Seit bald sechs Monaten ist die neue Regierung im Amt. Rechnet man die Monate hinzu, die die Partei Syriza hatte, um sich zu formieren und den Wahlkampf zu führen, kommt man auf ein gutes Jahr Zeit für neuartige Entwürfe.
Besserwisserei
Was in dieser Zeit nicht entstanden ist, sind Konzepte für einen Kurswechsel. Diese Konzepte gibt es nur als Gerüchte. Statt dessen belehrt insbesondere der Finanzminister Yanis Varoufakis die Gläubiger Griechenlands über Wirtschaftstheorie. Dahinter stehen die Konzepte des ehrenwerten John Maynard Keynes, die durchaus nicht unbekannt sind.
Anstatt mit eignen Konzepten und Vorschlägen die Gläubiger vor sich herzutreiben, sind es diese, die die Initiative ergreifen und ständig neue Vorschläge und „Kompromisse“ als „allerletzte“ Einigungsmöglichkeiten vorlegen.
Es mag sein, dass die Finanzpolitik der EU und ihrer „Institutionen“ wirtschafts- und finanzpolitisch falsch ist. Aber warum kann Alexis Tsipras nicht einen einzigen Vorschlag zur Sanierung seines Landes vorlegen, der geeignet wäre, wenigsten in Teilen der europäischen Öffentlichkeit Beachtung und Anerkennung zu finden?
Parolen statt Konzepte
Dieser Mangel ist viel dramatischer, als er auf den ersten Blick erscheint. Denn er könnte nicht nur den Staatsbankrott und den Austritt Griechenlands aus der EU zur Folge haben. Noch schlimmer ist die Tatsache, dass eine linke Regierung, für die sich die Vertreter der EU mittlerweile mehr Zeit genommen haben als jemals zuvor für irgendein anderes Land und seine politischen Vertreter, buchstäblich mit leeren Händen dasteht.
Das heisst im Klartext: Zumindest in Griechenland hat eine linke Partei nichts anderes zu bieten als Parolen. Wenn es um Konzepte geht, greift man ins Nichts.
Das ist erbärmlich. Noch erbärmlicher ist es, dass dieselben linken Politiker, anstatt endlich ihre Hausaufgaben zu machen, nichts besseres zu tun haben, als die übrigen Europäer vor dem Staatsbankrott und Zusammenbruch Griechenlands zu warnen. Das ist so jämmerlich wie die Drohung mit seinem Suizid.
Kulturell anschlussfähig?
Es gibt sehr gute Gründe dafür, Griechenland im Euro halten zu wollen. Denn ein Zusammenbruch dieses Landes hätte zur Folge, dass die Griechen noch nicht einmal mehr eine Syriza-Regierung hätten. Das Land käme vom Regen in die Traufe. Europa müsste eine weitere Intensivstation errichten und finanzieren, um sich selbst vor den Folgen der neuen Anarchie zu schützen.
Europa steht aber vor der Frage, ob Griechenland kulturell anschlussfähig ist. Das ist um so bedauerlicher, als es in Griechenland eine breite Schicht von hervorragenden, klugen und hochmotivierten Akademikern und Unternehmern gibt, die zum besten gehören, was die europäische Kultur zu bieten hat.
Aber das Land schafft es immer wieder mit seiner politischen und administrativen Unfähigkeit, diese Leute entweder aus dem Land zu treiben oder sie unter der dicken Decke der Inkompetenz verschwinden zu lassen. Deswegen geht es nach den Monaten der Diskussionen über finanzielle „Hilfen“ gar nicht mehr darum, wer was wie lange mit welcher Erfolgsaussicht noch zu zahlen bereit ist. Die Frage lautet, wie lange sich Europa noch an der Nase herumführen lassen will.