- Klara Obermüller empfiehlt
Elizabeth Strout: Die langen Abende
Für alle Strout-Fans eine frohe Kunde: Olive Kitteridge ist zurück! Wie schon im Vorgänger-Roman „Mit Blick aufs Meer“ mischt die pensionierte Mathe-Lehrerin auch hier das gesellschaftliche Leben in der fiktiven Kleinstadt Crosby an der Küste von Maine wieder kräftig auf: eine Frau, zudringlich, dominant, aber auch auf eine Art liebesbedürftig, die zu Herzen geht. Einmal mehr gelingt es der Autorin, im Kleinen und scheinbar Unbedeutenden die grossen Themen der menschlichen Existenz aufscheinen zu lassen. Im Falle von Olive Kitteridge sind dies das Alter, die Vergänglichkeit und eine späte Liebe, die ihr neben einem kurzen Glück eigenes Versagen schmerzlich vor Augen führt.
Luchterhand, München 2020, 352 Seiten
Hilary Mantel: Wölfe
Teil 1 von Hilary Mantels Cromwell-Trilogie endet so grausam, wie er begonnen hat. Väter, die ihre Kinder halb totschlagen, Hinrichtungen, Intrigen, Kriege, Seuchen und Armut gehören im England des 16. Jahrhunderts zur Tagesordnung und sind der Stoff, aus dem die Autorin für ihre historischen Romane schöpft. Gleichwohl ist der Roman „Wölfe“, der in „Falken“ sowie „Spiegel und Licht“ seine Fortsetzung fand, kein Historienschinken im landläufigen Sinn. Obwohl akribisch recherchiert, geht es darin nicht primär um historische Ereignisse, sondern um die Menschen, die sie herbeiführten bzw. erlitten. Vor dem Hintergrund eines von religiösen und dynastischen Konflikten zerrissenen Jahrhunderts zeichnet die Autorin ein Panorama menschlicher Leidenschaften, zu denen skrupelloses Machtstreben und Gewinnsucht ebenso gehören wie die Suche nach Liebe und die Sehnsucht nach Erlösung. Durch die präsentische Erzählweise und eine konsequente Innensicht zieht Hilary Mantel uns hinein in eine Zeit, die, obwohl weit zurückliegend, auch die unsere sein könnte.
„Wölfe“, DuMont, Köln 2010, 768 Seiten
„Falken“, DuMont, Köln 2013, 480 Seiten
„Spiegel und Licht“, DuMont, Köln 2020, 1104 Seiten
Lutz Seiler: Stern 111
Die Ostseeinsel Hiddensee war Schauplatz von Lutz Seilers Vorwende-Roman „Kruso“; Berlin ist es in seinem Nachwende-Roman „Stern 111“. Es ist ein Berlin des Aufbruchs und der Anarchie, der ganz grossen Hoffnungen und der ebenso grossen Enttäuschungen. Über diese Zeit ist schon viel geschrieben worden, doch noch nie so schonungslos authentisch und so poetisch zugleich. Wie schon in „Kruso“ führt auch in diesem Buch der Lyriker Seiler dem Romancier Seiler die Feder. Entstanden ist dabei nicht nur ein seltenes Zeitdokument, sondern auch ein sprachliches Kunstwerk von hohem Rang.
Suhrkamp, Berlin 2020, 528 Seiten
- Stephan Wehowsky empfiehlt
Mario Vargas Llosa: Harte Jahre
Das Drama Mittelamerikas ist mit der Erfindung der politischen Propaganda aufs engste verknüpft. In seinem neuen Roman beschreibt Mario Vargas Llosa, wie der Propagandist Edward L. Barnays seine schwarze Kunst ganz in den Dienst der United Fruit Company stellte und Guatemala als kommunistisch infiltriert denunzierte. Eine Tragödie, die Llosa wie eine Komödie erzählt. Da er sich sorgsam an die Historie hält, sind ihm manche Passagen etwas sperrig geraten. Dann aber gibt es wieder viel Tempo, Witz und Ironie.
