Selten waren Genfer Regierungsratswahlen so spannend. Die Kantonsregierung, der Conseil d’État, zählt sieben Mitglieder. Wenn es den Sozialdemokraten am kommenden Wochenende gelingt, der CVP ihren zweiten Sitz zu entreissen, dann kippen die Mehrheitsverhältnisse. Und die ohnehin gebeutelte CVP erleidet knapp anderthalb Jahre vor den eidgenössischen Wahlen einen herben Imageverlust. Noch ist es nicht soweit.
Die Kantonsregierung bestand bisher aus vier Bürgerlichen (zwei FDP und zwei CVP) sowie aus einer Sozialdemokratin, einem Grünen und einem Mitglied der rechtspopulistischen Protestpartei „Mouvement des Citoyens Genevois“ (MCG).
Im ersten Wahlgang am 15. April hatte einzig der letztjährige freisinnige Bundesratskandidat Pierre Maudet das absolute Mehr erreicht. Jetzt dreht sich alles um die CVP.
Die SP wittert eine Chance
Im Wahlgang vor drei Wochen erreichten alle der kandidierenden bisherigen Regierungsräte einen der sieben Spitzenplätze – ausser dem CVP-Vertreter Luc Barthassat.
Er, der frühere Nationalrat und Genfer Minister für Umwelt, Transport und Landwirtschaft, landete ziemlich abgeschlagen auf Platz 9. Der Sozialdemokrat Thierry Apothéloz, der auf Platz 6 kam, rechnet sich nun Chancen aus, Barthassats Sitz zu beerben.
Würde Apothéloz gewählt, würde die Kantonsregierung aus drei Bürgerlichen und drei Linken bestehen. Mario Poggia, der Vertreter des „Mouvement des Citoyens Genevois“ würde dann in der Regierung das Zünglein an der Waage spielen.
Fehlende Visionen?
Noch sind die Würfel nicht gefallen. Sowohl FDP als auch CVP unternehmen in diesen Tagen alles, um den ungeliebten Barthassats doch noch in die Regierung zu zwängen. Viele Freisinnige tun dies contre coeur – doch sie tun es, um die bürgerliche Mehrheit zu behalten. Die FDP und die CVP sind in der sogenannten „Entente“ zusammengeschlossen.
Barthassat, früher Winzer und Bauer, ist auch in Landwirtschaftskreisen nicht sehr beliebt. Man wirft ihm ein selbstherrliches, oft rüdes Auftreten vor. Zudem kämpfe er nicht resolut genug für die Sache der Bauern. Viele Freisinnige sagen, es fehle ihm an Visionen und Durchschlagskraft. In die Kritik kam er wegen einer geplanten Mülldeponie, gegen die 12’000 Unterschriften gesammelt wurden, was ihn allerdings zunächst unberührt liess. Auch seine Haltung zum geplanten Seetunnel ist umstritten.
In Genf ist die CVP mit knapp 12 Stimmenprozent noch relativ stark. Bei den Kantonsparlamentswahlen vor einem Monat legte sie sogar ganz minim zu. Ein Verlust des zweiten Sitzes in der Kantonsregierung würde die Partei, die nun schweizweit wahrlich nicht „le vent en poupe“ hat, schmerzen. Natürlich würden die Christlichdemokraten die Niederlage kleinreden und argumentieren, es handle sich um eine Personenwahl. Der Sitzverlust sei kein generelles Votum gegen die CVP. Doch auch bürgerliche Kräfte sehen das jetzt schon anders und fragen: Weshalb hat die CVP keine besseren Kandidaten?
Der sufistische Regierungsrat
Bei den Wahlen ins Genfer Kantonsparlament Mitte April erlitt der Mouvement des Citoyens Genevois eine eigentliche Abfuhr und verlor knapp 10 Stimmenprozent. Sein Kandidat für die Kantonsregierung, Mauro Poggia, scheint jedoch ungefährdet. Er erzielte nach Pierre Maudet das zweitbeste Ergebnis. Poggia war vor fünf Jahren als erster MCG-Vertreter in die Kantonsregierung gewählt worden. Verheiratet ist er mit einer Nordafrikanerin, die in der Schweiz aufgewachsen ist. Ihr zuliebe ist er vom Christentum zum Sufismus, einer islamischen Glaubensrichtung, übergetreten.
Keine Chance, einen Sitz in der Kantonsregierung zu erobern, werden dem SVP-Kandidaten und der Bewerberin der Linksaussenpartei „Ensemble à gauche“ (EAG) gegeben.
Die „râleurs“
Die SP und die Grünen hatten sich Chancen ausgerechnet, mit einem linken Viererticket (zwei SP-Vertreter, ein Grüner und eine EAG-Kandidatin) die Mehrheit in der Regierung zu erobern. Doch die EAG-Kandidatin Jocelyne Haller wollte nicht mitmachen und startete allein – ohne jede Chance.
Die Genfer gelten in der Suisse Romande als „râleurs“, als ewige Meckerer und Stänkerer gegen die Politklasse. Doch wenn es darum geht, das Politpersonal zu wählen oder auszuwechseln, bleiben die meisten zuhause. Die Wahlbeteiligung beim ersten Wahlgang vor einem Monat betrug 38,77 Prozent.
Im ersten Wahlgang am 15. April erhielten Stimmen:
Pierre Maudet, FDP (bisher) 50’180
Mauro Poggia, MCG, (bisher) 43’728
Serge Dal Busco, CVP, (bisher) 40’836
Antonio Hodgers, Grüne, (bisher) 40’754
Anne Emery-Torracinta, SP, (bisher) 33’350
Thierry Apothéloz, SP, (neu) 32’982
Nathalie Fontanet, FDP, (neu) 31’504
Sandrine Salerno, SP, (neu) 30’016
Luc Barthassat, CVP, (bisher) 27’133
Alexandre de Senarclens, FDP, (zog Kandidatur zurück) 22’820