Flasch versteht sich in erster Linie als Historiker des europäischen Denkens. Sein Schwerpunkt liegt auf dem Mittelalter. Wir verdanken ihm ebenso gründliche wie anregende Darstellungen der Philosophie des Mittelalters insgesamt. Dazu kommen spezielle Werke zu Augustin, Meister Eckhart, Nikolaus von Kues und Dante. Einem breiten Publikum wurde Flasch durch seine neue Übersetzung des Decameron von Boccaccio bekannt. Später schrieb er einen hoch gerühmten Kommentar dazu.
Der Zwiespalt
Wenn Kurt Flasch sich dem Teufel und seinen Engeln zuwendet, so führt er damit eine Auseinandersetzung fort, die ihn Zeit seines Lebens beschäftigt hat: die Frage nach der Wahrheit des christlichen Glaubens. Seine Methode besteht darin, die philosophisch-theologischen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahrhunderte auf ihre innere Stimmigkeit hin zu überprüfen und zu fragen, ob wir sie mit unserem heutigen Denken und Weltbild in Einklang bringen können.
Nicht nur in Bezug auf den Teufel gerät Kurt Flasch dabei in einen Zwiespalt. Am Anfang seines Buches erklärt er, dass er persönlich nicht an den Teufel glaube. Aber er begegne ihm ständig in theologischen und philosophischen Schriften, von ihm handelten Literatur und Malerei und er sei im Volksaberglauben präsent gewesen. Wie aber geht man mit einem Phänomen um, das einem zwar begegnet, an das man aber nicht glaubt?
Ungreifbar
Kurt Flasch versucht, dieses Problem zu lösen, indem er ganz genau hinschaut. Was genau wird vom Teufel erzählt? Wie sieht er aus, wie ist er beschaffen, woran erkennt man seine Taten? Und da zeigt sich, dass zwar immer sehr viel berichtet wird, aber die Aussagen über den Teufel in dem Moment buchstäblich zerbröseln, in dem man sie genau betrachtet und mit anderen Aussagen konfrontiert. Der Teufel hat so viele Gestalten, dass sich keine Klarheit gewinnen lässt.
Man sieht ihn nicht direkt, man erkennt ihn nicht in dem Augenblick, zu dem er angeblich sein böses Werk verrichtet. Es heisst nur, dieses und jenes habe der Teufel getan, aber was das genau bedeutet, bleibt im Unbestimmten. Aber, so Kurt Flasch, das lässt sich auch von Gott sagen. Niemand hat ihn je gesehen und bei seinem Tun direkt beobachtet. Seine Werke werden gerühmt, aber keiner kennt den Konstrukteur. Auch Theologen sind auf Mutmassungen angewiesen. Für den Philosophen ist das zu wenig.
Die richtige Würze
Diese erkenntnistheoretische Überlegung trifft sich mit alten theologischen Überzeugungen, die natürlich eine ganz andere Basis haben, aber klipp und klar sagen: Wer nicht an den Teufel glaubt, glaubt auch nicht an Gott: Asatanismus ist Atheismus.
Das würde heute natürlich keiner mehr sagen, jedenfalls kein Theologe. Denn es ist aus der Mode gekommen, vom Teufel zu reden. Er wurde in aller Stille begraben, aber am Gottesglauben soll trotzdem festgehalten werden. Theologen möchten sich dadurch empfehlen, dass sie nur die hellen und heiteren Seiten des Christentums anpreisen. Indem sie aber das Dunkle aussparen, wird, so Kurt Flasch, das Christentum fade. Erst der Teufel sorgt für die richtige Würze.
Denn der Teufel gehörte zur christlichen Erzählung und zu den zahlreichen Glaubensbekenntnissen. Er war die Macht, die gegen die göttliche stand. Das konnte er aber nur, weil er selbst göttlichen Ursprungs war. Man sprach vom gefallenen Engel, man sprach von einer Art Vollstrecker der dunklen Seiten der göttlichen Macht. Eines der ältesten Zeugnisse davon ist das Buch Hiob.
