Am 10. Januar 1863 fuhr der erste unterirdische Dampfzug von Farringdon nach Paddington. Heute betreibt die „Underground“, wie sie offiziell heisst, elf Linien, 270 Stationen und 402 Kilometer Geleise. Damit ist sie nach Peking (442 km) und Schanghai (423 Kilometer) die drittlängste U-Bahn der Welt.
Im vergangenen Jahr transportierte die „Tube“ (Röhre), wie sie von den Briten genannt wird, knapp 1,2 Milliarden Menschen – ein neuer Rekord, der wohl mit den Olympischen Sommerspielen zusammenhängt.
Kutschen-Chaos im Zentrum von London
Alles begann während der ersten Weltausstellung, die 1851 im Londoner Hyde Park stattfand. Während dieser Industriemesse reiften die Pläne für eine unterirdische Stadtbahn. In London herrschte schon damals ein schreckliches Verkehrschaos.
Aus allen vier Himmelsrichtungen führten mehrere Eisenbahnlinien an die Stadt heran – doch nicht in die Stadt hinein. Die Linien endeten in Kopfbahnhöfen am Stadtrand. Um zu diesen Bahnhöfen zu gelangen, oder zwischen ihnen zirkulieren können, musste man Kutschen benutzen. Das führte in der Innenstadt oft zu einem (von Kutschen verursachten) Verkehrszusammenbruch. Deshalb kam die Idee auf, die Stadt mit einer Untergrundbahn zu durchqueren und die Kopfbahnhöfe zu verbinden.
1860 war mit den Bauarbeiten begonnen worden. Am Eröffnungstag des ersten Streckenabschnitts fuhren 40‘000 Menschen mit dem neuen Verkehrsmittel.
Pop-Art-Grafik
Die erste Linie war die „Metropolitan Line“. Von ihrem Namen leitet sich die Bezeichnung „Metro“ ab, die später für viele U-Bahnen in vielen Städten gebraucht wurde, so die Pariser Métro.
Die elf Linien, die heute in Betrieb sind, haben zwar Namen, aber sie haben vor allem eigene Farben. 1933 zeichnete der Grafikdesigner Harry Beck – gegen viele Widerstände – einen farbigen Liniennetzplan, der heute noch gültig ist. Der Plan gleicht einer Pop-Art-Grafik, ist längst zu einer Ikone geworden und hängt bei vielen Briten zu Hause an der Wand.
Die Stadt wurde zur Stadt für alle
Bis 1890 waren alle Züge mit Dampf betrieben. Viele Briten mieden damals die Tube, denn die Tunnels und ie Züge waren voller Dampf und verursachten Atembeschwerden. Ab 1905 wurden mehr und mehr Strecken elektrifiziert. Einzelne Dampfzüge verkehrten noch bis 1961.
Die „Underground“ erlaubte es zum ersten Mal den Bewohnern, sich in der Stadt für wenig Geld und in kurzer Zeit von einem Ort zum andern zu bewegen. Das Privileg, verschiedene Stadtteile aufsuchen zu können, war nicht mehr nur den Reichen mit ihren Kutschen und Pferden vorbehalten. Die Stadt wurde eine Stadt für alle.
Die Londoner U-Bahn war ein durchschlagender Erfolg und machte in Europa und Übersee Schule. 1896 wurden die Metros von Glasgow und Budapest eingeweiht. Es folgte die Pariser Métro, die anlässlich der Weltausstellung von 1900 eröffnet wurde. Der New Yorker „Subway“ wurde 1904 in Betrieb genommen.
Churchills Kriegskabinett in der U-Bahn-Station
Während der deutschen Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg dienten mehrere der Londoner U-Bahn-Stationen als Luftschutzbunker. In der Station Down Street, nahe dem Hyde Park Corner, die schon 1932 geschlossen wurde, hielten Churchill und sein Kriegskabinett ihre Sitzungen ab.
1968 stieg sogar Queen Elizabeth II. in den Untergrund und eröffnete die (hellblaue) "Victoria Line", genannt nach Königin Victoria.
Während die (violette) „Metropolitan Line“ die älteste ist, ist die 1979 eingeweihte (silbergraue) „Jubilee Line“ die jüngste. Ihr Name bezieht sich auf das silberne Thronjubiläum von Königin Elizabeth II. Die Linie wurde 1999 verlängert und bedient nun auch die nordöstlichen Vororte Londons.
Die längste Linie (74 Kilometer), die auch am meisten Passagiere befördert (260 Millionen pro Jahr), ist die (rote) „Central Line“, die unter anderem die Stationen Shoreditch (sonntäglicher Multikulti-Markt), Liverpool Street, St. Paul’s, Oxford Circus, Bond Street und Marble Arch bedient.
Die teuerste U-Bahn der Welt
Die Tube ist auch die teuerste Untergrundbahn der Welt. Eine einzige Fahrt zwischen der Zone 1 und 2 kostet in Spitzenzeiten 7,30 Pfund. Für Touristen werden Tageskarten empfohlen, die für die inneren vier Stadt-Zonen 11 Pfund kosten.
Aircondition gibt es in den Zügen keine. Doch dank der Olympischen Spiele im letzten Sommer kann man jetzt von den Wagen aus per Handy telefonieren oder sogar seinen Laptop oder sein iPad aufschalten. Mehrere Stationen wurden im Hinblick auf Olympia modernisiert.
Selbstmord-Versuche
Wie in Paris kommt es auch in London regelmässig zu Suizid-Versuchen in der U-Bahn, vor allem am Freitagabend. Diese bringen meist lange Verspätungen im Zug-Betrieb. In den neuen Stationen der „Jubilee Line“ wurden an den Bahnsteigen Glaswände errichtet, um Selbstmordversuche zu verhindern.
Die Londoner Tube gehört zu den sichersten Verkehrsmitteln. Das schwerste Unglück ereignete sich am 28. Februar 1975. Ein Zug der „Northern Line“ prallte gegen eine Wand am Tunnelende, 43 Menschen starben.
Am 7. Juli 2005 verübten islamistische Selbstmordattentäter Anschläge auf drei U-Bahn-Züge und einen Doppeldecker-Bus. 56 Menschen starben, 700 wurden teils schwer verletzt.
45 Prozent der Strecken sind oberirdisch
Jeder Zug legt im Jahr eine Strecke zurück, die dem dreifachen Weltumfang entspricht. Die U-Bahn heisst zwar „Underground“, doch 45 Prozent des Streckennetzes sind oberirdisch, vor allem jenes am Rande der Stadt.
Das weltweit berühmt gewordene Logo der „Underground“ gibt es schon seit 1908. Und die Lautsprecher-Ansage beim Öffnen der Türen ist in ganz Britannien zu einem geflügelten Wort geworden: Mind the gap.
(hh)