Der Band heisst „Silent Cities“, und spontan glaubt man, den Sinn dieses Titels verstanden zu haben. Dass Städte auch still sein können, leuchtet ein, zumal wenn die Menschen nicht lärmen. Entsprechend sind die Bilder bis auf eine Ausnahme menschenleer. Als Zweites fällt auf, dass sich Mat Hennek bei seiner Motivwahl oft auf die Strukturen begrenzter Ausschnitte grösserer Einheiten konzentriert.
Manche Bilder sind, wie schon in seinem Band „Woodlands“, von einer geradezu betörenden Schönheit. Da versteht es sich von selbst, dass Mat Hennek sie zeigt.
Aber vieles ist eher nüchtern, und manchmal will es so scheinen, als wolle Mat Hennek sogar so etwas wie die Wunden von Städten zeigen. Diese Bilder erinnern an Sozialkritik. Zum Beispiel daran, dass sich in manchen Gebäuden oder Vierteln Kriminalität ausbreitet.
Was verbindet also die Bilder dieses Bandes? Es gibt keine Bildlegenden, nur die Bezeichnung der jeweiligen Stadt, des dazu gehörenden Landes und des Aufnahmejahres. Dazu kommt eine Nummerierung, von der man zuerst annimmt, dass sie den Aufnahmemonat angibt, aber das ist nicht der Fall, denn bei bei den Aufnahmen von Tokio stösst man auf die Zahl 16.
Bei vielen Bildern sind die Strukturen so abstrakt, dass die Städtenamen im Grunde nichts zum Verständnis beitragen. Häuserfronten, Strassenabschnitte, eine Brücke, eine Sitzbank, Glasfassaden, Treppen oder Bepflanzungen kommen so oder so ähnlich in vielen Städten vor. Spielt es dann überhaupt eine Rolle, ob Mat Hennek dieses oder jenes Foto nun in Aix-en-Provence, Stockholm oder Wien aufgenommen hat? Mal meint der Betrachter, etwas Typisches für eine Stadt zu sehen, dann wieder fühlt er sich so desorientiert wie in einem Ibis-Hotel.
Suchender Blick
Andere Bilder leben geradezu von den Bezügen zu den jeweiligen Städten. So gibt es von München zwei Bilder, die der Ortskundige sofort zuordnen kann. Mat Hennek scheint in dieser Mischung kein Problem zu sehen.
Und Hennek fotografiert entgegen dem Titel des Bildbandes nicht nur Städte. So findet man zwei eindrucksvolle Fotos von der Zufahrt zum Schweizer Gotthard-Pass. Soll das heissen, dass der Gotthard-Pass auch eine Art „Silent City“ ist?
In seinem Band „Woodlands“ spürte Mat Hennek den Strukturen von Wäldern nach. Auch andere Fotografen, die etwa der „Düsseldorfer Schule“ zugerechnet werden, haben Ähnliches unternommen. Die Aufgabe des Fotografen besteht in diesem Zusammenhang darin, Konstellationen sichtbar zu machen, die sich seinem suchenden Blick enthüllen.
Diese Strukturen müssen nicht immer durch ihre Schönheit bestechen. So beginnt der Band mit Bildern aus Wien, die mit ihren gedämpften Farben und dem ebenso gedämpften Licht den Betrachter nicht geradezu anspringen. Aber sie haben einen spröden Charme, und wenn man etwas länger hinschaut, so entfalten sie eine eigene Kraft. Beim wiederholten Blättern durch diesen Band fällt mehr und mehr auf, dass die Farb- und die Lichtgestaltung vieler Bilder den Betrachter zum Verweilen einladen.
In diesem Zusammenhang ist die Gestaltung des Bandes zu erwähnen. Der Einband, das Papier, der Purismus der Anordnung der Bilder: Gerhard Steidl schafft Raum für eine Fotografie, die dem Lärm der Zeit widersteht.
Mat Hennek: Silent Cities. Göttingen: Steidl Verlag, 2020, 96 Seiten, 80 Abbildungen, ca. 45 Euro.