Die Arena-Sendung im Schweizer Fernsehen vom Februar 2017 ist dem Medienprofi Roger Schawinski offenkundig tief unter die Haut gefahren. Es ging um das Thema «Trumps Krieg gegen die Medien». Im Verlauf der Sendung kam es zu einem hitzigen Zusammenstoss zwischen dem Moderator Jonas Projer und Daniele Ganser, der sich als Historiker und Friedensforscher bezeichnet. In den letzten Jahren hat sich Ganser in bestimmten Kreisen der schweizerischen und deutschen Öffentlichkeit durch unzählige Vorträge und einige auflagestarke Bücher als Kritiker der offiziellen Erklärungen der 9/11-Attentate und anderer angeblich manipulierten Darstellungen terroristischer Anschläge hervorgetan.
Gansers akademische Anfänge
Der erregte Streit zwischen Ganser und dem Moderator brachte auch viele Zuschauer in Wallung. Es gab über 500 Beanstandungen beim Ombudsmann, der bestimmte Verhaltensweisen des Moderators rügte. Doch eine spätere Beurteilung der unabhängigen Aufsichtsinstanz entschied, dass die Sendung insgesamt das Radio- und Fernsehgesetz nicht verletzt habe. Schawinski war ein Teilnehmer der Arena-Diskussionsrunde, stand aber nicht im Zentrum der Ganser-Projer-Kontroverse.
In seinem jetzt im NZZ-Verlag erschienen Buch setzt sich Schawinski in einem ganzen Kapitel mit der Person und den Praktiken von «Doktor Daniele Ganser» auseinander. Der 1972 in der Schweiz geborene Sohn eines Deutschen, der sich geweigert hatte, in den Krieg für Hitler-Deutschland zu ziehen, ging in Basel zur Schule, studierte Geschichte an der dortigen Uni und schrieb eine Dissertation über die italienische Geheimoperation Gladio während des Kalten Krieges, die von der Nato zum Teil unterstützt wurde. Die Ergebnisse der späteren Aufklärungen sind nicht unumstritten.
Schawinski ist den Einwänden gegen Gansers in hoher Auflage verkauftem Gladio-Buch nachgegangen und zitiert dabei eine Reihe von vorwiegend amerikanischen Fachleuten, die dem Autor einseitige Fixierung auf ein gefälschtes Dokument, Ignorierung des richtigen historischen Kontexts und das Ausblenden der mit der Operation Gladio verknüpften KGB-Desinformationskampagnen vorwerfen. (Letztere belegt durch die sogenannten Mitrochin-Archive). Ganser war später Mitarbeiter der Denkfabrik «Avenir Suisse» und dann kurzzeitig an der ETH Zürich. In beiden Institutionen wurde er wegen seines Beharrens auf wilden Verschwörungstheorien entlassen.
Moskaus Krim-Operation war keine Annexion
Seine Habilitationsschrift zum Thema Peak Oil wurde von einem Universitätskollegium der Universität Basel, dem auch sein Doktorvater Georg Kreis angehörte, zurückgewiesen. Die Peak-Oil-These, laut der die Förderung von Öl in Kürze einen Höhepunkt erreichen werde, um danach rasant abzufallen, was schwere politische Erschütterungen durch Ressourcenkriege auslösen könnte, ist inzwischen durch neue Fördermethoden und die Entdeckung bisher unbekannter Vorkommen eindeutig überholt. Dies kratzt zwar auch an Gansers sorgfältig kultiviertem Anspruch, ein rein faktenorientierter und ideologiefreier Wissenschafter zu sein – was seine Anhängergemeinde indessen kaum wahrnimmt oder irritiert.
In seinem Buch «Illegale Kriege» stuft Ganser zwar die illegale Besetzung der Krim durch russische Truppen (die zunächst nicht als solche gekennzeichnet waren) auch als illegal ein, da Russland nicht über ein Mandat des Uno-Sicherheitsrats verfügt habe. Doch dieser Intervention, behauptet der Autor kühl und ohne glaubwürdige Fakten, sei «ein illegaler amerikanischer Putsch in Kiew vorausgegangen, für den auch kein Mandat des Uno-Sicherheitsrats vorlag». Ganser übernimmt, wie Schawinski in seinem Buch dokumentiert, beim Krim-Thema vollständig die Sprachregelung des Putin-Regimes und beharrt darauf, dass «der Begriff Annexion falsch ist und nur dazu dient, die Spannungen mit Russland zu schüren».
