Der Schweizer Fotojournalist Walter Bosshard (1892–1975) hat in den 1930er Jahren speziell mit seinen Reportagen aus China ganz neue Massstäbe gesetzt. Seine Berichte in Wort und Bild waren in Europa ebenso verbreitet wie in den USA. Nach seiner Glanzzeit in den 1930er Jahren begann sein Stern zu sinken, und nach seinem Tod geriet er in Vergessenheit.
Wenige Bilder
Die Retrospektive in der Fotostiftung Schweiz ist weit mehr als die Erinnerung an einen grossartigen Journalisten und Fotografen. Denn sie versetzt die Betrachter mit den Bildern aus China der 1930er Jahre in eine Situation, die mit denen der früheren Leser und Betrachter vergleichbar ist. Damals waren die Bilder neu und zeigten ein für sie nahezu unbekanntes Land.
Dem heutigen Betrachter ergeht es kaum anders. Denn er kennt zwar in groben Zügen die Geschichte Chinas in den 1930er Jahren, aber es fehlt heute wie damals an Anschauung. Denn das Bildmaterial ist äusserst rar. Übrigens auch auf chinesischer Seite: Im Zuge der Kulturrevolution ist vieles vernichtet worden, und auch heute werden viele Bilddokumente aus ideologischen Gründen unter Verschluss gehalten.
Der japanisch-chinesische Krieg
In der erbitterten Auseinandersetzung zwischen den Nationalisten unter der Führung von Tschiang Kai-shek und den sich mehr und mehr formierenden Kommunisten unter Mao war es für ausländische Journalisten kaum möglich, Zugang zu beiden Seiten zu bekommen. Dazu kam eine weitere Schwierigkeit: Seit 1931 führten die Japaner gegen China Krieg. Im Jahr 1937 begannen sie mit einer Grossoffensive. Nach und nach besetzten sie Beijing, Tianjin und Shanghai, um schliesslich Nanjing zu erobern. Ihr Vorgehen war von äusserster Brutalität. In Nanjing wurden über mehrere Wochen 20’000 Frauen vergewaltigt und etwa 200’000 Zivilisten abgeschlachtet. Im gesamtem Krieg forderten modernste Waffen und Skrupellosigkeit viele Millionen Opfer.
Walter Bosshard verfügte über die nötigen Eigenschaften und Fähigkeiten, um unter diesen Schwierigkeiten Fuss zu fassen. Von Jugend an hat ihn Asien fasziniert. Schon 1927/28 nahm er als Fotograf an der „Deutschen Zentralasien Expedition“ teil. 1930 bekam er von der Münchner Illustrierten Presse und von der Fotoagentur Dephot den Auftrag, acht Monate lang Indien zu bereisen. Die dabei entstandenen Porträts von Mahatma Ghandi gingen um die Welt. Als er 1931 nach China ging, lernte er Mandarin. Er war ein begeisterter Reisender, der sich mit einfachsten Lebensbedingungen arrangieren konnte und schwierigste Situationen scheinbar spielerisch bewältigte. Dazu kam seine Gabe, auf Menschen zuzugehen, Kontakte zu knüpfen, Vertrauen und Sympathien zu gewinnen.
Und so konnte er, typischerweise mit mehreren Kleinbildkameras und zuweilen auch einer Filmkamera behängt, auch dort seiner Arbeit nachgehen, wo andere hoffnungslos hängen blieben. Sein berühmter Kollege Robert Capa zum Beispiel, der 1938 die Kuomintang besuchte, litt darunter, dass er immer nur unter ihrer Aufsicht fotografieren durfte. Erst Walter Bosshard ebnete ihm einige Wege.
Aufgrund seines diplomatischen Geschicks gelang es Bosshard, in die engste Umgebung von Tschiang Kai-shek und dessen Frau zu kommen und danach Mao zu besuchen, ihn ausführlich zu interviewen und Porträts zu machen, die die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte – und die für die heutigen Betrachter ebenfalls auf ihre Art neu sind.
Als der Kurator Peter Pfrunder die Ausstellung und das begleitende Buch vorbereitete, gab es im Vorfeld schon kleinere Ausstellungen in China. Dabei stellte sich heraus, dass Bosshards Bilder auch für chinesische Betrachter etwas zeigten, was sie bis dahin nur aus Erzählungen kannten. Die chinesische Schriftstellerin Zhang Wei, die Peter Pfrunder beraten und an der Ausstellungseröffnung teilgenommen hat, schilderte auch in der NZZ sehr bewegend, was es für sie bedeutet, Bilder von einer Vergangenheit zu sehen, über die man sich lange Zeit nur flüsternd unterhalten konnte.
In der Ausstellung gibt es ein paar eindrucksvolle Schlaglichter auf die damalige Bedeutung und Entwicklung der Printmedien. Die Berliner Illustrierte Zeitung zum Beispiel, die es Anfang der 1930er Jahre auf eine Auflage von 2 Millionen Exemplaren brachte, konnte mit Bosshards Reportagen enorm punkten. Auch die neue Zürcher Zeitung brachte Bosshards Mao-Interview und die dazu gehörenden Bilder in 6 Folgen. Die Begleitpublikation zur Ausstellung gibt einen hervorragenden Einblick in Art, wie Bossards Bilder damals in den Illustrierten erschienen.
Als die Nationalsozialisten die Presse gleichschalteten, suchte sich Bosshard neue Plattformen. Den Sprung in den angelsächsischen Raum und nach Amerika schaffte er leicht. Über die Bildagentur Black Star gelangte er an verschiedene potente Abnehmer. Life war an seinen Reportagen so interessiert, dass Bosshard mit ersten Farbfilmen der Firma Kodak versorgt wurde. Er gab seinem Kollegen Robert Capa einige davon ab, und so entstanden 1938 die ersten farbigen Kriegsbilder. Der traurige Anlass war die Bombardierung und Besetzung Hankous durch die Japaner.
Man kann nicht sagen, dass Walter Bosshard nur China zum Thema gehabt hätte. Die Berliner Illustrierte Zeitung brachte zum Beispiel seine Reportage von einer Zeppelinfahrt über die Antarktis. Auf dem Titelbild dieser Reportage prangte Bosshard, der ganze Stolz der Blattmacher.
Als Walter Bosshard sich nach dem 2. Weltkrieg mehr auf das Schreiben verlegte und wegen eines Unfalls nicht mehr so mobil wie früher war, blieb er ein hoch geachteter Journalist und Buchautor, aber der frühere Glanz verging nach und nach. Die jetzige Retrospektive begeistert nicht allein wegen der Begegnung mit einer der grössten Persönlichkeiten der Fotogeschichte. Sondern sie begeistert auch, weil sie zeigt, was die Fotografie in ihrer Top-Form sein kann.
Walter Bosshard / Robert Capa – Wettlauf um China.
Fotostiftung Schweiz, Winterthur, Grüzenstrasse 45
22. September 2018 bis 10. Februar 2019
Zur Ausstellung ist eine Publikation im Limmat Verlag erschienen: Walter Bosshard – China brennt. Bildberichte 1931–1939. Herausgegeben von Peter Pfrunder, Fotostiftung Schweiz. 290 Seiten, gebunden, etwa 150 Fotografien und Abbildungen.