Vom 26. bis 31. Juli finden in Krakau die katholischen Weltjugendtage statt. In diesem Zusammenhang besucht auch der Papst Polen. Von dem Grossereignis verspricht sich nicht nur die polnische Kirche positive Schlagzeilen. Auch die nationalkonservative Regierung hofft auf einen Prestigegewinn.
Schon seit einem Jahr sind die SDM, das Kürzel für „Swiatowy Dni Modziezy“ (Welttage der Jugend) in Krakau im Gespräch. 60'000 freiwillige Helfer sind beteiligt. Ein Riesengelände in der Nähe von Krakau wurde mit grossem Aufwand für die Veranstaltungen mit dem Papst hergerichtet. Auch die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm und wurden nach dem Attentat in Nizza nochmals verschärft.
Es werden über 2 Millionen Teilnehmer erwartet, die meisten davon aus Polen selbst. Polen ist weltweit eines der Länder mit dem grössten Katholikenanteil an der Bevölkerung. Nach Angaben der Kirche waren 2014 91,9 Prozent aller Polen als Katholiken registriert.
Langsame Säkularisierung
Umfragedaten zeigen allerdings eine wenn auch schwache Säkularisierung an. Nach dem renommierten Umfrageinstitut CBOS bezeichneten sich im Herbst 2014 nur noch 8 Prozent als tiefgläubig, Vor 10 Jahren waren es noch 12 Prozent. Die Zahl der Nichtgläubigen nahm hingegen im gleichen Zeitraum von 4 auf 8 Prozent zu. Bei den 18- bis 24-Jährigen war die Zunahme ausgeprägter, die Zahl stieg von 6 auf 15 Prozent. Auch die Zahl der nicht Praktizierenden wuchs bei dieser Altersgruppe von 10 auf 18 Prozent und lag damit 5 Prozent über dem Gesamtwert.
Allerdings sind die Kirchen in Polen am Sonntag immer noch voll. Nach Erhebungen der Kirche besuchten im Jahr 2014 knapp 4 von 10 Katholiken am Sonntag die Messe. Diese Zahl hat sich in den letzten 20 Jahren etwas vermindert, ist aber vergleichsweise hoch. In Deutschland zum Beispiel war das Verhältnis 2014 nur gerade 1 von 10. In Umfragen geben vor allem die jüngeren Erwachsenen an, weniger bei Gottesdiensten teilzunehmen als der Durchschnitt.
Die Weltjugendtage kommen da gelegen, ein medienwirksames Zeichen gegen eine zunehmende Säkularisierung zu setzen. Gerade in den Grossstädten ist der Trend besonders sichtbar. Hier gaben auch 2015 nur noch 12 Prozent an, sich stark mit ihrer Pfarrei zu identifizieren, auf dem Lande waren es immerhin noch 28 Prozent.
Individualisierung des Glaubens
Die grössten Veränderungen fanden im Verhältnis der Gläubigen zur kirchlichen Doktrin statt. Wie schon in den meisten westlichen Ländern fand eine eigentliche Individualisierung statt. 2005 wählten beispielsweise noch 66 Prozent die Antwortkategorie, sie seien gläubig und hielten sich an die kirchlichen Lehren. 10 Jahre später waren es nur noch 39 Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil derjenigen, die sich als gläubig, aber auf ihre eigene Art definierten, von 32 Prozent auf 52 Prozent an. Das ist eine Trendumkehr, wie man sie in so kurzer Zeit selten beobachten kann.
Dabei kam es zu interessanten Kombinationen von Einstellungen. Zwar gaben Mehrheiten an, grundlegende Dogmas anzuerkennen wie die Existenz eines Jüngsten Gerichtes und die Unsterblichkeit der Seele – immerhin fast 70 Prozent. Aber gut ein Drittel stimmte auch der Aussage zu, dass Tiere ebenfalls eine unsterbliche Seele hätten, und knapp ein Drittel bejahte die Existenz einer Seelenwanderung.
Bei ethisch-moralischen Fragen ist die Individualisierung noch ausgeprägter. So stimmten zum Beispiel 2013 nur noch 16 Prozent der Meinung zu, die Religion begründe richtige moralische Grundsätze, 41 Prozent meinten, dafür reiche das eigene Gewissen. Klare Mehrheiten sind gegen das Verbot der Schwangerschaftsverhütung, des vorehelichen Sex oder der In-vitro-Befruchtung. Nur bei der Abtreibungsfrage hat die katholische Doktrin an Popularität gewonnen. Das auf Druck der Kirche eingeführte sehr restriktive Gesetz von 1993 wird heute von einer Mehrheit unterstützt (vgl. Journal21 vom 12.04.2016).
Widersprüchliches Verhältnis zur Institution Kirche
Die Kirche ist in Polen die einzige mächtige nichtstaatliche Institution. Dies zeigt sich schon an ihrem umfangreichen Personalbestand. Es gibt fast 31’000 Priester – 1992 waren es erst 23'000 gewesen – und rund 20'000 Schwestern. Überraschenderweise hat der Beruf des Priesters aber ein niedriges Prestige. Von 30 Berufen rangierte er in einer Studie von 2013 erst an 24. Stelle. Nur gut 40 Prozent brachten ihm grosse Achtung entgegen. Geringe Achtung äusserten 21 Prozent – nur Parlamentsabgeordnete und Parteikader wiesen schlechtere Werte auf. Hierbei kommt ein widersprüchliches Verhältnis zur Kirche generell und ihrem Personal im Besonderen zum Ausdruck.