Katastrophale Folgen
Im Laufe der Zeit veränderten sich die Vorstellungen vom Teufel. So gab es im späteren Mittelalter, etwa ab dem 12. Jahrhundert, die Tendenz, den Teufel immer mehr als eine Art immaterielle, geistige Kraft zu sehen, die zu einer übernatürlichen Ordnung gehörte. Das war aber auch das Reich der Engel, und so kam der Gedanke auf, dass zu seinem Reich auch engelähnliche Wesen gehörten.
Kurt Flasch vergisst nicht, die katastrophalen Seiten des Glaubens an den Teufel darzustellen. Das bekannteste Beispiel dafür sind die Hexenverfolgungen im Mittelalter. Und bis in unsere Zeit erleben wir, wie verheerend es sich auswirkt, wenn die Welt nach Gut und Böse, nach Gott und Teufel unterschieden wird.
Widersprüche
Es sind nicht nur diese desaströsen Folgen des Teufelsglaubens, die einzelne Theologen immer wieder zu Korrekturen veranlasst haben. So überlegte schon der Kirchenvater Origines und später der Theologe Johannes Eriugena, dass das Christentum nicht behaupten könne, Gott habe durch seinen Sohn alle Menschen erlöst, um dann der Mehrheit von ihnen die ewige Verdammnis zu prophezeien. Und wenn Gott allmächtig ist, warum wird er dann nicht mit dem Teufel fertig? Und wieso soll der Teufel die „sündigen“ Menschen ewigen körperlichen Qualen aussetzen, wenn doch der Leib nach christlicher Auffassung vergänglich ist?
Denker wie Spinoza und Rousseau wiederum sahen in der an sich guten Natur ein Abbild Gottes, wenn sie ihn nicht sogar gleich mit der guten Natur in eins setzten. Auch Goethe war dadurch beeinflusst. In dieser Art der Naturmystik hatte der Teufel natürlich keinen Platz. Mephisto in Goethes Faust, auf den Kurt Flasch mehr als ausführlich eingeht, ist letzten Endes eine gedankliche Fiktion für die Bühne, die es ermöglicht, den Menschen zu deuten. Insofern ist diese Gestalt äusserst fruchtbar, aber Goethe wäre nicht wie Luther auf die Idee gekommen, ein Tintenfass nach ihm zu werfen.
Das Böse und der Teufel
Es liegt an der methodischen Strenge von Kurt Flasch, dass er darauf verzichtet, Linien bis in die Gegenwart auszuziehen. So könnte man auf die völlig andere Sicht auf die Natur durch Charles Darwin hinweisen, in der die Natur nicht mehr als gut und vollkommen, sondern als das grosse „Schlachthaus“, wie Henning Ritter es in seinem Buch, „Die Schreie der Verwundeten. Versuch über die Grausamkeit“, dargelegt hat, gesehen wird. Und es fehlen auch Bezüge zur modernen Sozialpsychologie. In diesen Sichtweisen gibt es zwar nicht den Teufel, aber es gibt Handlungsweisen, die man früher auf den Teufel zurückgeführt hat, die jetzt aber in nachvollziehbaren Experimenten analysiert werden können – und trotzdem schockierend bleiben.
Das aber sind neuartige Problemstellungen, die unter der Signatur des Bösen laufen. Wenn ein so bekannter Sozialpsychologe wie Philip Zimbardo im Zusammenhang mit seinen Experimenten vom "Luzifer-Effekt" spricht, dann ist das eine sehr locker gehandhabte Metapher. Sie führt im Grunde von den modernen, anders gearteten Problemen weg.
Kurt Flasch hat dem Glauben an den Teufel und seine Engel ein faszinierendes Buch gewidmet. Er führt durch ein Panorama des Denkens, des Vorstellens und Glaubens, das bisweilen bizarr wirkt, aber über lange Zeit für real gehalten wurde. Was aber ist real? Man kann das Buch auch als eine Suche nach der Wirklichkeit lesen.
Kurt Flasch, Der Teufel und seine Engel. Die neue Biographie, 462 Seiten, Verlag C. H. Beck, München 2015