Am 25. Oktober 2015 hat die nationalkonservative PiS (Recht und Gerechtigkeit) die Wahlen mit 37,8 Prozent gewonnen, zusammen mit zwei kleinen Rechtsparteien. Sie erreichte mit Glück sogar eine absolute Mehrheit im Parlament (Journal21, 26.10.2015). Mitte November übernahm sie die Regierung.
Kaczynskis Doppelstrategie
Unter dem eigentlichen Big Boss, dem Parteipräsidenten Jaroslaw Kaczynski, schlug die PiS eine Art Doppelstrategie ein. Einerseits setzte sie relativ zügig wichtige versprochene soziale Verbesserungen um, wie ein grosszügiges Kindergeld und die Rücknahme der Rentenalterserhöhung. Damit wollte sie nicht nur die eigene Klientel bei der Stange halten, sondern sich auch Goodwill bei einer breiten Bevölkerung verschaffen.
Anderseits fuhr sie von Beginn an einen knallharten politischen Kurs, der ihr schrittweise die Kontrolle über die wichtigen staatlichen Institutionen ermöglichte. Dabei kümmerte sie sich wenig um rechtsstaatliche Normen und Prozeduren und nahm breite Proteste und eine intensive Polarisierung in Kauf. Die „dobra zmiana“ (der gute Wandel) zielte auf einen „erneuerten“ starken Staat, der auf einer traditionellen, katholisch geprägten nationalen Identität fussen sollte. Das ist die „Vision“ oder besser noch die „Mission“, die Kaczynski verfolgt und die er auch zur Rechtfertigung seiner rüden Machtpolitik einsetzt.
PiS zieht positive Bilanz
Aus der Sicht der PiS sind die ersten zwei Jahre positiv verlaufen. Kaczynski meinte denn auch in einem kürzlichen Interview, dass der „gute Wandel“ vorwärts komme. Man mache das, was man angesagt habe, und das in einem guten Tempo. Als grössten Erfolg bezeichnete er die Überwindung des Stillstandes. Und ganz im Duktus seiner „Vision“ meinte er: „Es gibt keinen Zweifel, dass unser Staat in guten Händen viel erreichen kann.“
Zusammen mit Regierungschefin Beata Szydlo trat Kaczynski diese Woche auch auf einer Pressekonferenz auf, bezeichnenderweise am Parteisitz der PiS, dem eigentlichen Machtzentrum. Beide betonten dabei, dass man schon grosse Erfolge erzielt habe und es den Polen heute besser gehe.
Szydlo liess auch am Regierungssitz ihre wichtigsten Minister Bilanz ziehen, die fast schon in einer Art Wettbewerb ihre Erfolge herauszustreichen suchten.
In der breiten Bevölkerung sind die Meinungen geteilt
Umfragen zeigten je nach Fragestellung und Methode unterschiedliche Resultate. In einer Umfrage von Anfang November meinte fast die Hälfte, seit der Machtübernahme durch die PIS hätte es grosse Veränderungen gegeben. 37 Prozent beurteilten die Veränderungen negativ, 36 Prozent positiv.
In einer Umfrage von Anfang Oktober erhielt die Regierung in 11 von 12 konkreten Bereichen allerdings mehr positive Einschätzungen als negative. Bei der Familienunterstützung resultierten sogar 62 Prozent, nur im Gesundheitswesen gab es mit 35 gegenüber 26 Prozent mehr negative Beurteilungen. Am kritischsten äusserten sich Befragte mit hohem Bildungsstand und Bewohner von grossen Städten. Die besten Noten gaben ältere Befragte, Leute mit geringem Bildungsstand und Landbewohner.
Das sind auch weitgehend die Schichten, die sich als Anhänger der Regierung bezeichnen. Anfang Oktober resultierte mit 44 Prozent ein Höchststand in den jeden Monat durchgeführten Erhebungen. Nur 27 Prozent bezeichneten sich als Gegner, 26 Prozent als gleichgültig. Obwohl die Anhänger die Gegner fast ständig etwas übertrafen, war der Unterschied noch nie so gross. Dazu passt ein weiteres Trendergebnis. Fast die Hälfte gaben an, dass die Situation im Lande, allgemein gesehen, in eine gute Richtung tendiere, auch ein Rekordresultat.
