Der irrtümliche Beschuss von Touristen in der ägyptischen Wüste hat deutlich gemacht, dass extremistische Djihadisten ihr Aktionsfeld in Ägypten ausweiten.
Am Sonntag war eine mexikanische Touristengruppe mit ihren ägyptischen Begleitern in der westlichen ägyptischen Wüste von einem Armeehelikopter aus beschossen worden.
Über die Zahl der Toten gibt es unterschiedliche Meldungen. Nach offiziellen Angaben starben zwölf Menschen; zehn weitere wurden verwundet. Unter ihnen befinden sich zwei Mexikaner. Andere Berichten sprechen von zwanzig Toten. Nach Angaben des mexikanischen Botschafters in Kairo werden noch immer sechs Mexikaner vermisst.
Schuldzuweisungen
Die Touristen waren in vier Geländewagen, begleitet von einer Polizeieskorte, unterwegs. Als sie beim Picknick waren, feuerte ein Apache-Helikopter, der schon lange über ihnen kreiste, auf die Gruppe.
Zu dem fatalen Zwischenfall kam es, weil die Helikopterbesatzung bei ihrer Jagd auf Kämpfer des „Islamischen Staats“ (IS) die Touristen mit Terroristen verwechselt hatte. Der Zwischenfall ereignete sich zwischen den Oasen Farafra und Baharija.
Inzwischen macht die Regierung die Reiseveranstalter verantwortlich, weil sie sich mit den Urlaubern in einem gesperrten Gebiet aufgehalten hätten. Dem widersprechen die Reiseführer. Sie seien von der Touristenpolizei begleitet worden und hätten mehrere Kontrollposten passiert. Im Internet publizieren sie auch ein Bild der Reiseerlaubnis. Das Innenministerium und die Armee schieben sich gegenseitig die Schuld zu.
Anti-Terror-Gesetz
Vieles ist noch unklar. Die ägyptischen Medien dürfen keine Meldungen publizieren, die nicht mit den offiziellen Erklärungen übereinstimmen. Doch diese Erklärungen sind lückenhaft und nicht frei von Widersprüchen.
Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi hatte kürzlich ein Anti-Terror-Gesetz erlassen. Darin werden Medienschaffende verpflichtet, bei terroristischen Ereignissen nur die offizielle Version zu verbreiten. Tun sie das nicht und publizieren sie zusätzliche oder andere Meldungen, drohen ihnen hohe Geldbussen und lange Gefängnisstrafen. Auch bei der Bekanntgabe der Zahlen von Toten und Verwundeten müssen sich die Journalisten an die offiziellen Zahlen halten.
"Sinai Emirat"
Der Zwischenfall macht deutlich, dass die Terroristen in Ägypten in Präsenz verstärken. In der „Westlichen Wüste“ Ägyptens, das heisst, in der Sahara westlich des Niltals bis zur ägyptisch-libyschen Grenze, war es bisher eher ruhig geblieben.
Nicht so auf der Sinai-Halbinsel, wo der „Islamische Staat“ das „Sinai Emirat“ eingerichtet hat. Dort kämpfen Djihadisten gegen die ägyptische Armee. Manchmal haben sich IS-Kämpfer auch über den Suezkanal hinweg in die östliche Wüste begeben und Anschläge verübt. Auch in Kairo und Umgebung fanden Attentate statt.
Erstmals in der westlichen Wüste
Jetzt machen sich erstmals IS-Kämpfer in der westlichen Wüste bemerkbar. Es ist anzunehmen, dass die Terroristen aus Libyen kommend nach Ägypten eingedrungen sind. Dieser Zugang ist einfacher und unkomplizierter als jener quer durch das Niltal und über den Nil hinweg von Osten nach Westen.
Via Internet hatte der „Islamische Staat“ erklärt, er habe in der westlichen Wüste, in der bei Touristen beliebten Oase Farafna „eine Präsenz“ errichtet. Zudem hätten die IS-Kämpfer einen Angriff der ägyptischen Streitkräfte „abgewehrt“.
Vor den Wahlen
Während man sich in Ägypten über die Verantwortung für den Zwischenfall streitet, bereitet sich das Land auf Wahlen vor. Diese sollen am 17. Oktober beginnen und bis in den November hinein dauern. Doch wichtig sind sie nicht, denn man weiss schon heute, dass Präsident Sisi und seine Anhänger haushoch gewinnen werden.
Ägypten wird zurzeit von einem Übergangskabinett regiert. Die bisherige Regierung war auf Wunsch des Präsidenten zurückgetreten. Zuvor war der Gesundheitsminister zum Rücktritt gezwungen worden. Er wurde festgenommen und steht unter Korruptionsklage. Offenbar waren weitere neun Minister in Korruptionsaffären verwickelt. Deshalb forderte der Präsident den Rücktritt der gesamten Regierung. Demnächst jedoch soll eine neue Regierungsmannschaft bestimmt werden.
Symbolische Korruptionsbekämpfung
Die Korruptionsbekämpfung steht ganz oben auf der Agenda von Präsident Sisi. Doch die Korruption reicht bis tief ins Beamtentum und ins Wirtschaftsleben. Die Absetzung einiger Minister ist nicht mehr als ein symbolischer Akt.
Die gesamte ägyptische Bürokratie ist korrupt, denn die Gehälter der meisten Beamten und Staatsangestellten sind allzu gering, um ihre Familien durchzubringen. Das gilt sogar für die Lehrer der staatlichen Schulen. Um wirtschaftlich überleben zu können, sind die Lehrkräfte gezwungen, Privatstunden zu geben. Deshalb führen sie den Unterricht so durch, dass Kinder Privatstunden brauchen um weiterzukommen. Zur erfolgreichen Korruptionsbekämpfung bräuchte es auch Richter und Gerichte, und zwar solche, die aufgrund der Gesetze urteilen – und nicht aufgrund von „Weisungen von oben“.