Dass die CSU um ihre Mehrheit bei den kommenden Wahlen in Bayern bange und Merkel um ihre Kanzlerschaft, sind zwei Erklärungen, die die Problematik noch nicht einmal an der Oberfläche ritzen. Denn wie in der antiken Tragödie stehen beide für jeweils ein Prinzip. Diese Prinzipien stossen aneinander und werden noch wirksam sein, wenn ihre Protagonisten die Bühne längst verlassen haben.
Merkel steht für die Idee eines supranationalen Europas. Diese Idee ist edel und schön, aber sie hat, wie der Historiker Gregor Schöllgen vor kurzem feststellte, auch in den besten Zeiten nicht zur Schaffung eines gemeinsamen politischen und militärischen Fundaments geführt. Europa hat Bürokratien, aber keine Regierung. Es ist nicht krisenfest.
Seehofer hat das begriffen. Die Begrenzung der Migration auf eigene nationalstaatliche Faust mag unbefriedigend sein, aber sie ist in seinen Augen allemal besser als die offensichtliche Handlungsunfähigkeit der dauertagenden Europapolitiker.
Zudem artikuliert sich in nationalistischen Aufwallungen die Angst, dass die jetzigen Migranten aus Afrika nur Vorboten weitaus stärkerer Migrationswellen sind. In Frankreich hat der renommierte Afrikakenner Stephen Smith gerade auf das immense Bevölkerungswachstum Afrikas und die zunehmende Mobilität hingewiesen, die den Ansturm auf Europa verstärken werden. Sein Buch ist ein Bestseller und wird im Herbst in Deutschland erscheinen.
Merkel wird das europäische Ideal nicht begraben. Und Seehofer wird seinen Abwehrreflex nicht ablegen. Beide haben auf ihre Weise recht. Was tun? Man tut so, als täte man etwas. Die Koalition hat gerade das Baukindergeldgesetz verabschiedet.