Suhrkamp, Berlin 2020, 411 Seiten
Georges Simenon: Maigret in der Liberty Bar
Der Kampa Verlag bringt das Gesamtwerk George Simenons neu heraus. Dazu gehört auch eine Hörbuchreihe. „Maigret in der Liberty Bar“ spielt in Cannes. Man taucht also ein in die Sonne der Côte d’Azur. Dann geht es mit Maigret in das schummrige Licht der Liberty Bar. Von dort aus entwirrt er die verschiedenen Stränge einer Geschichte, die so verwickelt ist, dass er sie nicht einmal seiner Frau erklären kann. Georges Simenon ist ein Meister in der Beschreibung skurriler Figuren. Deswegen veralten seine Krimis nicht.
Deutsch von Hansjürgen Wille, Barbara Klau und Mirjam Madlung. Grundlegend überarbeitete Übersetzung, Kampa Verlag, Zürich 2019, 192 Seiten
Thierry Paquot: Die Kunst des Mittagsschlafs
Wenn der Mittagsschlaf nicht instrumentalisiert wird und zum blossen „Power Nap“ verkommt, ist er eine Oase für die Seele. Gerade Mittags taucht sie tiefer als beim nächtlichen Schlaf in andere Welten ein. Der französische Philosoph Thierry Paquot zeigt am Beispiel von Gemälden, Mythen und Erzählungen, dass mit dem Mittagsschlaf zahlreiche Vorstellungen verbunden sind, nicht zuletzt deftige erotische Phantasien. Wer mittags schläft, entzieht sich der Diktatur der Zeit, die Paquot ebenfalls treffend analysiert.
Steidl Pocket, Göttingen 2020, 92 Seiten
- Urs Meier empfiehlt
Barbara Stollberg-Rilinger: Die Aufklärung. Europa im 18. Jahrhundert
Wissen kann unterhaltend sein. Gerade die Aufklärung verdankt sich nicht zuletzt diesem Umstand. Zunehmendes Verstehen von Naturgesetzen und wachsender Einblick in gesellschaftliche Mechanismen hat Menschen damals begeistert und beflügelt. Die Autorin dieser kompakten Übersicht zum 18. Jahrhundert hat eine Spitzenposition in der Erforschung des frühneuzeitlichen Europa und ist seit 2018 Rektorin des Wissenschaftskollegs Berlin. Sie ist ausserdem eine vielfach ausgezeichnete Vermittlerin historischen Sachwissens. In zehn Kapiteln zu je einem Hauptaspekt der Aufklärung entwirft sie ein reichhaltiges, differenziertes und auf dem Stand der historischen Forschung basierendes Bild der europäischen Schlüsselepoche. Diese ist trotz unaufgeklärter blinder Flecke und späterer geschichtlicher Katastrophen für den Westen zum verpflichtenden Programm geworden.
Reclam Sachbuch, 4. Auflage, Stuttgart 2019
Gottfried Keller: Der grüne Heinrich, erste Fassung
Nach Kellers Willen ist die zweite Fassung von 1879/80 die gültige. Doch die 25 Jahre früher entstandene erste hat trotz etlicher Mängel einen ganz eigenen Reiz. Keller entwirft hier sein alter Ego Heinrich Lee schonungslos als Figur, die immer sein will, was sie nicht ist, und werden möchte, was sie nicht erreichen kann. Selbst wenn die Erzählung den Protagonisten an die Schwelle des Glücks führt, scheut er davor zurück. Die erste Fassung geriet radikaler und üppiger als dem gereiften Dichter später gut schien. Mit der gestrengen Bearbeitung nach zwanzig Jahren beseitigte er die formalen Brüche und ein paar misslungene Passagen; es gingen aber auch einige der schönsten literarischen Juwelen verloren. Grund genug, beide Fassungen zu lesen.
