Mitbestimmung einsetzen kann, bereichert sich der Verwalter. Selbst wenn er den Laden zugrunde richtet. Wenn es nicht zu tragisch wäre, wäre es lustig, wie sich hier der Kapitalismus selbst ad absurdum führt.