Eckpfeiler des PiS- Erfolgs
Neuste Umfragen zeigen, dass die PiS wieder etwas an Rückhalt verloren hat. Aber Wahlen würde sie auch jetzt wieder gewinnen mit einem ähnlichen oder sogar besseren Resultat als vor zwei Jahren. Dass das PiS-Regime so gut dasteht, ist eher erstaunlich.
Denn Umfragen zeigten jeweils, dass viele Reformen mehrheitlich kritisiert wurden. So stiess vor allem der rüde Machtausbau auf Ablehnung, von der Usurpierung des Verfassungsgerichtes, der Kontrolle der Staatsanwaltschaften und der staatlichen Medien, die Umbesetzung von Stellen im Staatsdienst und den staatlichen Unternehmen bis hin zur im letzten Sommer angestrebten Kontrolle des Gerichtswesens.
Der relative Erfolg des PiS- Regimes beruht auf mehreren Faktoren. Die PiS kann auf einen überdurchschnittlich starken Kern von treuen Anhängern und Sympathisanten zählen. Dieser macht ungefähr 20 bis 25 Prozent aller Wahlwilligen aus und unterstützt die PiS auch aus ideologisch-weltanschaulichen Gründen.
Verbesserte Wirtschaftslage
Bei den restlichen PiS-Unterstützern sind situative Faktoren von entscheidender Bedeutung, insbesondere wirtschaftliche und soziale Aspekte. Gerade soziale Verbesserungen fallen auf dem Hintergrund der mageren Bilanz der Vorgängerregierung besonders ins Gewicht. Vom Popularitätshit, dem staatlichen Kinderzulagenprogramm 500+, profitieren immerhin 2,6 Millionen Familien. Zwei Drittel davon wohnen auf dem Lande. Viele, die selber nichts davon haben, finden das Programm aus Solidaritätsgründen richtig.
Die Wirtschaftslage hat sich weiter verbessert. Für dieses Jahr wird mit einem Wachstum von gegen 4 Prozent gerechnet. Die Arbeitslosigkeit ist mit gut 6 Prozent so tief wie nie seit 1991, dem Beginn der Wirtschaftsreformen. Die Löhne sind deutlich gestiegen. Die gesetzlichen Mindestansätze wurden ebenfalls angehoben. Es konnten durch bessere Kontrollen auch mehr Steuern eingetrieben werden, das budgetierte hohe Staatsdefizit dürfte geringer als geplant ausfallen.
Die PIS als Polenversteherin
Punkte holte die PiS auch mit ihrem ablehnenden Kurs gegenüber Flüchtlingen (Journal21, 06.06.2017). Die Polen sind zwar EU-freundlich – über 80 Prozent finden in Umfragen die Mitgliedschaft gut. Aber in der Flüchtlingsfrage wollten deutliche Mehrheiten der EU keinesfalls nachgeben. Der PiS gelingt es auch sonst aus einem verbreiteten Selbstverständis der polnischen Nation Kapital zu schlagen. Nicht nur Kaczynski, sondern auch viele Polinnen und Polen sehen aufgrund der Geschichte ihre Nation als etwas ganz Besonderes an, eine Nation, die oft Opfer von fremden Mächten wurde. Die PiS kultiviert und überhöht diese Sichtweise mit einer speziellen „historischen Politik“ und pflegt einen eigentlichen „Heldenkult“.
In diesem Zusammenhang ist auch die seit diesem Sommer von Kaczynski aufs Tapet gebrachte Reparationsfrage gegenüber Deutschland zu sehen. Ausser Entschädigungen für Zwangsarbeiter hat Polen nie Reparationen bekommen, obwohl es enorme Kriegsverluste erlitten hatte. Rechtlich und politisch sind solche Ansprüche zwar illusorisch, zudem werden astronomische Summen von gegen einer Billion Euro genannt. Aber das Ansinnen verschaffte der PiS hohe Medienpräsenz und wurde in einer Umfrage von einer Mehrheit von 61 Prozent unterstützt. Selbst Oppositionspolitiker äusserten sich vorsichtig. Sie argumentierten aus pragmatischen Gründen dagegen, da könne man nichts mehr erreichen und belaste nur das sonst schon gespannte Verhältnis zu Deutschland.