Nach der ersten Fassung von 1854/55, hg. von Jörg Drews, Reclam, Stuttgart 2013, 909 Seiten
- Christoph Kuhn empfiehlt
Ingo Schulze: Die rechtschaffenen Mörder
Zu den Büchern, die sich in essayistischer oder romanesker Form mit dem Lesen von Büchern befassen, gesellt sich ein neues, elegant geschriebenes, das sich auf kurzweilige und überraschende Art mit der Welt und dem Leben von Büchern befasst. Geschrieben hat es Ingo Schulze, vielfach preisgekrönter deutscher Romancier. „Die rechtschaffenen Mörder“ heisst der Roman. Er handelt von einem eigensinnigen Dresdener Buchantiquar, der die Wende schlecht übersteht und vom Lesen von Büchern, von der Literatur auf Abwege gedrängt wird. Eine dem Autor verwandte Nebenfigur und charaktervolle Frauen bereichern die Handlung, die sich mit unvorhersehbaren Wendungen von Höhepunkt zu Höhepunkt bewegt.
S. Fischer Verlag, 2020, 312 Seiten
Tom Kummer: Von schlechten Eltern
Tom Kummer, der Berner Journalist und Autor, längere Zeit in Los Angeles ansässig, jetzt wieder in Bern, bekannt geworden im Jahr 2000 wegen fingierter Interviews, legt seinen zweiten Roman vor. Er heisst „Von schlechten Eltern“, ist der Autobiografie entlang geschrieben und handelt von Tom dem Nachtfahrer, der ein luxuriöses Taxi steuert und Business-Gäste durchs Land fährt. Das Fahren beherrscht diese Prosa, die sich mit kurzen Sätzen, knappen Dialogen, vorbeiziehenden Bildern, Stimmungen, düsteren Fantasien und Erinnerungen einprägt. Da gelingt es einem Schweizer, die Heimat ganz fremd erscheinen zu lassen – ein fremder Blick, eine fremde Sensibilität, die zu faszinieren vermögen.
Tropen Verlag, 2020, 245 Seiten
Julian Barnes: Kunst sehen
Der Engländer Julian Barnes ist ein grossartiger Romancier, der sein Talent auch gerne im Essayismus ausprobiert. Im Lauf der letzten Jahre hat er verschiedentlich Aufsätze zur bildenden Kunst in Zeitschriften publiziert. Einen Teil davon hat er nun in einem Buch mit dem Titel „Kunst sehen“ versammelt. Die Liste der behandelten Maler reicht von Théodore Géricault bis Lucian Freud, mit Schwergewicht auf der französischen Malerei. Barnes verfügt über ein immenses Wissen, was Kunst und Kunstgeschichte angeht – und er ist ein glänzender Erzähler. Anekdotisches, Dokumentarisches kombiniert er mit Bildbeschreibungen, mit Reflexionen und Impressionen. Einzigartig wie er es versteht, bekannte Maler, bekannte Bilder so zu präsentieren, dass man das Gefühl bekommt, sie zum ersten Mal zu sehen.
Aus dem Englischen von Gertraude Krueger und Thomas Bodmer, Kiepenheuer & Witsch Verlag, 2019, 352 Seiten
- Roland Jeanneret empfiehlt
Franziska Streun: Die Baronin im Tresor
Das Leben der Baronin Betty Lambert, geschiedene von Bonstetten, geschiedene von Goldschmidt-Rothschild, ist bewegte und bewegende Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die jüdische Adlige floh nach dem Ersten Weltkrieg aus ihrer arrangierten ersten Ehe von Frankfurt über Paris in die Schweiz und lebte dann während Jahrzehnten auf dem Bonstettengut in Gwatt bei Thun. Dort hielt sie Hof und empfing die Hautevolee aus aller Welt. Mit ihrem wachsenden sozialen Engagement half sie Verfolgten auf der Flucht vor den Nationalsozialisten, was ihr zunehmend die Überwachung durch den Schweizer Geheimdienst bescherte. Das Gästebuch der Grande Dame vom Thunersee liest sich wie ein „Who is Who“ der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Marc Chagall, Greta Garbo, Carl Zuckmayer, Alexander von Stauffenberg oder US-Geheimdienstchef Allen Welsh Dulles. Die Autorin, selber Journalistin beim Thuner Tagblatt, schuf mit enormer Recherchier- und Kleinarbeit mit diesem Werk ein Geschichtsdokument, das zahlreiche bisher unbekannte Tatsachen und Ereignisse der Allgemeinheit zugänglich macht. Die Romanbiografie wurde von zahlreichen Institutionen sowie dem Bundesamt für Kultur gefördert.
