Eine Zeitlang blickte man auf das Unternehmen Cambridge Analytica besonders in Medienkreisen mit geradezu hypnotischer Faszination. Die Firma mit dem respektabel klingenden britischen Namen war nach ihrer Gründung 2014 hauptsächlich in den USA tätig. Nach dem völlig überraschenden Sieg Donald Trumps bei den Präsidentschaftswahlen 2016 erregten Repräsentanten von Cambridge Analytica nicht geringes Aufsehen mit der Behauptung, das Datenanalyse-Unternehmen habe für das Zustandekommen dieses Ergebnisses eine entscheidende Rolle gespielt.
«Geheimrezept» von Cambridge Analytica
Die Firma habe mit ihrer einzigartigen Methode zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen ein System entwickelt, um via die sozialen Medien Millionen von ausgesuchten Wählern (Microtargeting) jene Botschaften zukommen zu lassen, die sie am besten zur Wahl von Trump beeinflussen könnten. Über dieses angeblich exklusive «Geheimrezept» ist nach Trumps Erfolg auch in Schweizer Medien mit gläubigem Staunen berichtet worden. Endlich, so wurde dem Publikum offenbart, könne man eine bündige Erklärung für den schwer fassbaren Wahltriumph des republikanischen Aussenseiters liefern.
In Tat und Wahrheit konnte von einem «Geheimrezept» keine Rede sein. Microtargeting wird seit der Ausbreitung des Internets von kommerziellen Unternehmen praktiziert. Wenn ich bei Migros regelmässig Katzenfutter kaufe, bekomme ich nach einiger Zeit automatisch die neuesten Angebote in Sachen Katzenfutter zugeschickt – die Daten-Analyse weiss, bei welchen Adressaten Werbung die beste Wirkung verspricht.
Untergang eines vermeintlichen Leuchtsterns
Anders als bei der Katzenfutter-Werbung ist es aber bei Wahlkämpfen praktisch unmöglich, die Wirkung der «targeted messages» auf das Wahlergebnis halbwegs zuverlässig herauszufinden. Erstens kann der Absender ja höchstens durch aufwendige Befragungen in Erfahrung bringen, für welchen Kandidaten sich der Adressat entschieden hat. Und zweites wird kein Wähler je genau beantworten können, aufgrund welcher Propaganda er für den republikanischen oder demokratischen Bewerber gestimmt hat. Aber natürlich haben die Werbetreibenden und Datenjongleure selber grösstes Interesse daran, ihren Auftraggebern und dem Publikum einzureden, dass es ihre geniale Strategie war, die den Erfolg (sofern ein solcher zustande kommt) herbeigezaubert hat.
Dem Unternehmen Cambridge Analytica mit seinen vermeintlich phänomenalen Microtargeting-Künsten war übrigens keine lange Frist als Leuchtstern unter den Wahlkampf-Strippenziehern vergönnt. Zwei Jahre nach dem Trump-Wahlsieg und dem Erfolg der Brexit-Befürworter in Grossbritannien, bei denen die Firma ebenfalls mitgemischt haben soll, ist Cambridge Analytica in Konkurs gegangen.
Dies obwohl das Unternehmen zuvor aufs engste mit dem amerikanischen Milliardär und grosszügigen Geldgeber der Republikaner, Robert Mercer, sowie dem früheren Chefberater Trumps, Stephen Bannon, verbandelt war. Im Zusammenhang mit den Aktivitäten der Datenfirma wurde ausserdem das soziale Netzwerk Facebook gezwungen, im Rahmen eines Vergleichs fünf Milliarden Dollar zu bezahlen, weil es Cambridge Analytica gegen 90 Millionen Datensätze verkauft hatte.