Einerseits ist die Kirche populär als nationale Institution. Das hat historische Gründe. Polen ist schon seit 1050 Jahren katholisch, was diesen Frühling mit grossem Pomp gefeiert wurde. In den Zeiten der Fremdherrschaft und während des Realsozialismus war die Kirche die einzige Institution, die Polens nationale Kultur verteidigte. So gilt der Katholizismus denn auch für fast 90 Prozent als wichtiger Bestandteil des „Polentums“.
Anderseits ist die Kirche auch Kritik ausgesetzt. Nach der Wende von 1989 baute die Kirche ihren politischen und weltanschaulichen Einfluss aus. Dabei verfolgte sie insgesamt einen konservativ-traditionalistischen Kurs, der nicht überall gut ankam. Die Präsenz von Kirchenvertretern in der Öffentlichkeit war sehr gross, manchmal selbst für die in dieser Hinsicht toleranten Polen zu penetrant. Besonders kritisch wurden Tendenzen in der Kirche beurteilt, sich als Staat im Staat aufzuführen, sich über das Recht zu stellen, gerade bei der Vertuschung von sexuellem Missbrauch von Kindern.
Die Kirche gilt insgesamt als vermögend. Bei der Reprivatisierung von Gebäuden und Grundstücken hatte sie besonders zulegen können. Allerdings ist die unmittelbare Finanzlage vieler Bistümer und Pfarreien nicht rosig. Denn diese müssen sich weitestgehend aus eigenen Mittel finanzieren, durch Spenden in Gottesdiensten, Abgaben für kirchliche Dienste usw. Die Unterschiede innerhalb der Kirche sind entsprechend gross. Deshalb stösst auch der aufwändige Lebensstil vieler Priester, vor allem von Bischöfen, aber auch von wohlhabenden Pfarrern, auf Kritik. Nicht umsonst kursiert schon seit längerer Zeit das geflügelte Wort vom „Mercedes vor dem Pfarrhaus“.
Kirche und Politik
Insgesamt wurde die Tätigkeit der Kirche im April dieses Jahres immer noch von einer Mehrheit von 55 Prozent positiv bewertet. Anfangs 1990 waren es allerdings 90 Prozent gewesen. Schon fast ein Drittel gab ein negatives Urteil ab. Was den meisten Polen nicht passt, ist die Einmischung der Kirche und ihrer Vertreter in die Politik. Mehrheiten plädierten auch 2015 dafür, dass sich die Kirche aus der Politik heraushalten solle, sowohl was die Gesetze (55 Prozent) wie die unmittelbare Einflussnahme von der Kanzel angeht (84 Prozent). Letztere war zwar gemäss einer Umfrage kurz nach den Parlamentswahlen vom Herbst 2015 nicht weit verbreitet. Immerhin gab aber gut ein Viertel an, dass in ihrer Pfarrei politische Empfehlungen und Stellungnahmen vorgekommen seien.
Nachdem im Herbst letzten Jahres das nationalkonservative Lager von Jaroslaw Kaczynski die Macht übernommen hat, sind die direkten und vor allem die indirekten Einflussmöglichkeiten der Kirche weiter gewachsen.
So haben beispielsweise viele (erz)katholische Journalisten zu den staatlichen Medien gewechselt. Die Kirche hatte schon seit längerer Zeit ein eigentliches Medienimperium aufgebaut. Dabei dominierten traditionalistische Orientierungen wie bei Radio Maria oder TV Tram.
Die herrschende PiS (Recht und Gerechtigkeit) hat bisher die vor den Wahlen gemachten weltanschaulich geprägten Versprechungen erst zaghaft umgesetzt. Kaczynski ist sich des grundlegenden Dilemmas sicher bewusst: Einerseits muss er seine zahlreichen traditionalistischen Anhänger zufriedenstellen, anderseits sind die meisten Anliegen wie eine Verschärfung des Abtreibungsverbotes oder eine Aufhebung der In-vitro-Befruchtung unpopulär. Bisher wurden vor allem „Zückerchen“ verteilt, wie die Möglichkeit, Religion als Maturafach wählen zu können. Eine erste grosse Auseinandersetzung wird die im Parlament anstehende Behandlung der radikalen Gesetzesinitiative „Stopp der Abtreibung“ auslösen, die anfangs Juli von Pro-Life-Organisationen mit fast einer halben Million Unterschriften eingereicht wurde.
Viele Bischöfe und Priester setzen grosse Hoffnungen in das PiS-Regime. Angesichts der starken Polarisierung (vgl. journal21 06.06.2016) halten sie sich zwar mit öffentlichen Stellungnahmen zurück, erwarten aber eine Stärkung der Kirche und der Religion in der polnischen Gesellschaft. Wahrscheinlich werden auch radikale traditionalistische Kreise noch mehr zulegen. Allerdings dürften grundlegende Trends wie Säkularisierung und Individualisierung höchstens gebremst, aber nicht aufgehalten werden.