Er gehe nach Hause, ruft er den anderen Fahrern zu, die weiter in den Abgaswolken vor der Baustelle schmoren. Er ist ausgestiegen und macht sich über die Böschung davon, er hat genug – von der Hitze, vom Stau, überhaupt von den Zumutungen des Lebens. Zurück in der Spur bleibt nur sein Auto mit dem merkwürdigen Kennzeichen «D-Fens». Dabei ahnt er noch nicht einmal, dass sein Kreuzweg erst begonnen hat.
Er, das ist William Foster (Michael Douglas), der Held aus Joel Schumachers Film «Falling Down» von 1993, ein weisser, wertkonservativer Raketentechniker, über den die gesellschaftlichen Entwicklungen hinweggegangen sind. Er muss feststellen, dass es ihn nicht mehr braucht. Seine Frau hat ihn verlassen und ein Kontaktverbot erwirkt, so dass er auch seine Tochter nicht mehr sehen kann. Zudem ging sein Job verloren, weil die Regierung nach dem Ende des Kalten Krieges den Rüstungsaufwand zurückfährt.
Und nicht zuletzt beelendet ihn die Kulturlandschaft seiner Heimat, die sich in einer Weise verändert hat, dass er sich darin nicht mehr zurechtfindet. Gleich wird sich ein koreanischer Ladenbesitzer weigern, ihm ohne einen Kauf Geld zu wechseln, dann sieht er sich mit zwei Latino-Schnöseln konfrontiert, die ihm ein Messer unter die Nase halten und Wegzoll verlangen. Nicht einmal in einem Burgerladen ist er als weisser Kunde noch König.
Der grosse Frust
William – D-Fens – Foster ist ein früher Prototyp des Modernisierungsverlierers, einer, der den Anschluss verpasst hat und darüber zum Wutbürger mutiert ist. Der rasche Wandel hat ihm die Orientierung geraubt und er muss ohnmächtig hinnehmen, dass seine Rechnungen nicht mehr aufgehen. Dabei hatte damals, zu Beginn der Neunziger, alles erst angefangen: Die Postmoderne war gerade daran, richtig Schwung zu holen; die US-Wirtschaft schraubte sich aus der milden Rezession, die den älteren Bush die Wiederwahl kostete, in den Börsen-Boom; das Ende der Sowjetunion hatte den Weg frei gemacht für die Globalisierung.
Jobverlagerungen im grossen Stil, Dumping-Löhne, Häuserkrise – das sollte erst noch kommen. Aber bei Bill ist praktisch alles schon da, was heute die Gemütslage vieler Brexit-Befürworter, Trump-Wähler oder Gelbwesten kennzeichnet: verletzter Stolz, gemischt mit Bitterkeit. Man war doch mal wer! Am Wutbürger nagt das alles durchdringende Gefühl, betrogen worden zu sein.
Michael Douglas gibt diesem Absteiger das passend zwiespältige Gesicht: Er ist voller Ressentiments, kann nicht damit umgehen, dass die Frau ihn wegen seiner machistischen Launen vor die Tür gesetzt hat. Er ist auch irritiert durch die Fremden, die auf einmal überall sind und seine hergebrachten Privilegien in Frage stellen. Doch er ist weder Schwulenhasser noch Rassist. Das Drehbuch lässt ihn gegenüber einem chauvinistischen Widerling entschieden auf Abstand gehen, als der sich bei ihm anzubiedern versucht. Er, so macht Bill unmissverständlich klar, sei Amerikaner, der andere ein krankes Arschloch.
Bill beruft sich auf respektable Werte, aber auch er ist natürlich geladen, und zwar so sehr, dass seine Vision von Heimkehr für die ganze Familie leicht tödlich enden könnte. Doch in seinem Wesen ist er keineswegs asozial; eigentlich hat er immer versucht, alles richtig zu machen, und sich an das gehalten, was man ihm gesagt hat. Es gibt Momente, da empfindet man als Zuschauer Mitleid mit ihm, in anderen kann man ihn sogar mögen, z. B. wenn er zwei abgehobenen Senioren auf dem Golfplatz erklärt, was für eine zynische Platzverschwendung sie da betreiben. Bill wundert sich am Schluss nicht ganz zu Unrecht, dass er hier der Böse sein soll.
Bürgerliche Sozialisation
Bill Foster wurde in der Nachkriegszeit sozialisiert, ist also ein Kind der Mittelschichtsgesellschaft, welche einen massiven materiellen Aufschwung mit bürgerlich-konservativen Werthaltungen koppelte. Für einen wie Bill ist klar, dass der Weg zum Erfolg über harte Arbeit führt, im Gegenzug darf er sich darauf verlassen, dass die sich auch auszahlt. Es gibt quasi einen Vertrag zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft, der auf lange Frist die Abgeltung für alle Verzichte verspricht.
In dieser Welt hat der erwünschte Charakter diszipliniert zu sein, stets bereit, das Beste zu geben, für sein Land, für seinen Arbeitgeber wie für seine Familie. Im Gegenzug vermitteln ihm die Grenzen, die er zu respektieren gelernt hat, auch ein Gefühl von Sicherheit. Bei Bill allerdings hat diese Pflichtfixierung zu einem Tunnelblick geführt, der zusätzlich verengt wird durch sein patriarchales Familienbild. Individuelle Bedürfnisse sind ihm suspekt, Abweichungen vom Stereotyp lassen ihn rasch cholerisch entgleisen. Auf einem Geburtstagsvideo will er partout nicht verstehen, dass seine kleine Tochter Angst vor dem Schaukelpferdchen hat, und die beschwichtigende Parteinahme der Frau macht ihn erst recht wütend.