Tropfen im Meer des allgemeinen Nachrichtenstroms
Mit diesen ernüchternden Hinweisen auf die angebliche «Wunderwaffe» des Microtargeting soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass es bei Wahlkämpfen in demokratischen Ländern nicht Versuche von Akteuren im In- und Ausland gibt, durch Manipulationen im IT-Bereich die Ergebnisse in eine bestimmte Richtung zu dirigieren. Solche Versuche zielen auf die technische Infrastruktur der am Wahlprozess beteiligten Organisationen. So ist bekannt, dass russische Hacker E-Mails des National Democratic Committee gestohlen und diese über WikiLeaks als Wahlkampfmunition gegen Hillary Clinton verbreitet hatten. Die Wirkung dieser Hacker-Operation bleibt auch in diesem Fall im dichten Nebel der Spekulationen.
Im laufenden US-Wahlkampf sind gemäss dem Geheimdienstkoordinator John Ratcliffe russische, chinesische und iranische Aktivitäten festgestellt worden, die als Versuche zur Wahlkampf-Einmischung angesehen werden. So seien Daten von Wählerregistern entwendet worden – offenbar um diese wiederum für «targeted messages» einzusetzen.
Allerdings sind diese Register in manchen Gliedstaaten öffentlich zugänglich, sodass es offenkundig keine besondere Kunst ist, sie für manipulative Zwecke, zum Beispiel für «targeted messages», zu missbrauchen. Dass gerade von russischer Seite erhebliche Aktivitäten unternommen werden, um die Meinung in westlichen Gesellschaften zu beeinflussen, weiss man spätestens seit den Enthüllungen über die sogenannte Troll-Fabrik des Putin-Freundes Jewgeni Prigoschin in St. Petersburg.
Die konkrete Durchschlagskraft solcher manipulativen Internetpraktiken ist inzwischen von verschiedenen Seiten immer mehr in Zweifel gezogen worden. Davon, dass deren Wirkung kaum zuverlässig gemessen und verhältnismässig eingeordnet werden kann, war hier schon die Rede. Ausserdem lässt auch der quantitative Vergleich solch offener oder verdeckter Microtargeting-Operationen mit den im allgemeinen Nachrichtenstrom verbreiteten Propaganda-Botschaften erahnen, dass es sich lediglich um einen Tropfen im unendlichen Meer der politischen Beeinflussungsversuche via Fernseh- und Radiowerbung, Plakakate, Like- und Shitstürme im Internet handelt.
Millionen Klicks für Trumps Fake-News
So hat im September das Magazin «The New Yorker» in einem längeren Bericht zu diesem Thema darauf hingewiesen, dass laut Geheimdienst-Erkenntnissen eine Reihe von Websites mit russischen Verbindungen irreführende Erklärungen einiger dissidenter amerikanischer Ärzte über die Corona-Krise publizierten. Diese Meldungen generierten nur einige tausend Klicks. Demgegenüber wurde ein von Präsident Trump per Tweet weitergeleitetes Video mit verharmlosenden und falschen Behauptungen zur Corona-Epidemie nicht weniger als 14 Millionen Mal konsumiert.
Die meisten Beobachter sind sich auch einig, dass das eigentliche Ziel ausländischer Einflussversuche im amerikanischen Wahlkampf weniger darin besteht, den einen oder andern Präsidentschaftskandidaten zu unterstützen, als vielmehr Verunsicherungen und Zweifel unter den Wählern an der Stabilität und Funktionstüchtigkeit der demokratischen Institutionen zu schüren.
Doch solche Aktionen muten inzwischen ziemlich überflüssig an, wenn Präsident Trump seit Wochen bei jeder Gelegenheit behauptet, der bevorstehende Wahlgang werde sich als ein «korruptes Unternehmen» herausstellen und die briefliche Stimmabgabe, für die sich Millionen von Bürgern entscheiden, werde von den Demokraten mit Sicherheit manipuliert.
Auch die russisch-amerikanische Autorin Masha Gessen, die in Moskau aufgewachsen ist und über die politischen Verhältnisse in den USA und in Russland bestens Bescheid weiss, beurteilt die Berichte und Spekulationen über die Bedeutung russischer Troll-Botschaften und anderer Fake News oder «targeted messages» beim Wahlsieg Trumps vor vier Jahren mit grösster Skepsis. Im «New Yorker» schrieb sie dazu ironisch: «Viele Amerikaner möchten gerne glauben, dass die Russen Trump gewählt haben und nicht die Amerikaner.»