Erzählt wird – weitgehend in Form einer On-the-Road-Reportage – von der Suche des 1947 in Zürich geborenen Walo Deuber nach Spuren seines Vaters Emil. Walo Deuber schrieb 2014: „Der Bogen beginnt mit dem dramatischen Bruch 1954 in der Schweiz des Aufschwungs der 50er Jahre, nimmt die Spur der Abenteuer auf fremden Wüstenbaustellen und einer Liebesgeschichte auf und endet mit dem Tod in Afrika 1963.“ Und was war der Grund, dass Emil Deuber seine Familie verlassen hat? „Sein unorthodoxes Verhalten in der rechtschaffenen Schweiz der Nachkriegsjahre hat eine Familie auseinanderbrechen und ihn nach einer Zwangseinweisung in die Psychiatrie und Entmündigung nach Afrika flüchten lassen“, hat Walo Deuber 2014 dazu notiert.
Reflexion über Generationen hinweg
Den Kontakt zu den Seinen in der Heimat hielt der Vater immerhin mit Briefen und Postkarten aufrecht. Doch erst Jahrzehnte später begann Sohn Walo die Dokumente zu sichten, die er im Elternhaus gefunden hatte. So reifte die Idee, in Afrika den fast verblichenen Fährten des Vaters Konturen zu verleihen, um mehr über ihn – und sich selber – zu erfahren.
Zum Teil begleitete Walo Deuber dabei seine erwachsen gewordene Adoptivtochter Julie La Roche, die aus Kolumbien stammt. Was der Story ein berührendes Cachet verleiht. Walo Deuber 2014: „Schritt für Schritt bietet sie Anregung zur Reflexion über drei Generationen hinweg: diejenige des in der Heimat entmündigten Vaters, seines Sohnes, der vaterlos aufwächst, und einer Tochter, die von ihrer Mutter in Kolumbien verlassen worden ist und keinen Vater haben wollte.“
Trilogie des Erinnerns
Für Deuber war der Film der Abschluss einer „Trilogie des Erinnerns“, die er im Dokumentarfilm „Spuren verschwinden – Nachträge ins Europäische Gedächtnis“ (1998) – es geht um die jüdische Lebenswelt in der Ukraine – und im Spielfilm „Ricordare Anna“ (2005) – einer Lovestory zwischen Sizilien und Zürich – begonnen hatte. „Giraffen machen es nicht anders – Die Vater-Spur“ ist vielleicht Deubers persönlichstes Werk. Und ist somit keine nüchtern buchhalterische Chronologie der Ereignisse, sondern ein emotionales, atmosphärisch dichtes Reisetagebuch.
Journalist, Filmschaffender, Politiker
Walo Deuber kannte man von den 1970er Jahren an als Journalist, später auch als Buchlektor, Dozent, humanitärer Helfer. Und nach der Jahrtausendwende politisierend, als Gemeinderat im zürcherischen Erlenbach. Zum Filmschaffen hatte er ein inniges Verhältnis, war 1985 etwa an Xavier Kollers „Der schwarze Tanner“ beteiligt und 1988 Ko-Regisseur des Spielfilms „Klassezämekunft“. Zudem realisierte er, wie erwähnt, weitere Dokumentar- und Spielfilme. Das letzte Werk, „Giraffen machen es nicht anders – Die Vater-Spur“ stellte er zeitnah zum 70. Geburtstag fertig. Dass sein filmisches Kleinod nun im Kino zu sehen ist, ist in nicht geringem Mass der engagierten Zürcher Produzentin Rose-Marie Schneider zu verdanken. Sie hat Walo Deuber über die Zeitläufte hinweg freundschaftlich, mit professioneller Umsicht begleitet.
Das Eigene im Anderen
Walo Deuber war vom Besonderen umflort. Irgendwie alterslos wirkte er in seiner typischen Lederjacke und in Jeans. Oft erschien er einem zugleich anziehend-unnahbar wie entwaffnend-zugänglich. Und er hatte einen eigenen Humor. Wenn man ihm in „Giraffen machen es nicht anders – Die Vater-Spur“ noch einmal zusieht und zuhört, wird auch deutlich, dass er ein selbstironischer, aber besinnlicher und unterhaltsamer Erzähler war.
Wer ihn kannte, oder wie der Schreibende immerhin lange mit ihm bekannt war, erkennt im nachgelassenen Werk Wesensvertrautes und erfährt Neues aus seiner Vita. Gut, dass der kritisch hinterfragende Beobachter und analytisch ordnende Rechercheur den Film so komponiert und strukturiert hat, dass im Persönlichen das Allgemeingültige Raum hat: Von elitärer, larmoyant-nostalgischer und selbstgefälliger Nabelschau ist nichts zu spüren; dieser Film befördert die Suche nach dem Eigenen im Anderen.
„Afrika“ gibt es
Nicht nur dort, wo Deuber den Blick auf ein Afrika lenkt, in dem die weisse Bevölkerung und Zuwanderer wie sein Vater Emil Deuber in den ersten Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg den kolonialistischen Ton angaben. Ich selber hatte einen Grossvater, der in den 1950er und 1960er Jahren als Polier im Bauwesen in Accra, Ghana, arbeitete. Ein stolzer, eleganter, gescheiter Mann hugenottischer Abkunft, der für mich der lebende Beweis dafür war, dass „Afrika“ tatsächlich existierte – weit über den „Globi“-Buch-Witz, das „Negerli“-Almosen-Kässeli in der Sonntagsschule oder die familienfreundlich geschönten Matinee-Kulturfilme im Kino hinaus.
Mich beeindruckten ehrlich gesagt vorab die Geschenke, die der Grossvater bei den wenigen Besuchen in der Schweiz mitbrachte: Eine Ananas, die meine Mutter in einem Feinkostgeschäft fachgerecht zerteilen liess – und dem Filialleiter als Entgelt eine Kostprobe dort liess. Oder Buchstützen aus Mahagoniholz in Elefantenform, mit (darf man das noch erwähnen?) Mini-Stosszähnen aus Elfenbein. Und ein längeres Stück Python-Schlangen-Haut, das im Freundeskreis Sensations-Status erlangte.
Lust auf die Suche nach dem Selbst
Geblieben sind mir nur noch ein kunstvolles Frauenfigürchen aus Metall, Fotos und „Luftpost“-Briefe. Sowie die Erinnerung an zuweilen von mütterlichem Schluchzen begleitete Andeutungen, dass ihr Papa, den ich irgendwie verehrte, ein paar Geheimnisse habe. Was sie damit meinte, wollte ich als Kind nicht wissen. Und als ich es dann wissen wollte, war es zu spät.
Walo Deuber wollte es wissen, gerade noch zur rechten Zeit. Und er hat couragiert, leidenschaftlich, empathisch nach Antworten geschürft. So wie es seine Art war. Was er von seinen Erkenntnissen öffentlich gemacht hat, ist auch für ein Publikum interessant, das ihm nie begegnet ist: Denn „Giraffen machen es nicht anders – Die Vater-Spur“ schürt die Lust auf die Suche nach dem Selbst.
Vorpremiere: 31. Oktober 2017, Kino Kosmos in Zürich, 18.30 Uhr
Kinostart: 2. November 2017