Auch in den Konflikten mit der EU setzt die PiS ganz auf die Opferrolle. Dies wurde auch wieder in den heftigen Reaktionen auf die Resolution des EU-Parlamentes gegen polnische Rechtstaatsverletzungen vom letzten Mittwoch deutlich. Selbst der sonst eher moderate Präsident Andrzej Duda meinte, das sei keine Kritik an der polnischen Regierung gewesen, sondern am Lande, an der polnischen Gesellschaft. Sechs Abgeordneten der grössten Oppositionspartei PO (Bürgerverständigung), die für die Resolution gestimmt hatten, wurde von Duda sogar das Recht abgesprochen, sich polnische Abgeordnete zu nennen. Die Abgeordneten wurden selbst in der eigenen Partei gerügt. Die PO hatte nämlich die Stimmenthaltungsparole ausgegeben. Man teile zwar die inhaltliche Kritik, sei aber gegen eventuelle Sanktionen.
Schwache Opposition
Ein wichtiger Faktor für die Stärke der PiS ist die Schwäche der gespaltenen Opposition. Es fehlt nicht nur an starken Führungspersönlichkeiten, sondern auch an überzeugenden Programmen. Parlamentarische Interventionen finden zwar manchmal ein mediales Echo, verpuffen aber meist wirkungslos.
Aktuelles Beispiel dafür dürfte ein angekündigtes Misstrauensvotum gegen die Regierung werden, falls diese nicht die Verantwortung für die rassistischen Vorfälle am rechtsradikalen „Unabhängigkeitsmarsch“ vom letzten Samstag übernehme. Diese Demo wird schon seit einigen Jahren von rechtsradikalen Organisationen in Warschau anlässlich des Unabhängigkeitstages durchgeführt. Dieses Jahr nahmen mit rund 60’000 Personen besonders viele daran teil. Einen eigentlichen Skandal lösten diverse rassistische Transparente und Slogans aus. PiS-Politiker distanzierten sich zwar davon, wiesen aber jegliche Verantwortung zurück.
Oppositionsaktionen, die von zivilgesellschaftlichen Organisationen ausgehen, sind zwar seltener geworden, haben aber in aussergewöhnlichen Situationen eine grosse Mobilisierungskraft. Dies zeigten die Aktionen des Frauenstreik vor einem Jahr, vor allem aber die bisher grössten landesweiten Protestkundgebungen gegen die geplanten Justizreformen im vergangenen Juli (Journal21, 20.07.2017).
Stolpersteine für die PiS
Die Proteste trugen wesentlich dazu bei, dass im PiS-Lager erstmals ein offener Konflikt ausbrach. Präsident Andrzej Duda reichte überraschend bei zwei der drei Gesetzesvorlagen sein Veto ein. Duda, sonst schon der populärste Politiker, wurde damit zu einem wichtigen politischen Player.
Duda überwies dann vor knapp zwei Monaten seine eigenen Gesetzesvorschläge an den Sejm. Diese wichen zwar nicht grundsätzlich von den ursprünglichen Vorlagen ab, beschränkten jedoch die angestrebte PiS-Kontrolle in einigen Punkten. Das passte Kaczynski nicht. In mehreren Gesprächen versuchte er, Duda zum Nachgeben zu bewegen. Nächste Woche soll nun der Sejm die Vorlagen beraten. Wahrscheinlich wird ein Kompromiss resultieren, so dass es nicht nochmals zu einem offenen Konflikt kommt. Die Opposition wird dann Proteste organisieren, es dürfte aber schwierig werden, erneut eine so breite Mobilisierung zu erreichen.
Für den Dezember ist auch eine Regierungsumbildung angesagt. Wie umfassend diese ausfallen wird, ist Gegenstand heftiger Spekulationen. Sie reichen von der Auswechslung einiger weniger Minister bis hin zu einer Umbesetzung des Chefpostens. Das verstärkt interne Machtkämpfe, die bisher meist unter dem Deckel gehalten wurden und die in Zukunft an Bedeutung gewinnen dürften.
Sicher ist, die neue Regierung wird den „guten Wandel“ weiter vorantreiben. Dabei stehen heikle Themen an, wie eine Reform der privaten meist eher kritischen Medien, eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes und eine Wahlrechtsreform. Auch der Rückhalt der PiS in der breiten Bevölkerung könnte dann wieder unter Druck geraten.