Zytglogge, 2020, 350 Seiten
Livia Anne Richard: Anna der Indianer
Anna ist vier Jahre alt, als ihr auf einen Schlag klar wird, warum sie beim Indianerspiel immer die Squaw – die Indianerfrau – spielen muss. Das Mädchen wird sich ein Leben lang mit ihrer Rolle als Frau in einer Gesellschaft, die eher von männlichen Figuren dominiert ist, auseinandersetzen. Mit einer „Emanzengeschichte“ hat „Anna der Indianer“ aber wenig gemeinsam. Es sind ganz persönliche, ja intime Auseindersetzungen, die Anna mit ihren Eltern, ihrer Jugend, ihrem Amerika – kurz: ihrem Leben – austrägt. Tod und Lebensfreude, Tränen und Lachanfälle, Begeisterung und Depression, Siege und Enttäuschungen, Höhenflüge und Abstürze – die Leserin, der Leser wird auf den 140 Seiten keinen Augenblick gleichgültig bleiben. Dies nicht zuletzt, weil der chronologische Ablauf im Buch Katzensprünge macht … Livia Anne Richard, die nicht nur in Bern und Zermatt mit ihren Inszenierungen als Theaterfrau längstens prominent ist, hat in ihrem ersten Roman ein literarisches Oeuvre geschaffen, das jede Sommerlektüre bereichern wird. Die Autorin schreibt als Widmung in mein Exemplar: „Anna will erwachen – tun wir es auch!“
Cosmos Verlag, 2020, 144 Seiten
Urs Heinz Aerni: Lugano - Konstanz mit Umwegen
Den einen Ferien-LeserInnen schweben dicke Wälzer vor, die ein, zwei Wochen herhalten – andere suchen portioniertere Kost, Kurzgeschichten, Texte, die man am Strand und auf der Sonnenterrasse am Stück lesen kann. Der Vorschlag hier wird eher „Kurz-LeserInnen“ ansprechen. Der Autor von „Lugano – Konstanz“ ist freischaffender Journalist und schreibt oft Rubriken für Zeitungen und Zeitschriften. Deshalb hier nur einige Gluschtigmacher in Kurzform: „Wenn der Gärtner von Trump ablenkt“, „Also ich möchte nicht an einer Gruppensexparty gezeugt werden“, „Die Kunst des digitalen Grüssens“, „Erstaunliche Fakten zum Vogelzug“ oder „für manche Witzerzähler wäre noch ein Workshop nötig….“.
Edition BAES, 2020, 156 Seiten
- Reinhard Meier empfiehlt
Zivilstand Musiker. Alexander Schaichet und das erste Kammerorchester der Schweiz
Dieses Buch erinnert an das Leben und Werk eines bedeutenden, aus Osteuropa stammenden Musikers, der vor hundert Jahren in Zürich das erste Schweizer Kammerorchester gründete. Alexander Schaichet, 1887 in Nikolajew in der heutigen Ukraine geboren, wurde als Geiger in Odessa ausgebildet. Er studierte und dirigierte in Leipzig und Jena. 1914 strandete er während des Ersten Weltkriegs als Staatenloser in der Schweiz und entfaltete in Zürich bis zu seinem Tode 1964 eine prägende, inspirierende musikalische Tätigkeit. Wegen allerlei Vorbehalten gegen den Ostjuden wurde sein Einbürgerungsgesuch erst im dritten Anlauf bewilligt. Sechs Autoren vermitteln und dokumentieren in diesem Band erhellende Einblicke in die Persönlichkeit Alexander Schaichets sowie die gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen seines Wirkens in Zürich.