Charlie Hebdo und 9/11
Zur bewährten Technik des selbsternannten «Friedensforschers» Ganser und anderer Aktivisten auf dem Geschäftsfeld der Verschwörungstheorien gehört es, sich als bloss kritischer Fragesteller zu inszenieren, der weitherum anerkannte Tatbestände im Namen der Wahrheit hinterfragt. So tweetete er zum Anschlag auf die Satirezeitung «Charlie Hébdo» mit zehn Todesopfern im Januar 2015, das zweifelsfrei von islamistischen Terroristen verübt wurde, vielleicht sei das eine «Operation unter falscher Flagge» (ein beliebtes Code-Wort bei Verschwörungstheorien) gewesen, «wir wissen es nicht». Für ihn jedenfalls sei dieser Terroranschlag ungeklärt. «Sicher ist, dass der militärisch-industrielle Komplex (ein anderes gern verwendetes Code-Wort) davon profitiert.» Wie genau dieser militärisch-industrielle Komplex von dem Massacker gegen die Satirezeitschrift profitiert, wird nicht näher erläutert, aber Ganser ist sich da ganz «sicher».
In einem eigenen Kapitel setzt sich Schawinski mit dem in vielerlei Hinsicht erschütternden Attentat auf die Wolkenkratzer des World Trade Centers am 11. September 2001 und den darum herum nach wie vor blühenden Verschwörungstheorien auseinander. Zu diesen zählt meist an zentraler Stelle die Behauptung, dass für diese Katastrophe die US-Regierung und ihre Geheimdienste verantwortlich seien. Die Verbreiter solcher Theorien stützen sich dabei mit Vorliebe auf die «Erklärung», dass entweder alle drei eingestürzten Türme des World Trade Centers oder zumindest das erst später zusammengebrochene dritte Hochhaus (WTC 7) durch eine «kontrollierte Sprengung» zerstört worden seien.
Mordaktion gegen 3000 eigene Bürger
Ein genaues Motiv für die atemberaubende These, dass die amerikanische Regierung oder eine ihrer Agenturen absichtlich gegen 3000 eigene Bürger in den Tod geschickt habe, wird zwar von den Propagandisten dieser Behauptungen nicht durchgehend ausformuliert, doch in den darauf spezialisierten Netzwerken werden vielseitige Spekulationen angestellt. Eine Version lautet, dass damit der anderthalb Jahre später von der Administration Bush junior durchgesetzte Einmarsch in Irak zur Behändigung der dortigen Ölquellen gerechtfertigt werden sollte. Auch Ganser deutet in seinem Buch zur diskreditierten Peak Oil-These solche Zusammenhänge an.
Schawinski hat eine einleuchtende Erklärung dafür, weshalb die offiziellen Fakten über den Ablauf von 9/11 und die arabischen Täter – mehrheitlich islamistische Extremisten aus Saudiarabien – von den Verschwörungspropagandisten so vehement dementiert oder einfach beiseite gewischt werden: Die eingehende Bezugnahme auf diese Täterschaft würde ja die eigene Grundthese von der abgrundtiefen Bösartigkeit und Verlogenheit der Machthaber in Amerika und ihrer Nato-Verbündeten erschüttern und damit auch die meisten der damit verknüpften Verschwörungs-Erzählungen ins Wanken bringen.
Deshalb müsse, argumentiert der Autor, auch bei jedem der verschiedenen Giftangriffe im syrischen Bürgerkrieg automatisch unterstellt und behauptet werden, dass «alles eben ganz anders abgelaufen sei, als es uns die von den zuständigen Behörden (etwa der Uno) und der mit ihnen verbandelten, korrupten westlichen Medien glauben machen wollen».
