Der Informationsminister persönlich hat am syrischen staatlichen Fernsehen erklärt, "bewaffnete Banden" hätten das Sicherheitshauptquartier in dem Ort überfallen, und in den Kämpfen seien 120 Soldaten und Sicherheitsleute umgekommen. Er drohte, die Regierung werde zurückschlagen, um die "Legalität" wiederherzustellen.
Die entgegengesetzte Version stammt von verschiedenen Aktivisten und deren Websites sowie von einzelnen Bewohnern des Ortes. Sie sagen aus, es habe Kämpfe und Tote gegeben. Aber die Kämpfe hätten zwischen den Sicherheitskräften statt gefunden. Ein Bewohner berichtete, Soldaten und Sicherheitsleute seien auf die unbewaffneten Demonstranten zugelaufen, aber dann von anderen in den Rücken geschossen worden. Andere sagen, innerhalb der Gebäude der Sicherheitskräfte habe man Explosionen und Schüsse gehört, dann habe eine Explosion das ganze Gebäude zerstört. Die Demonstranten seien unbewaffnet davor gestanden.
Die Sprache der Propaganda
Die Vermutung in Aktivistenkreisen ist, dass eine Meuterei innerhalb der Sicherheitskräfte ausgebrochen sei, weil ein Teil dieser Kräfte sich geweigert habe, auf die Demonstranten zu schiessen. Sie befürchten, dass die Regierung nun eine Strafaktion gegen die Bewohner des Fleckens durchführen wird, und sie haben die Aussenwelt um Hilfe gebeten.
Welche der beiden Versionen der Wahrheit näher kommt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, weil alle unabhängigen Journalisten von Syrien ferngehalten werden. Doch woher die "bewaffneten Banden" kommen sollen, von denen die Regierung spricht, ist unklar. Es ist auch zu beachten, dass dieser Ausdruck routinemässig von den Regierungssprechern verwendet wird, sobald es zu Schiessereien kommt oder gekommen sein soll, während Begriffe wie "Demonstranten" oder "Aktivisten" oder gar "unbewaffnete Demonstranten" in der Propagandasprache des Regimes nicht vorkommen.
Alawiten und Sunniten
Anderseits hat es bereits des öfteren unbestätigte Berichte aus Kreisen des Widerstandes gegeben, nach denen Soldaten, die sich geweigert hätten, auf die Demonstranten zu schiessen, von den syrischen Truppen erschossen worden seien.
In Jisr ash-Shaghour waren am Vortage, am 5. Juni, drei oder vier der Bewohner (je nach Quelle), die an einem Begräbnis- und Protestzug teilnahmen, von Scharfschützen, die auf den Dächern postiert waren, erschossen worden.
Bei allen Berichten über angebliche Meutereien und deren Niederschlagung muss man den Hintergrund in Rechnung stellen, der daraus besteht, dass die Elitetruppen und führenden Sicherheitsleute des Regimes aus Alawiten zusammengesetzt sind, die syrische Arme aber eine Volksarmee ist, in der alle jungen Syrer zu dienen haben, mithin eine Mehrheit von Sunniten.
Man kann zudem davon ausgehen, dass die Alawiten, die seit 1970 zunehmend die entscheidenden Sicherheitsposten besetzt halten und zu deren Gemeinschaft auch der Staatschef und seine unmittelbare, stark privilegierte Umgebung gehören, befürchten müssen, bei einer Niederlage ihres Regimes all ihre bisherigen Vorteile und Privilegien zu verlieren und möglicherweise von der sunnitischen Mehrheit für den Missbrauch der Macht und Willkürakte zur Rechenschaft gezogen zu werden.