«Es ist so hübsch schmustrig hier, un das Schmustrige hab’ ich nu mal am liebsten …» Weder der Duden noch der Grimm kennen dieses «schmustrig» in Fontanes Roman «Stine». Die da spricht, Pauline, ist bei Stine zu Besuch und hält soeben ihre Schwester davon ab, eine Lampe zu holen, da es im Dämmer «so hübsch schmustrig» sei. Das versteht man.
Theodor Fontane hat das Personal seiner Berliner Gesellschaftsromane belauscht. Er ist ein Meister des Dialogs und der originalen Figurenrede. Man glaubt diese Stinen und Paulinen zu hören und wird als Lesender zum Mitlauscher und Mitbeobachter.
Dialektale Klänge haben auch andere Schriftsteller verwendet, nicht zufällig oft diejenigen, die einer Poetik des Realismus anhängen. Doch zum berühmten Fontane-Sound gehört neben der Originalsprache seiner Figuren noch eine weitere Ingredienz: der Blick über die Schulter des Autors. Der Leser darf ihm zuschauen bei der Suche nach Wörtern. Sie endet oft dabei, dass Fontane den passenden Ausdruck mal eben erfindet.
Fontanes Wortkreationen sind oft überlange Komposita. Mit ihnen zeigt er unmissverständlich auf seine sprachliche Bastelwerktatt. Ein paar Beispiele:
Sehnsuchtsanwandlung
Fremdlandsenthusiasmus
Ängstlichkeitsprovinz
Nichtverrücktwerdenkönnen
Durchschnittsliebenswürdigkeit
Kakadu-Tiefsinn
Generalpapierkorb
Zärtlichkeitsanflug
Harmlosigkeitsallüren
Generalweltanbrennung
Weltverbesserungsleidenschaft
Gemütlichkeitsrangliste
Luftbedürfnis
Verklärungsschimmer
Fontane, einer der elegantesten deutschsprachigen Stilisten des 19. Jahrhunderts, schmuggelt mit einem Lachen auf den Stockzähnen solche schiefen Wortgebilde in seine Texte. Er tut es nicht aus «Originalitätshascherei» (Fontanes Wortschöpfung!), sondern weil er als versierter Textarbeiter weiss: Ein widerstandsloses Fliessen würde die Sprache bald belanglos erscheinen lassen; es braucht die Wirbel und das Aufschäumen an Widerständen, damit man auf ihr Strömen achtet.