Die meisten Mahnungen, die Umwelt zu schützen oder zumindest zu schonen, haben einen gewaltigen Nachteil: Sie sind trotz aller sichtbaren Schäden abstrakt. Zwar ist nach diesem Hitzesommer hinlänglich klar, was die Klimaerwärmung bedeuten kann, aber der Zusammenhang mit dem Handeln des Einzelnen ist nach wie vor nicht mehr als ein gedankliches Konstrukt.
Fragwürdiger Verzicht
Denn im Wesentlichen handelt es sich bei den Zusammenhängen um wissenschaftliche Modelle und Statistiken. Zudem ist kein einziger Mensch auf dieser Welt für die Erwärmung der Atmosphäre, das Abschmelzen der Gletscher und der arktischen Eismassen allein verantwortlich. Erst das Kollektiv der Menschheit setzt über lange Zeiträume derartige Schäden.
Der Einzelne mag zwar einsehen, dass er daran einen zwar winzigen, aber unleugbaren Anteil hat, aber soll er deswegen Verzicht leisten? Subjektiv wirkt der Verzicht auf Flugreisen, Kreuzfahrten oder die Nutzung des Autos schwerer als das abstrakte Wissen um den eigenen Anteil am ökologischen Kollaps. Niemand sieht schliesslich die Treibhausgase, die bei seinem Energieverbrauch in die Atmosphäre geblasen werden.
Gegenmassnahmen
Die Plastikkatastrophe aber verändert diese partielle Blindheit. Denn da jeder jeden Tag Plastik benutzt und wegwirft, kann er sich die Resultate seines Handelns besser vorstellen. Und wenn er Plastik in den Ozeanen treiben sieht, dann erinnert ihn das an den heimischen Gebrauch dieser so überaus praktischen Verpackungen.
Inzwischen wird einiges getan, um den Plastikmüll zu reduzieren. Bis 2021 will Costa Rica der erste Staat weltweit sein, der komplett auf Einwegplastik verzichtet. Grossbritannien und einige Städte in Nordamerika haben inzwischen Plastikgeschirr verboten. Frankreich soll bis 2020 nachziehen. Neuseeland will noch in diesem Jahr Mikroplastik in Kosmetika verbieten. In Deutschland sind einzelne Supermarktketten daran, Plastiktüten und andere Kunststoffverpackungen ganz zu streichen oder zumindest zu reduzieren.
Rückstosseffekte
Mit diesen Ansätzen lassen sich die Schäden, die bereits entstanden sind, natürlich nicht beheben. Weitere werden allenfalls gemindert. Wollte man mehr erreichen, könnte man anstreben, die Meere vom Plastik zu säubern. Zum Teil geschieht das schon, indem zum Beispiel Strände von angeschwemmten Plastik gereinigt werden. Aber es ist nicht möglich, die Verschmutzung der Meere durch Plastik insgesamt rückgängig zu machen. Meeresbiologen weisen darauf hin, dass Plastikteilchen zwar Fische und andere Lebewesen im Meer schädigen, dass sie aber auf der anderen Seite schon längst zu Lebensräumen von Organismen geworden sind. Würde man – mit welchen Mitteln auch immer – alles Plastik aus den Meeren entfernen, zerstörte man damit zugleich das Leben, das sich mittlerweile an die Platikteilchen angelagert hat.
Dies ist nur ein Beispiel für die gewaltigen Rückstosseffekte, die mit einem Umsteuern verbunden sind. Schon jetzt rechnen diverse Experten vor, wie rohstoffintensiv die Ersatzstoffe sind, die an die Stelle von Plastik treten müssten. Und der Energieverbrauch der Transporte könnte enorm ansteigen, wenn zum Beispiel die Verpackungen für frische Produkte sehr viel schwerer würden. Wie so vieles andere in unserer Kultur lässt sich Plastik nicht einfach wieder abschaffen oder verbannen.
Sinnbild für Fluch und Segen
Plastik ist zum Sinnbild für Fluch und Segen unserer technisch-wissenschaftlichen Zivilisation geworden. Es erleichtert das tägliche Leben, und vieles wäre ohne Plastik und andere Kunststoffe gar nicht möglich. Plastik bietet immense hygienische Vorteile bei der Verpackung und dem Verzehr von Nahrungsmitteln, von medizinischen Produkten ganz zu schweigen. Aber der Übergang zum Wahnsinn ist fliessend:
Man kauft im Supermarkt drei Champignons, natürlich heimische Produktion und „bio“, und um sie abwiegen und dann mit dem Etikett versehen bezahlen zu können, benutzt man natürlich eine hauchdünne Plastiktüte. Zu Hause werden die drei Champignons ausgepackt, und das Beinahe-Nichts von Plastiktüte verschwindet im Müll – neben Plastikverpackungen von Plastiktüten für den Haushalt oder den Gefrierer. Dazu kommen die Plastikfolien zum Abreissen, die gebraucht werden, um kleinste Lebensmittelreste „frisch“ zu halten.
Plastik über Plastik
Und wenn man schon einmal für den überbordenden Verbrauch von Plastik sensibilisiert ist: Ist es wirklich nötig, dass heutzutage jedes Buch in eine Folie eingeschweisst wird, damit der Kunde bloss nicht dass Gefühl hat, dass jemand anderer irgendwo auf dem Einband seinen Fingerabdruck hinterlassen haben könnte? Und müssen andere Produkte, die ohnehin in Plastikverpackungen ausgeliefert werden, noch einmal mit Plastik umhüllt werden?
Diese Verschwendung hat Plastik zum Symbol für den ökologischen Wahnsinn unserer Kultur gemacht. Die Logik: Plastik ist leicht, billig, universell nutzbar und entsprechend bequem. Keine Regierung hat, als diese Produkte auf die Märkte kamen, die naheliegende Frage gestellt: Wohin damit nach ihrem Gebrauch? Für alles und jedes müssen Genehmigungen eingeholt werden, aber als die Welt mit Plastik überschwemmt wurde, gab es offenbar keine regierungsamtlichen „Zuständigkeiten“.
Statt dessen haben Wissenschaftler und private Initiativen die nötigen Anstösse gegeben. Jeder Einzelne kann für sich daran mitwirken. Sein Beitrag ist klein, aber nicht gleichgültig.