Das Leiden der seit Jahrzehnten verfolgten Rohingyas liefert selten Schlagzeilen für die internationalen Medien. Der komplexe Konflikt dauert schon seit Jahrzehnten. Zudem wird Myanmar seit einem Jahr von der im Westen verehrten Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi regiert.
Hohe Warte
Myanmar stand 2015 vor der Wahl – nach rund fünfzig Jahren Militärdiktatur – im Fokus der internationalen Medien. Was die verfolgten Rohingyas betrifft, beschied Suu Kyi damals Journalisten schlicht, sollte man die Gefahr für die Rohingyas «nicht übertreiben». Aus dem Mund einer im Westen als «moralische Instanz» verehrten Kämpferin gegen die Militär-Diktatur, die selbst über zwei Jahrzehnte im Gefängnis sass oder unter Hausarrest lebte, sind das verstörende Worte. Suu Kyi jedoch vertritt noch heute dieselbe Meinung.
Aung San Suu Kyi ist zwar nicht Präsidentin geworden, denn nach der noch von den Militärs erlassenen Verfassung dürfen nur Burmesen ohne Auslandbande das höchste Amt im Staat einnehmen – eine Verfügung übrigens, die schon in der 1947 formulierten Verfassung enthalten war, damals mitunterzeichnet vom Vater Suu Kyis, dem Unabhängigkeitshelden General Aung San. Suu Kyi war mit einem britischen Professor verheiratet und hat zwei Söhne mit britischem Pass.
Doch für die zusehends autoritärer agierende Generalsekretärin der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) spielt das keine Rolle. Schon vor den für die NLD siegreichen Wahlen von November 2015 sagte sie unmissverständlich, sie stehe «über dem Präsidenten». Folgerichtig wurde für die zur Aussenministerin berufene Suu Kyi noch das Amt eines «Staatsrates» geschaffen. Von dieser hohe Warte aus repräsentiert sie Myanmar nach Aussen und regiert im Innern.
Friedensprozess – nicht für die Rohingyas
Nachdem überwältigenden Wahlsieg der NLD war vor einem Jahr die Hoffnung auf nationale Versöhnung gross. Nicht nur mit den Militärs, sondern vor allem mit den 135 Minderheiten, die zum Teil seit Jahrzehnten bewaffnet Widerstand leisten. Der Friedensprozess mit diesen Nationalen Minderheiten ist im Gange. Burmesische Politiker und Beobachter sind optimistisch.
Die Rohingyas freilich zählen nach dem Staatsbürgerschaftsgesetz von 1982 nicht zu den 135 nationalen Minderheiten. Sie galten unter der Militärdiktatur als «illegale Einwanderer». Auch Aung San Suu Kyi, die sonst weltweit gerne mit dem moralischen Zeigefinger herumfuchtelt, sind die Rohingyias «illegale Einwanderer» aus Bangladesh. Sie bezeichnet sie als Bengali, die in ganz Myanmar politisch korrekte Bezeichnung für die Rohingyas. Der ehemalige Staatspräsident Thein Sein (2011–2015) zeigte sich bereit, die «illegalen Einwanderer» «in jedes Land zu deportieren, das aufnahmewillig ist». Staatsrätin Suu Kyi verfolgt nun im Zeichen der Demokratie die exakt gleiche Politik.
Die Rohingyias leben zum Teil seit zig Generationen im Nordwesten des Rakhine-Staates, auch Rakhaing- oder Arakan-Staat genannt. Im Norden dieser Provinz der Union von Myanmar – an Bangladesh grenzend – bilden die muslimischen Rohingyas die Mehrheit der Bevölkerung. Insgesamt jedoch halten die buddhistischen Arakanesen in dieser Provinz die Mehrheit. Die Migrationsbewegungen in diesem Teil Südostasiens sind sehr komplex.
Masseneinwanderung
Dass die Rohingyas von arabischen Seefahrern abstammten, ist mittlerweile von Historikern widerlegt. Aber bereits im 15. und 16. Jahrhundert kamen im Zuge des Vorstosses des Islam nach Asien erste Rohingyas in das Gebiet des heutigen Rakhine-Staates. Im 17. Jahrhundert lebten die muslimischen Einwanderer friedlich im damaligen buddhistischen Arakan-Königreich.
Im 19. Jahrhundert kam es dann unter den britischen Kolonialherren zu dem, was heute als Masseneinwanderung qualifiziert wird. Notabene nicht nur nach Arakan, sondern überall in Burma. Landarbeiter, Reisbauern und untere Beamte waren gefragt. Ein Beispiel: allein 1927 erreichten über 400‘000 Migranten Burma bei einer Gesamtbevölkerung von 13 Millionen. In den Jahren von 1900 bis 1925 waren es jährlich weit über 100‘000. Die internationalen Grenzen waren damals viel poröser und weniger genau definiert, zudem war das heutige Myanmar damals Teil von Britisch Indien.