Trump – Verschwörungstheoretiker-in Chief
Den jetzt im Weissen Haus regierenden Präsidenten bezeichnet Schawinski als «Verschwörungstheoretiker-in-Chief». Er hat den Wahlkampf gegen seine parteiinternen Rivalen in der Republikanischen Partei und dann gegen Hillary Clinton nicht zuletzt durch seine hemdsärmeligen Tiraden gegen den «Sumpf in Washington», die «korrupten Eliten» und die ihn kritisierenden «Lügenmedien» gewonnen. Damit schürte er bei einem beträchtlichen Teil des Wahlvolks den Glauben, dass sie «allesamt Opfer einer gewaltigen Verschwörung» seien, der er – der furchtlose Baulöwe und milliardenschwere Anwalt des kleinen Mannes – endlich den Garaus machen werde.
Zu Trumps Verschwörungspropaganda gehört, wie man sich erinnert, auch seine entgegen allen Beweisen über Jahre verbreitete Behauptung, Präsident Obama sei eigentlich ein heimlicher Muslim und gar nicht in den USA geboren. Um die sein Ego offenkundig tief kränkende Tatsache zu bemänteln, dass er zwar die Präsidentschaft gewonnen, aber drei Millionen Wählerstimmen weniger als Hillary Clinton bekommen hatte, verkündete er wiederum ohne glaubwürdige Fakten, es seien mehrere Millionen «illegale Stimmen» für seine Kontrahentin abgegeben worden.
Grosses Geld mit Verschwörungsgeschichten
Trump ist gewiss nicht der einzige Gaukler, der es mit skrupellosen Wahrheitsverdrehungen und simplistischen Erklärungsmustern für komplexe Sachverhalte sehr weit gebracht hat. Schawinski verweist in seinem Buch auf eine ganze Reihe von geschickten Manipulatoren, die via Internet, Radio, Live-Auftritten oder Massenabsatz von Büchern in dafür spezialisierten Verlagen grosses Geld mit abstrusen Verschwörungserzählungen verdienen.
Einer davon ist in den USA Alex Jones, der täglich eine vierstündige Radio-Sendung bestreitet, die seit Jahren von mehr als 150 Mittelwellen- und UKW-Sendern ausgestrahlt werden. Seit 2010 wird ihm auch bei RT, dem vom Putin-Regime finanzierten internationalen Fernsehkanal (früher Russia Today) Sendezeit eingeräumt. Trump war im Wahlkampf öfters in der Alex Jones-Show zu Gast.
Einen Teil der Sendung verwendet Jones damit, seine Produkte anzupreisen, bei denen es sich zumeist um obskure Wundermittel und Quacksalbereien handle, schreibt Schawinski. Damit verdiene er etwa zwei Drittel seiner Einnahmen in vielfacher Millionenhöhe. In diesem Fall wie bei andern Verschwörungstheorie-Vermarktern, drängt sich daher die Vermutung auf, dass sie ihre Tiraden gegen die «Eliten» und die etablierte «Lügenpresse» sehr gezielt als Mittel zu kommerziellen Erfolgen einsetzen. So hat auch Kurt Spillmann, der emeritierte Professor für Sicherheitspolitik an der ETH, seinen ehemaligen Mitarbeiter Ganser als «Verführer und Geschäftemacher» eingestuft.
Brandbeschleuniger Internet
Das Internet und die damit verbundene digitale Revolution seien entscheidende «Brandbeschleuniger» für die «gewaltige Renaissance von Verschwörungstheorien», meint Roger Schawinksi. Dass das Internet und die auf dessen Grundlage lancierten Social-Media-Plattformen wie Facebook, Youtube oder Twitter die Möglichkeiten zur Verbreitung und laufenden Ergänzung von Verschwörungstheorien für praktisch jeden User ins Unermessliche multipliziert haben, ist unbestritten. Aber ist es bei all diesen technischen Kommunikationserweiterungen gerechtfertigt, von einer «Renaissance» der Verschwörungstheorien zu sprechen?
