Die witzigste Ermahnung zur Toleranz ist das Musical "La Cage aux Folles" ("Ein Käfig voller Narren"). Es garantiert vielleicht nicht nachhaltig den emanzipatorischen Erfolg, aber immer - ob auf der Bühne oder im Kino - ein begeistertes Publikum. Das gelingt seit über dreissig Jahren und jetzt im See-Burgtheater in Kreuzlingen, das am Ufer des Bodensee eigens ein Spiegelzelt aufbaute. Die leichte Muse, die auf dem hohen Seil in jeder Sekunde peinlich abstürzen könnte, bewahrt amüsant und virtuos das Gleichgewicht. Es ist das Verdienst der Regie, des Orchesters und der Schauspieler: ob weiblich oder männlich bleibt belanglos, weil mit der Kunst der Geschlechterverwandlung alle Register gezogen werden.
Effektvolle Irrungen und Wirrungen
Die Vorlage von Jean Poiret und die Musicalfassung von Jerry Herman und Hervey Fierstein sind inhaltlich von jener Schlichtheit, die unbedingt die elegante und opulente Inszenierung braucht, um das Publikum bei Laune zu halten:
Jean-Michel, der von seinem Vater, dem schwulen Nachtclubbesitzer Georges, gemeinsam mit dessen Lebenspartner Albin, dem umjubelten Star des Etablissements, erzogen wird, gedenkt Anna zu heiraten, deren stockkonservative Eltern die Schwiegereltern kennen lernen möchten und selbstverständlich davon ausgehen, es handle sich um ein nach alter Sitte ehrbares Paar.
Die Voraussetzungen für effektvolle Irrungen und Wirrungen sind gegeben und warten darauf, von einer überraschenden und mitreissenden Inszenierung erfüllt zu werden. Schafft sie das nicht, bleibt es beim simplen boulevardesken Verwechslungsreigen.
Köstlich unterhaltende Gesamtleistung
Leopold Huber, der erfahrene See-Burgtheater-Produzent, der innovativ das Regie-Handwerk beherrschet, nimmt die Herausforderung an und besteht sie glänzend, auch mit einer glücklichen Hand für die Besetzung. Andreas Zaron als Georges und Helmut Mooshammer als Albin sausen auf der Gefühlsleiter schwindelerregend hinauf und hinunter, schwören sich die Liebe und den Hass, strafen sich mit kalter Verachtung und finden sich in der romantischen Umarmung.
Ensemble, Stab und das von Volker Zöbelin geleitete Orchester erbringen eine köstlich unterhaltende Gesamtleistung für ein Theaterspektakel im Vordergrund und eine ätzende Gesellschaftskritik im Hintergrund. Die das Vorurteil gegen die Homoerotik prägenden Klischees geraten unter die Räder einer tempogeladenen Dramaturgie, die das Happy End mit frappierenden Wendungen fest im Auge hat.
Verschönerung des Kultursommers
Der Aufführungserfolg ist umso bemerkenswerter, als das See-Burgtheater zu den bescheiden dotierten Bühnen gehört und neben der präzisen Arbeit den Einfallsreichtum benötigt, um dem Publikum die Illusion zu bestätigen, den Abend im flitternden und glitzernden Pomp eines mondänen Nachtclubs von St. Tropez zu verbringen. Es funktioniert.
Daraus wäre von den Förderinstanzen mit anerkennender Generosität abzuleiten, einen Blick aufs Budget der benachbarten Bregenzer Festspiele zu werfen, dann leer zu schlucken, sich einen Rippenstoss zu versetzen und das See-Burgtheater stattlicher zu unterstützen. Es ist selber ja kein "Käfig voller Narren", sondern inszeniert ihn - zur Belebung und Verschönerung des Kultursommers.