Wie auch? Dann müssten sie in der Lage sein zu beurteilen, dass sie nicht urteilen können. Das ist ein Widerspruch, aber das Fatale ist, dass wir heute nur ganz einfache Fragen stellen müssen, um uns selbst mangelndes Urteilsvermögen zu attestieren.
Die Rede ist von den aktuellen Krisen in der Ukraine und um Griechenland. Unser Urteilsvermögen scheitert schon an der Tatsache, dass wir zwischen Propaganda und Information kaum unterscheiden können. Sollen wir nur den westlichen Medien glauben? Oder könnten andere Quellen auch etwas Wahres behaupten? Allein das ist schon schwierig. Noch schwieriger ist es, sich das, von dem täglich berichtet wird, vorzustellen. Können wir uns zum Beispiel vorstellen, wie ein Telefongespräch zwischen Merkel und Putin abläuft? Haben wir dafür auch nur den geringsten Vergleichspunkt aus unserer Erfahrung? Wie beginnt Merkel ein Gespräch, wie genervt reagiert Putin – oder umgekehrt? Und wie flüstern die Berater?
Und Griechenland. Können wir beurteilen, ob die politischen und administrativen Akteure der Europäischen Union und die obersten Hüter der Währung endlich einmal letzte Prinzipien durchsetzen müssen oder ob ein Staatsbankrott Griechenlands unabsehbare Konsequenzen hätte, die um jeden Preis zu vermeiden sind? Haben wir eine Ahnung davon, wie ein derartig kleines Land in rekordverdächtig kurzer Zeit dermassen gigantische Schulden aufhäufen konnte, dass ganz Europa dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird?
Man stelle sich vor, wir müssten vor einer Prüfungskommission Fragen dieser Art beantworten. Da wären wir ganz schön angeschmiert. Aber auf unsere Urteilsfähigkeit kommt es an, denn die Demokratie verlangt nach dem „mündigen Bürger“ und die Politiker wollen unsere Zustimmung. Wir sollen den Experten und den Entscheidern Urteilsfähigkeit zubilligen. Wie aber, wenn wir von unserer eigenen Urteilsunfähigkeit auf deren Urteilsunfähigkeit schliessen müssten? Oder sollen wir annehmen: Die wissen schon, was sie tun, aber wir können es leider nicht beurteilen?