Da kann man seine Zweifel haben. Gab es nicht schon immer Verschwörungstheorien, auch im vermeintlich so aufgeklärten vorigen Jahrhundert? Hitler hat seine antijüdischen Verschwörungstheorien auch ohne Internet verbreiten können. Stalin und Mao waren in der Lage, mit ideologischen Fake-News weit über ihre Landesgrenzen hinaus Millionen von Menschen zu beeinflussen. Der Mord an John F. Kennedy ist noch vor der Existenz des Internets von geschäftstüchtigen Autoren und Filmemachern wie Oliver Stone als teuflisches Komplott geheimdienstlicher Drahtzieher einem Millionenpublikum vorgeführt worden. Und im Mittelalter, als es praktisch überhaupt noch keine allgemein zugänglichen Medien gab, hatten wohl die meisten Menschen kaum eine andere Wahl, als sich an undurchsichtigen Legenden, dubiosen Marktschreiern und unüberprüfbarer Flüsterpropaganda zu orientieren.
Putin als «grosser Verbündeter»
Dennoch ist es wichtig, dass man sich als wacher Zeitgenosse mit den heutigen neuartigen Methoden zur Verbreitung von zusammengeschusterten Verschwörungstheorien und einseitig manipulierten Nachrichten vertieft auseinandersetzt. Die kaum mehr überblickbare Vielfalt des Informations- und Interpretationsangebots macht die Aufgabe, die Spreu vom Weizen zu trennen und zwischen Wahrheit, Halbwahrheit und Lüge zu unterscheiden, keineswegs leichter. Und Schawinski hat Recht, wenn er feststellt, dass mit Donald Trump im Weissen Haus «die Kampfzone der Verschwörungstheoretiker in einer zuvor unvorstellbaren Weise erweitert» worden sei. Denn wenn Verschwörungstheorien «von höchster Stelle mit grosser Kadenz abgefeuert und blitzschnell von immer neuen Lügen abgelöst werden, erhalten sie eine gesellschaftliche Akzeptanz, die sie früher nicht erlangen konnten».
Auch Putin kommt bei dieser Analyse der digital geförderten und beschleunigten Verschwörungstheorien nicht gut weg. Der Autor nennt ihn den «grossen Verbündeten» der professionellen Verschwörungstheoretiker, weil er neben der grossflächigen Lancierung von mittlerweile recht geschickt verpackten Fake News (Stichwort: die Troll-Fabrik in St. Petersburg) und Behauptungen über angeblich antirussische Verschwörungen westlicher Regierungen auch einige Rechtsaussenparteien in westlichen Ländern (bekannt ist der Fall des Front National von Marie Le Pen) finanziell unterstütze.
Gegengift Bescheidenheit
Was kann man gegen diese zumindest im numerischen Sinne sich vermehrenden Missstände der gezielten Wahrheitsverwirrung tun? Schawinski zitiert dazu den bekannten Kolumnisten David Brooks von der «New York Times». Dieser empfiehlt als ein mögliches Gegengift gegen die zersetzenden verschwörungstheoretischen Fixierungen die Bescheidenheit. Man müsse den Mut haben zu begreifen, «dass die Welt zu komplex ist, um sie in ein einziges politisches Glaubenssystem zu pressen», schrieb Brooks vor einigen Wochen. Es gelte zu begreifen, dass es keine einfachen Antworten oder bösartige Verschwörungen gibt, die die grossen politischen Fragen oder die existenziellen Probleme zu erklären vermögen. «Fortschritt erreicht man nicht, indem man einen Schwarm von bösartigen Feinden zerschlägt. Man erreicht ihn nur, indem man ein delikates Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit findet, zwischen Solidarität und Verschiedenheit.»
Anders als einst erhofft, hat sich die Idee der Aufklärung bisher nicht als jenes Wunderrezept erwiesen, das die Welt ständig besser und die Menschen laufend vernünftiger machen würde. Doch trotz schwerer Rückschläge wäre es falsch, diese Idee einfach abzuschreiben. Wer Roger Schawinskis faktenreiches Buch über den obskuren Kosmos der Verschwörungstheorien, deren zynische Produzenten und ihre blauäugigen oder verbitterten Anhängergemeinden liest, gewinnt einiges an aufklärerischen Einsichten zu diesem hochaktuellen Themenkreis.
Roger Schawinski: Verschwörung! Die fanatische Jagd nach dem Bösen in der Welt. NZZ Libro, Zürich 2018.