Zivilstand Musiker. Alexander Schaichet und das erste Kammerorchester der Schweiz. Herausgegeben von Esther Girsberger und Irene Forster. Hier und Jetzt Verlag, Baden 2020, 211 Seiten. Infos
Iwan Turgenjew: Das Adelsgut
Russische Roman-Klassiker zu lesen, ist immer auch eine Gelegenheit, einen näheren Zugang in die Seelengründe und die kulturellen Eigenheiten dieses janusköpfigen Riesenlandes zu finden. Turgenjews „Adelsgut“ (früher als „Adelsnest“ übersetzt) handelt von der Rückkehr des Gutsbesitzers Fjodor Lawretzki aus Europa nach Russland. Seine erste Ehe ist gescheitert. Auf dem Landsitz seiner Cousine lernt er deren stille, ernsthafte Tochter Lisa kennen, zu der sein Herz entbrennt. Doch die zarte gegenseitige Liebe findet keine Erfüllung, sie wendet sich in Trauer und Melancholie. Wie in allen seinen Werken hat der Autor auch im „Adelsgut“ Aspekte seiner eigenen Biographie hineinverwoben. Der Manesse-Verlag legt eine neue Übersetzung des Romans vor. Der in der Schweiz lebende russische Schriftsteller Michail Schischkin ergänzt ihn mit einem überaus informativen Nachwort.
Iwan Turgenjew: Das Adelsgut. Aus dem Russischen übersetzt von Christine Pöhlmann. Nachwort von Michail Schischkin, Manesse Verlag, München 2018, 379 Seiten
- Ignaz Staub empfiehlt
John Le Carré: Agent Running in the Field
Als der Kalte Krieg aufhörte, meinten Literaturkritiker, nun neige sich auch die Laufbahn von John Le Carré dem Ende zu. Weit gefehlt, denn drei Jahrzehnte später schafft es der Autor von Spionage-Thrillern nach wie vor, das aktuelle Zeitgeschehen spannend in sein Werk einzuarbeiten. Im jüngsten Fall sind das der Brexit und Donald Trump, zwei Phänomene, denen Le Carré, wen wundert’s, kritisch gegenübersteht. Und deren Verwerfungen im Roman einen erfahrenen Agenten des britischen Geheimdienstes, der aus dem Feld auf einen Bürojob in die Londoner Zentrale zurückgekehrt ist, beinahe den Kopf kosten.
Roman, Penguin Random House, London 2020, 282 Seiten
René Groebli: The Magic Eye
Seit er 1949 als junger Fotograf mit „Magie der Schiene“ und 1952 mit „Das Auge der Liebe“ dank seiner innovativen Bildsprache erstmals Aufsehen erregt hat, gehört der Zürcher René Groebli zu den Grossen der Schweizer Fotografenzunft. In der Zwischenzeit als Werbe- und Industriefotograf erfolgreich und berühmt geworden, widmet sich der heute 93-Jährige seit den frühen 1980er-Jahren künstlerischen Essays in Schwarzweiss. Der Bildband „The Magic Eye“, mit informativen Texten mehrerer Fremdautoren angereichert, würdigt auf originelle Weise Groeblis reichhaltiges und vielseitiges Lebenswerk.
Bildband, Edition Bildhalle, Zürich 2020, 200 Seiten
Lisa Napoli: Up All Night
Es war im Sommer 1980, als Ted Turners CNN aus dem Keller eines verlassenen Country Clubs in Atalanta zu senden begann – unerhörte 24 Stunden am Tag. Kaum jemand glaubte seinerzeit, das verrückte Projekt werde neben den drei etablierten amerikanischen Fernsehgesellschaften ABC, CBS und NBC bestehen können. Und was sollte das Konzept von „Breaking News“? Autorin Lisa Napoli, einst Volontärin bei CNN, schildert auf spannende Weise und mit viel Insider-Kenntnis, wie es dem Nachrichtensender, der erst als „Chicken Noodle Network“ verspottet wurde, gelungen ist, die Fernsehberichterstattung zu revolutionieren.
