Die in Australien geborene, irakisch-stämmige Toba Khedoori (*1964), die Schottin Susan Philipsz (*1965), die Engländerin Rachel Whiteread (*1963), die Schweizerin Silvia Bächli (*1956) und die Portugiesin Leonor Antunes (*1972): Kuratorin Theodora Vischer hat diese Künstlerinnern in die Fondation Beyeler eingeladen zur Ausstellung „Resonating Spaces“. Um es vorwegzunehmen: Wie üblich bei Beyeler sind das keine Entdeckungen. Alle fünf bewegen sich auf internationalem Kunst-Parkett, an der Biennale und in bedeutenden Museen in aller Welt. Zwei – Whiteread und Philipsz – wurden mit dem Turner-Prize ausgezeichnet. Doch den üblichen Beyeler-Besucherinnen und -Besuchern sind die Namen sicher weniger vertraut als die Namen Picassos, Gaugins, Balthus‘, Degas‘ und vieler anderer, die bei Beyeler grosse Ausstellungen hatten, oder wie die Namen Hoppers und Goyas, deren Werke 2020 in Riehen gezeigt werden. So herrscht denn auch nicht das übliche Gedränge an der Kasse und in den Sälen: Ohne Wartezeiten kommt man in den Genuss freier Sicht auf die Werke.
Stimmige Atmosphäre
Doch auch hier gilt: „Les absents ont toujours tort“, denn die Ausstellung ist unbedingt sehenswert. Sie ist klug konzipiert und mit Bedacht präsentiert, und sie behandelt ein zentrales Thema der bildenden Kunst anhand qualitativ hochstehender Arbeiten – nämlich die Beziehung vom Kunstwerk zum Raum, in dem es sich entfalten kann und in dem es sich auch behaupten muss. Diese Beziehung ist entscheidend: Skulptur und Installation ohnehin, aber auch Malerei und gar Zeichnung kommen erst im Raum zum Atmen – in seinen Dimensionen und Proportionen und in seinem Licht.
Theodora Vischer wählte die Künstlerinnen so aus, dass jede auf ihre eigene Art auf den gegebenen Raum reagiert und zugleich auf ihre eigene Art in ihren und mit ihren Arbeiten Raum entstehen lässt. Das führt zu einer eindrücklichen Vielfalt. Die Auswahl der Kuratorin führt aber auch zu einer stimmigen Atmosphäre und zu einem schönen Rhythmus in der Abfolge der insgesamt sieben Räume.
Räumliche Qualitäten
Den Anfang machen zwei langgestreckte Säle, in denen Toba Khedoori ihre Werke so präsentiert, dass sie in weicher Atmosphäre miteinander in einen Dialog treten, sich ergänzen oder kontrastieren. Viele sind grossformatige Zeichnungen auf mit Kunstwachs grundierten Papierbahnen, die mit hoher Präzision Raumsituationen oder Architekturteile (zum Beispiel Kinosaal, Fenster, Drahtgeflecht) festhalten. Andere zeigen Buschwerk, Äste, Sträucher, wieder andere Berge oder Wolken. Oder: Khedoori überzieht ein ganzes Format mit einem feinen Liniennetz, dessen Unregelmässigkeiten ein räumliches Ausschwingen der Fläche suggerieren. Räumliche Qualitäten manifestieren sich nicht nur in den einzelnen Werken, sondern ebenso in den sich komplex verschränkenden Beziehungen zwischen ihnen.
Leonor Antunes, die mit dem Zurich Art Prize 2019 ausgezeichnet wurde und gegenwärtig im Haus Konstruktiv in Zürich präsent ist, geht einen anderen Weg als Khedoori. Sie lässt nicht auf zweidimensionalen Flächen Räume entstehen, sondern gestaltet den Boden ihres grossen Raumes mit der Variation einer Grafik von Anni Albers und präsentiert hier eine grosse Zahl von vom Boden bis zur Decke reichenden Objekten. Sie sind mit handwerklicher Perfektion aus Holz, aus Seilen, aus Leder, aus Glas und Messingplatten gefertigt und nehmen die Formensprache klassisch-modernen Designs auf. Sie sind denn auch nicht frei von geschmäcklerischer Schönheit um ihrer selbst willen. Die Künstlerin schafft es allerdings, den Raum mit den meist organischen, dazwischen aber auch streng geometrischen Formen zu einer Art Wald werden zu lassen, in dem sich die Besucherinnen und Besucher frei bewegen, und der so ein ganz eigenes Leben entwickelt.