Die grummelnde Minderheit
Gewiss hat Bill den hedonistischen Eskapaden von Achtundsechzig nichts abgewinnen können und die postmoderne Buntheit, in die sie mündeten, verwirrt ihn vollends. Über dem kulturellen Wandel ist er buchstäblich zum Fremden im eigenen Land geworden. Prägungen dieses bürgerlichen Typs sind aber in der erodierenden Mittelschicht auch nach der Jahrtausendwende weitergereicht worden, selbst wenn mehrheitlich entgegengesetzte Orientierungen in den medialen Schaufenstern standen. Und wie Bill sehen ihre Träger sich derzeit konfrontiert mit der Aussicht auf wirtschaftlichen Abstieg sowie einer Umpolung des ethischen Mainstreams, die ihren Werthaltungen zuwiderläuft.
Schwer zu sagen, ob sie eine Mehrheit bilden – trotz diverser überraschender Plebiszite; doch mit Sicherheit stellen sie im Westen länderübergreifend die grösste Minderheit dar, und diese schweigt nicht länger, sie grummelt. Die Bill Fosters unserer Tage sind nämlich auch nicht länger gewillt, ihre Marginalisierung zu schlucken. Sie haben hart gearbeitet, ihre Steuern bezahlt, Kinder grossgezogen – kurz: ihren Teil des Gesellschaftsvertrages erfüllt. Sie erwarten Gegenrecht und fühlen sich von den Eliten verschaukelt: von den wirtschaftlichen, die sie dem globalen Wettbewerb opfern, wie von den kulturellen, die ihren Überzeugungen eine lange Nase drehen.
Geneppt in der Warteschlange
Grosse Teile der alten Mittelschicht werden heute von Abstiegsängsten umgetrieben. Die Betroffenen realisieren, dass für sie jene wirtschaftliche und soziale Sicherheit verloren ist, welche der Nachkriegsgeneration garantiert war. Die amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild hat sich ins Herz der Rechten, nämlich nach Louisiana, begeben und sich dort persönlich mit Menschen auseinandergesetzt, für die der «amerikanische Traum» geplatzt ist. Im Buch «Fremd in ihrem Land» (2018) bringt sie die Befindlichkeit dieser abgehängten Mittelschichtsbürger auf den Punkt: In deren Sicht spielt sich das Leben in einer Art Warteschlange ab, wo man ansteht und sich solange zurückhält, bis man selbst an der Reihe ist. So erscheint Lebensglück letztlich als Lohn für Anstand, Ausdauer und Disziplin.
Nun zeigt sich jedoch, dass viele sich längst nicht mehr an diese Regel halten und rücksichtslos vordrängeln: Da sind einmal die Hasardeure des Turbokapitalismus, auf der andern Seite Leistungsverweigerer, die den Sozialstaat abzocken, zuletzt noch Fremde, die plötzlich aufgetaucht sind und auch ihren Teil vom Kuchen abhaben wollen. Diejenigen aber, welche sich an die alten Anstandsregeln halten, stehen als die Geneppten da.
Es gibt offenbar leichtere Wege zum Glück, sofern man nur frech genug ist. Zurückhaltung hingegen, Verzichte und Arbeit werden nicht länger belohnt. Die Schuld dafür schieben die Verlierer dem System zu, genauer der Politik, die sich um Gerechtigkeit generell, im Besonderen aber um ihre Interessen foutiert. Stattdessen lassen die gewählten Autoritäten das wuselige Gedränge vor dem Futtertrog zu, ja befördern es nachgerade, was die konservativ Sozialisierten deutlich benachteiligt. Kein Wunder, wenden diese sich ab vom eingeschliffenen Politbetrieb und werden anfällig für Versprechen, die alte übersichtliche Ordnung wieder herzustellen.
Der Umbau des Sozialvertrags – ein Ausblick
Der Sozialvertrag der Nachkriegszeit begründete einen Burgfrieden zwischen Arbeit und Kapital, der sich angesichts der kommunistischen Bedrohung aufdrängte. Mit dem Ende der UdSSR entfiel für die wirtschaftlichen Eliten im Westen der Grund für die Zurückhaltung. Seither arbeiten sie zunehmend auf den Abbau des Sozialstaates hin, der einen ökonomischen Ausgleich geschaffen und so die gegensätzlichen Interessen abgepuffert hatte. Der globale Wettbewerb tat ein Übriges, die Löhne in den alten Industrieländern unter Druck zu setzen.
Der neue Sozialvertrag baut überkommene Schranken ab, gedankliche genauso wie rechtliche. Zugleich atomisiert er die Individuen und unterwirft sie den Spielregeln einer verschärften Konkurrenz. So wurde der gesellschaftliche Umbau zwar unter dem Versprechen grösserer Freiheit lanciert. Letztlich aber hat er eine wachsende Schicht von Verlierern geschaffen – die Billy Fosters eben, die für sich unter den herrschenden Bedingungen keine Zukunft mehr sehen und sich darum politisch querstellen.
Der zweite Artikel der Reihe wird näher auf das Projekt der Öffnung eingehen, in dessen Zeichen die westlichen Gesellschaften während den letzten vier Jahrzehnten tiefgreifend umgestaltet wurden. Er wird auch die unterschiedlichen politischen Trägerschaften dieses Projekts näher charakterisieren und erläutern, warum es auf der Bahn einer allgemeinen Öffnung zu neuen Ausschliessungen kommen konnte. Der dritte Teil der Serie wird der Frage nachgehen, warum die Modernisierungsverlierer überwiegend nach rechts driften, warum sie sich in die Abwehr anderer Minderheiten verbeissen, statt den neoliberalen Konsens zu kritisieren und im Bereich der Wirtschafts- wie der Sozialpolitik einen Systemwechsel zu fordern.