Sachbuch, Abrams, New York 2020, 305 Seiten
- Heiner Hug empfiehlt
Reni Eddo-Lodge: Warum ich nicht länger mit Weissen über Hautfarbe spreche
Die 31-jährige englische Journalistin und Bloggerin, eine Woman of Colour, arbeitet für die „New York Times“ und den „Guardian“. Sie räumt mit der Vorstellung auf, Rassismus sei einzig ein Phänomen Rechtsradikaler, Rechtspopulisten und Faschisten. „Wir sagen, dass gute Menschen nie rassistisch sein können. Wir glauben offenbar, dass nur böse Menschen Rassisten sind“, schreibt die Autorin. Doch Nein. Rassismus grassiere oft perfid in der betuchten, höheren, sich liberal nennenden fortschrittlichen Gesellschaft und werde dort fast verstohlen, häppchenweise sichtbar. Da stehen Sätze wie: „Der reaktionäre weisse Stolz, der so oft im Widerspruch zu sozialem Fortschritt steht, ist nie wirklich verschwunden.“ Rassisten seien oft gut ausgebildete, weisse Männer mit hohem Gehalt. „Aufgrund seiner verdeckten Natur ist struktureller Rassismus nur schwer zur Rechenschaft zu ziehen.“
Tropen Verlag, 2020, 264 Seiten, 2. Auflage, Taschenbuch
Balz Bruppacher: Die Schatzkammer der Diktatoren
Ist die Schweiz noch immer ein Paradies für Diktatoren und ihre Korruptions-Milliarden? Wer dieses Buch gelesen hat, wird sich nie mehr der Illusion hingeben, dass der Zufluss von Despotengeldern völlig gestoppt werden könne. Solange die Schweiz ein internationaler Finanzplatz bleiben will, wird sie auch die internationale Vermögensverwaltung weiter betreiben. Auch wenn es die Diktatoren und Gangster nicht mehr ganz so einfach haben, ihre Gelder in der Schweiz zu waschen, werden weiterhin Milliarden und Abermilliarden in unser Land transferiert, vor allem aus dem Nahen Osten, Asien und Lateinamerika. Und die offizielle Schweiz rührt weiterhin im Ausland kräftig die Werbetrommel für den Finanzplatz Schweiz – im Wissen, dass da nicht nur sauberes Geld fliesst. Der Wirtschaftsjournalist Balz Bruppacher, einer der besten Spezialisten in Sachen Wirtschaftskriminalität, war früher Chefredaktor des schweizerischen Ablegers der Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Sein sehr aktuelles Buch liest sich wie ein fesselnder Krimi.
NZZ libro, 2020, 215 Seiten
Tausend und eine Nacht
Lieben Sie es aufregend? Wer glaubt, Tausend und eine Nacht sei eine Ansammlung netter Märchen wie „Aladin und die Wunderlampe“ oder „Ali Baba und die vierzig Räuber“, der wird hier staunen. Diese beiden Titel gehören, genau genommen, nicht zu dieser Sammlung. Die wirklichen 1001-Nacht-Geschichten sind teils barbarisch, erotisch, romantisch – und vor allem aufregend und selten jugendfrei. Da wimmelt es von schönen Frauen, sentimentalen Prinzen, schwermütigen Herrschern, da werden Hände abgehackt, da hängt eine Leiche in einer Metzgerei, da liebt man sich zu Tode, da wird betrogen, da gibt es Feen und Geister. Die Sammlung mit den in sich geschlossenen Kurzgeschichten kann bei Amazon gratis auf Smartphone oder Kindle heruntergeladen werden – eine erquickende, erfrischende, teils unheimliche Ferienlektüre.