Ruhe und Musikalität
Silvia Bächli schafft wiederum, ähnlich wie Khedoori, mit ihren kargen Pinselzeichnungen unterschiedlichen Formats Räume von unverwechselbarer Stimmigkeit. Sie durchforstet ihren riesigen Fundus an Arbeiten und „malt“ mit ihnen, sie frei platzierend, ihre beiden Räume aus. Sie arrangiert die Blätter nicht nach rational festgelegten Strategien, sondern verlässt sich auf ihr Gefühl, und doch herrscht hier präzise Ordnung, in der sich die einzelnen Teile die Waage halten. Ausgeglichen und harmonisch wirkt auch Bächlis Umgang mit der Farbe. So lässt die Künstlerin Räume entstehen, die Ruhe, Offenheit und zugleich Geborgenheit, aber auch Musikalität ausstrahlen.
Ganz auf Klang verlässt sich Susan Philipsz in der Zwölfkanal-Sound-Installation „The Wind Rose“ ganz auf den Klang. Sie ging aus von der 1550 in Basel veröffentlichten Weltkarte des humanistischen Gelehrten Sebastian Münster: Von den Kartenrändern her blasen zwölf personifizierte Winde pausbäckig auf die Kontinente. Analog dazu beschallt Philipsz ihren Raum, der damit zu „Welt“ wird, mit zwölf anschwellenden und wieder leiser werdenden unterschiedlich hohen Tönen, die mit Blasen in Meerschnecken-Gehäuse erzeugt werden. Wer sich im Raum bewegt, erfährt diese Klänge stets wieder anders und spürt dabei auch den Atem-Rhythmus der Bläser, die die Schnecken an ihren Mund setzen.
Raum- und Zeitgrenzen
Rahel Whiteread öffnet einen Raum zwischen ihren sechs Papiermaché-Reliefs an der Wand und dem gegenüber präsentierten Gemälde „Passage du Commerce-Saint-André“ von Balthus (Dauerleihgabe in der Sammlung Beyeler), dessen enigmatischer Atmosphäre man sich kaum entziehen kann. Erst bei genauem Hinsehen nimmt man wahr: Die verschiedenfarbigen Reliefs entsprechen genau, als wären es Abgüsse, den Proportionen und Unterteilungen von sechs Fenstern in der Fassade, welche die Passage beschliesst. Es scheint, als wollte die Künstlerin zur Welt des Balthus-Gemäldes eine Gegenwelt schaffen, die den Autismus der von Balthus so rätsel- und statuenhaft in den Raum gesetzten Figuren paraphrasiert. Whiteread lässt uns Balthus neu sehen, und zugleich verankert sie ihr eigenes Schaffen im Kunstwerk der 1950er Jahre. Das eröffnet eine weitere Dimension räumlichen Denkens über Zeitgrenzen hinaus.
Theodora Vischer versammelt in den Beyeler-Räumen Werke von fünf Frauen. „Resonating Spaces“ ist aber keine Ausstellung über Frauenkunst und auch kein feministisches Statement. Die Präsentationen, aber auch der Katalog mit Gesprächen Theodora Vischers mit den Künstlerinnen wirken so selbstverständlich und unverkrampft, dass sich Fragen in Gender-Zusammenhängen gar nicht erst stellen. Das ist wohl die beste Art, Künstlerinnen zur Geltung zu bringen – allein durch die Qualität ihrer Werke.
Fondation Beyeler, Riehen/Basel, bis 6. Januar 2020, Katalog 52 Franken