Spannungen seit dem Zweiten Weltkrieg
Zwischen den Rohingyas und den Arakanesen kam es schon während des Zweiten Weltkrieges zu Spannungen. Die muslimischen Rohingyas kämpften auf Seiten der Briten, die buddhistischen Arakanesen auf Seiten der japanischen Besetzer. Seit der Unabhängigkeit Burmas am 4. Januar 1948 kam es dann zu massiven Militäroperationen gegen die muslimischen Rohingyas, zunächst unter demokratischen Regierungen, danach unter der Militärdiktatur.
1978 und 1991 kam es zu progromartigen Aktionen der Streitkräfte. Hunderttausende flohen, Tausende kamen ums Leben. Zu schweren Auseinandersetzungen kam es erneut 2012 und 2015. Die Uno sprach von «Versuchen», den Rakhine-Staat «ethnisch zu säubern». Malaysias Premier Najib Razak sprach gar von einem «versuchten Genozid an der Rohingya-Minorität». Die Regierung in Yangon, und damit Aung San Suu Kyi, kritisieren fortlaufend Medien-Berichte über Gewalt an Rohingyas.
Rechtlos
Faktum freilich ist, dass die Rohingyas in Myanmar keinerlei Rechte haben: Sie sind keine Staatsbürger, sie haben keinen Zugang zu höherer Bildung und nur beschränkten Zugang zur Grundbildung, sie können offiziell nicht ausreisen, sie dürfen keinen Grund besitzen, sie unterliegen Reisebeschränkungen innerhalb Myanmars, sie werden zu Zwangsarbeit verpflichtet, sie müssen Sondersteuern zahlen, für sie gelten Heiratsbeschränkungen. Illegale Haft, Folterungen, Vergewaltigungen und Mord durch Armee und Polizei sind an der Tagesordnung.
Heute leben in Myanmar noch 1,3 Millionen Rohingyas, davon über 100‘000 in einem Internierungslager. Nach Thailand sind 150‘000 geflüchtet, wo sie wegen ihres ungewissen Status zum Teil unter sklavenähnlichen Verhältnissen arbeiten. In Saudi-Arabien leben 400‘000, in Pakistan 200‘000 und in Bangladesh 350‘000 Rohingyas.
Überheblichkeit und Angst
Staatsrätin Aung San Suu Kyi hat sich nach dem Wahlsieg Ende 2015 für «Friede und nationale Versöhnung» ausgesprochen. In der Causa Rohingya freilich hat sie wenig bis nichts getan. Sie weiss offenbar jetzt als Realpolitikerin, dass in einem zu gut 90-prozentig buddhistischem Land ein offenes Eintreten für eine muslimische Minderheit politischen Selbstmord bedeutet.
Es zeigt sich hier deutlich die burmesische Version von Rassismus, ein Gemisch aus Überheblichkeit und Angst. Hohe buddhistische Mönche hetzen im Schutz der neuen Meinungs- und Pressefreiheit auf übelste Art gegen Muslime im Allgemeinen und Rohingyas im Besonderen. Der burmesische Generalkonsul in Hongkong bezeichnete die Rohingyas mit Hinweis auf deren dunkle Hautfarbe als «hässlich wie Gnome» im Gegensatz zu den hellhäutigen Burmesen.
Untersuchungskommission
Während die Soldateska der Tatmadaw – die burmesischen Streitkräfte – ohne Auflagen gegen die Rohingyas im Rakhine-Staat weiterwütet, hat die Regierung immerhin eine Untersuchungskommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Uno-Generalsekretärs Kofi Annan gebildet. Nach seinem zweiten Besuch in Myanmar war Annan neulich höchst beunruhigt und forderte Armeechef Min Aung Hlaing auf, «innerhalb der Gesetze und des Rechtsstaates zu handeln». Die Kommission, fügte Annan hinzu, sei «höchst beunruhigt über Berichte von angeblichen Menschenrechtsverletzungen».
Am Ende der Regenzeit im nächsten Frühjahr werden wieder viele Rohingyas auf dem Seeweg zu fliehen versuchen. Viele werden von der thailändischen, indonesischen oder der malaysischen Marine abgefangen und wieder aufs offene Meer hinaus vertrieben. Viele werden ertrinken. Das sind Flüchtlings-, nicht Wirtschaftsmigranten-Dramen. Es wird dann in den Medien kurz vermerkt.
Aung San Suu Kyi, das einstige moralische Gewissen, die sich gerne mit Nelson Mandela vergleichen lässt, wird dann ungerührt weiter von «übertriebenen Medienberichten» und «illegalen Einwanderern» schwadronieren. Die im Westen noch immer hochverehrte und gelobte Demokratie-Ikone ist tief gefallen.