Jeder kann diese Dinge ebenso leicht kaufen wie Limonade über die Website vom Hauslieferdienst oder Bücher bei Amazon. Die Polizei ist besorgt. Dieser Markt sei geradezu explosionsartig gewachsen, berichtet Philip Eppelsheim in der FAZ: „Das kriminelle Netz“.
Kurze Wege
Die Pointe diese Beitrags: Bei dem „kriminellen Netz“ handelt es sich um Kriminalität für jedermann. Es sind keine besonderen Kenntnisse nötig, um sie zu nutzen, und wenn Waffenhändler ihre Kataloge ins Netz stellen, ist es vom Anschauen bis zum Erwerb kein weiter und holpriger Weg. Die einschlägigen Experten weisen darauf hin, dass sich Bestellungen, Zahlungen und Versandwege inzwischen selbst von „Dummys“ leicht verschleiern lassen.
Denn auch die komplexen Verschlüsselungs- und Tarntechniken werden schlicht und einfach verkauft. Wer sich also Waffen oder anderes nicht frei erhältliches Material beschaffen will, braucht dafür nur den Willen und das Geld. Grenzen, die der Staat früher gezogen hat, gelten nicht mehr.
Das Ende der Harmlosigkeit
Diesen Schreckensmeldungen stehen andere gegenüber. Sie handeln davon, wie stark die Überwachung aller Bürger in den vergangenen Jahren ausgedehnt worden ist. Zahllose „Dienste“ und zahllose Techniken werden eingesetzt, um das Innerste nach aussen zu kehren. Dabei wird der Übergang von trivialen Daten des täglichen Verhaltens zu hoch sensiblen Informationen wie etwa gesundheitlichen Diagnosen fliessend. Denn die modernen Verknüpfungstechniken nehmen auch der harmlosesten Beschäftigung ihre Unschuld. Es entstehen Muster, die möglicherweise fatale Schlüsse zulassen.
Computerexperten wie Constanze Kurz und Frank Rieger vom Chaos Computer Club weisen wieder und wieder auf diese bedenklichen Entwicklungen hin. Das geschieht nicht irgendwo, sondern auf den Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die sich bis heute als bürgerlich versteht. Constanze Kurz hat dort sogar eine wöchentliche Kolumne.
"Wohltätiges Dunkelfeld"
Es gehört zu den besten bürgerlichen Traditionen, die Freiheit des Individuums zu verteidigen. Es stellt sich aber die Frage, ob die Voraussetzungen dafür immer noch gegeben sind. Denn das Individuum verfügt heute über Fähigkeiten, die eine Neubewertung erfordern.
Wenn früher vom „Schutz der Privatsphäre“ die Rede war, dann ging es um die engen Lebenskreise, in denen sich der „Normalbürger“ bewegte. In dieser Privatsphäre konnte er Verbrechen begehen oder vorbereiten, aber seine Mittel waren begrenzt. Zudem gab es die informelle Kontrolle der Nachbarn, Bekannten und Freunde. In diesem Rahmen wollten die Polizei und Justiz auch gar nicht alles wissen. Der Jurist und Kriminologe Horst Schüler-Springorum sprach in diesem Zusammenhang vom „wohltätigen Dunkelfeld“, so dass nicht jede kleine Übertretung sogleich geahndet wurde.
Breschentheorie
Diese Zeiten sind vorbei. Denn die Privatsphäre kann just der Ort sein, an dem sich zukünftige kriminelle Handlungen vorbereiten. Wer sich wiederholt Waffen auf den entsprechenden Internetseiten anschaut, muss kein illegaler Käufer sein. Aber er kann es werden, ohne es heute schon zu wissen.
Der Kriminologe Martin Killias hat in den 1980er Jahren seine „Breschentheorie“ entwickelt. Demnach gibt es in den Schranken, die den Einzelnen leiten, Breschen, durch die er schlüpfen und etwas tun kann, was ihm vorher verwehrt war. Liegt zum Beispiel in einem Supermarkt Ware ohne Überwachung aus, verleitet das zum Ladendiebstahl.
Ende des Privaten
Das Internet schlägt eine Bresche nach der anderen. Das Angebot ist schrankenlos. Es kann die Nutzer auf Ideen führen, die sie vollkommen verändern. Jemand schaut sich Waffen an, dann kauft er eine illegal. Und eines Tages benutzt er diese Waffe, weil sie nun einmal zur Verfügung steht.
Diese Art des „Internet der Dinge“ weitet die Sphäre des Verdachts ins Unendliche. Der ursprünglich harmlose Reisende im Internet kann als ein Anderer zurückkommen. Der Staat und seine Organe müssen damit rechnen. Sie müssen ihn unter die Lupe nehmen. Das Private ist nicht mehr privat.
Flucht nach vorn
Jeder Trend erzeugt einen Gegentrend. Geradezu spiegelbildlich zur Überwachung durch die mehr oder weniger staatlich beauftragten und kontrollierten Geheimdienste gibt es den Exhibitionismus in den sozialen Netzwerken. Jeder soll jederzeit alles von jedem wissen. Könnte es sein, dass dahinter das Bestreben steckt, jedem jederzeit deutlich zu machen, dass sich jede Suche erübrigt? Handelt es sich um eine Art präventive Enthüllung, um ja nicht erst in der höchst verdächtigen Privatsphäre vermutet zu werden?
Früher hielt sich der „ehrenwerte Bürger“ von allem fern, was irgendwie „anrüchig“ war. Heute genügt das nicht mehr. Da das Anrüchige und Kriminelle allgegenwärtig und wohlfeil zu haben sind, hilft nur die Flucht nach vorn: Alles wird nach aussen gekehrt. Kein Rest mehr für die Geheimdienste!