Erich Langjahr ist ein Meister der Authentizität. Auch «Männer im Ring» beweist die Begabung, bei den Menschen Vertrauen zu gewinnen, ihr Denken zu erhellen und sie zum unbefangenen Reden zu bringen. Das war eine besondere und bestechend bestandene Herausforderung bei einem Film, der in Appenzell Ausserrhoden spielte, in Hundwil, und sich mit der Landsgemeinde befasste, die 1989 über die Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonaler Ebene zu entscheiden hatte.
Bleibende Gültigkeit
Dreissig Jahre nach der Premiere kommt der Film, digital restauriert, wieder in die Kinos. War er damals eine hoch gelobte aktuelle Dokumentation, ist er heute eine hoch zu lobende historische. Die Bedeutung reicht über die frauenrechtliche Diskussion hinaus. Es geht allgemein um die direkte Demokratie und ihre Tauglichkeit, schwierige Probleme zwar feurig, aber vernünftig zu diskutieren und mit der Lösung zwischen Mehrheit und Minderheit auf Dauer keine Gräben aufzureissen.
Die über Jahrzehnte dauernde Gültigkeit des Films erklärt sich mit der Arbeitsweise Erich Langjahrs. Mit minutiöser Sorgfalt vertieft er sich in ein Thema. Er nimmt sich bis zur Fertigstellung seiner Filme alle Zeit. Das unterscheidet sie von Fernsehdokumentationen, die unter Druck entstehen, sich aufs vermeintlich Typische konzentrieren und deshalb oberflächlich bleiben.
Erich Langjahr folgte auch der Empfehlung des Philologen und Appenzell-Kenners Stefan Sonderegger für den Umgang mit den Einheimischen: ihnen nicht zu nahetreten, um nicht selbst getreten zu werden, weniger mit Füssen als mit dem Witz. Aber die Appenzeller auch nicht zu sehr aus der Ferne behandeln, ohne Hochmut.
Hunderte von Händen für Tausende
Der Film über die Landsgemeinde beginnt Wochen vor dem grossen Tag. Wir sehen die Vorbereitungen. Wirte reinigen die Zimmer, von deren Fenster aus die Zugereisten die Versammlung beobachten. Bäcker kümmern sich um die Biberli, Metzger um die Würste. Gemeindearbeiter und die Feuerwehr belegen den Landsgemeindeplatz mit Stroh, schranken ihn ab und bauen den sogenannten Stuhl auf, die Tribüne für die Regierungsräte.
Hunderte von Armen und Händen, auch polizeiliche, sind nötig, damit sich Tausende von Armen und Händen in Wahrnehmung der politischen Rechte erheben können.
Verständnis für die direkte Demokratie
Die sachliche, zuweilen liebenswürdig-witzige Schilderung dieses eifrigen Organisierens unterstreicht Ernst und Bedeutung der Landsgemeinde überzeugender als jeder pathetische Kommentar. Stimmberechtigte Männer und noch nicht stimmberechtigte Frauen ermöglichen der Demokratie den Festtag und dem ganzen Kanton die feierliche Pflege einer Tradition.
«Männer im Ring» macht die direkte Volksherrschaft auch ausserhalb der Schweiz verständlich. In europäischen Ländern, in Nord- und Südamerika, in Südafrika, Indien und im Iran fand der Film ein Publikum und internationale Jurys, die ihn auszeichneten.
Die Sprache der so einfachen wie eindrücklichen Bilder veranschaulicht Urschweizerisches nicht als Folklore für Touristen, sondern als leidenschaftlich von innen heraus gelebte Einmischung in die öffentlichen Angelegenheiten. Jedenfalls für die halbe Bevölkerung. Als Privileg der Männer. Ihnen reichte die Hälfte der Demokratie aus.
Prüfstein Landsgemeinde
Hinsichtlich des kantonalen Frauenstimmrechts gingen die Meinungen – keine Überraschung – auseinander. Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen. Die von Erich Langjahr Befragten äusserten sich offen zu ihrem Pro oder Contra. Die Stimmungslage erlaubte keine Rückschlüsse auf das Ergebnis.
Die Erwägungen bezogen sich immer wieder auf die Landsgemeinde als geradezu gläubig verehrte Institution. Mit dem gemeinsamen Singen, Beten und Schwören stiftet sie Jahr für Jahr Identität.
Stärkt es diese Wirkung oder schwächt es sie, wenn auch Frauen in den Ring treten? Diesen für die Landsgemeinde-Kantone spezifischen Zwiespalt arbeitet der Film nachvollziehbar heraus. Er relativiert die ausserappenzellische Vermutung, die Männer seien mit nichts als mit Machogehabe gegen das Frauenstimmrecht. Der Kopf sagte ja, das Herz nein.
Porträt eines Kantons
Mit der Annahme der gleichen politischen Rechte für Mann und Frau und mit dem Lachen der Befürwortenden und einigen Poltereien der Ablehnenden endet der Film.
Er hat als Kantonsporträt seinen Bestand. Auch als Studie über die Wandlungsfähigkeit der Tradition. Und nicht zuletzt als Beispiel für ein dokumentarisches Filmen, das mit thematischer Kompetenz, der neugierigen Unvoreingenommenheit, der Fairness gegenüber den Interviewten und dem Verzicht auf steile Thesen der Wirklichkeit so nahe wie nur möglich kommt.
Epilog
Acht Jahre später, am 27. August 1997, wurde im Kanton Appenzell Ausserrhoden die erste Frau in den Regierungsrat gewählt und die Landsgemeinde abgeschafft. Richtig begriffener Fortschritt mit der Wahl, falsch begriffener mit dem Aus einer Tradition? Als Antwort wäre ein Film von Erich Langjahr spannend.