Auf den ersten Blick verändert der Umstieg auf elektrische Antriebe am Auto nichts Grundlegendes. Denn die wichtigste Eigenschaft bleibt erhalten: Das Auto bleibt ein „Auto“mobil, bewegt sich also „von selbst“. Wir haben uns angewöhnt, mit dieser Eigenschaft die Freiheit der Besitzer zu verbinden. Wer ein Auto hat, kann jederzeit fahren, wohin er will.
Mehr als Kinderkrankheiten
Dieser unschätzbare Vorteil des Autos soll mittels der Elektrizität im Zeichen der Umweltkrise gewahrt werden. Auf den ersten Blick ist dieser Gedanke absolut bestechend. Das Auto wird aus der fossilen Ära in eine schadstoffarme neue Zeit überführt. Doch diesen Übergang wird das Auto nicht überleben, jedenfalls nicht so, wie wir es kennen.
Denn der Umstieg auf elektrische Systeme ist weit mehr als der blosse Wechsel von Motoren. Wäre es so, dürfte die Kluft zwischen den immensen Anstrengungen der Industrie, möglichst viele Modelle von Elektroautos anzubieten, und der tatsächlichen Nachfrage gegenwärtig nicht so gross sein. Im Jahr 2018 wurden in Deutschland knapp 3,5 Millionen Personenkraftwagen neu zugelassen. Davon waren gerade 68 Tausend Elektoautos.
Die Anbieter erklären diese Kluft mit den begrenzten Reichweiten der E-Autos und dem völlig unzureichenden Netz von Ladestationen. Dabei tun sie so, als wären das ärgerliche Kinderkrankheiten, die sich recht bald überwinden lassen.
Der Antrieb ist die Botschaft
Das ist aber ein ungedeckter Scheck, der lediglich die Mängel ihres Konzepts vom modernen Auto verdecken soll. Denn sie haben nicht verstanden, dass ein elektrisch angetriebenes Auto etwas völlig anderes ist als ein Benziner oder Diesel. Der neue Motor ist wirklich neu. Er ist nicht die blosse Fortsetzung eines Benziners oder Dieselmotors. Diese Neuartigkeit verändert das Auto in seiner Substanz. Es ist nicht mehr das, was es einmal war. Die Herausforderung liegt darin, diese neue Qualität zu erfassen und nicht einfach das Bisherige linear fortzuschreiben.
Um es schlagwortartig in Anlehnung an den Medientheoretiker Marshall McLuhan zuzuspitzen: Der Antrieb des Autos ist seine Botschaft. Diese Botschaft lautete bisher: Das Auto eröffnet neue Möglichkeiten der Fortbewegung. Im Jahr 1962 brachte der geniale Werber und Fotograf Charles Wilp diese Motor-Botschaft für den VW-Käfer auf den Punkt: „Er läuft und läuft und läuft.“
Das herkömmliche Auto hatte und hat den immensen Vorteil, dass es grosse Energiemengen problemlos in relativ kleinen Tanks speichern kann, die sich in kürzester Zeit nachfüllen lassen. Zudem konnte man, wenn man wollte, mit kleinen und leichten Motoren auskommen. Diese Motoren lassen sich derartig klein und leicht konstruieren, dass man sie in Motorräder einbauen kann. Die Leistung von 100 PS und weit darüber hinaus stellt dabei keinerlei Problem dar.
Die Last der Batterie
Die grosse Enttäuschung bei der Elektromobilität besteht nun darin, dass diese Fahrzeuge nach bisheriger Erfahrung und nach Auskunft der Fachpresse und der Hersteller Batterien mit einem durchschnittlichen Gewicht von 500 Kilogramm benötigen. Daran wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Weltweit forschen seit mindestens zwei Jahrzehnten die besten Naturwissenschaftler und Ingenieure an leistungsfähigeren Batterien – mit begrenzten Erfolgen. Ein Elektroauto schleppt also eine Batterie von 500 Kilo mit sich herum.
Die Energiemenge, die sich darin spreichern lässt, ist im Vergleich mit Benzin oder Diesel überaus bescheiden. Ihre Reichweite liegt irgendwo zwischen 300 und 500 Kilometern. Jeder kann abschätzen, wieviel Benzin oder Diesel er tanken muss, um ähnliche Distanzen zu schaffen. Selbst wenn man das Gewicht eines Treibstofftanks mitrechnet, kommt man auf weitaus günstigere Werte.
Die 500 Kilogramm der Batterie wiederum fressen natürlich zusätzliche Energie. Und selbst unter günstigsten Umständen nimmt das Nachladen der Batterien weitaus mehr Zeit in Anspruch als ein Tankvorgang.
Eleganz ohne Eleganz
Ein Elektroantrieb ist ohne Zweifel sehr elegant. Er macht keinen Lärm, entfaltet sofort seine volle Kraft, aber er erfordert eine bei weitem zu aufwendige Versorgung. Deswegen können die eigentlichen Vorteile eines Elektroautos nicht ausgespielt werden. So lässt sich zwar das Gewicht eines Getriebes einsparen, aber die Last der Batterie macht das mehr als wett.
Inzwischen wissen wir, dass diese Batterien nicht nur vom Gewicht her eine grosse Last sind. Sie bestehen aus Rohstoffen, die zum Teil wie die „seltenen Erden“ in Ländern abgebaut werden, die in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und ihre politische Kultur nicht dem entsprechen, was wir uns unter Menschenwürde und Menschenrechten vorstellen. Diese Batterien sind buchstäblich schwarz. Wollen wir uns davon abhängig machen?
Wechseln statt laden
Man kann gerne argumentieren, dass das herkömmliche „Auto“mobil von der Ölerzeugung abhängig ist und dass der Westen sich dabei auch nicht mit Ruhm bekleckert hat. Das ist schlimm genug. Aber Batterien sind nicht besser, und es kommt ein zynisch anmutendes Argument hinzu: Bislang haben wir ein dichtes Tankstellennetz. Nicht an jeder Tanksäule denkt man an das Unglück, das der Kampf ums Öl über die Welt gebracht hat. Aber auf der verzweifelten Suche nach Ladestationen mit freien Plätzen und passenden Adaptern kann sich schon bald die Sinnfrage nach dem Segen des Ölverzichts stellen.
Es ist nicht verboten, ein bisschen weiter als die Autoindustrie und die Verkehrspolitik zu denken. So kann man fragen, wieso ein Autofahrer bei einer Langstreckenfahrt von einer Ladestation zur anderen fahren soll, um dort mit grosser Begeisterung dem zeitintensiven Aufladeprozess seiner Batterie zu folgen. Einfacher und effizienter wäre es, an bestimmten Stationen schlicht und einfach das Auto zu wechseln. Damit verlöre das eigene Auto seinen Staus als Teil der eigenen Identität und wäre nur noch ein Batterieträger und ein austauschbares Transportvehikel.
Neues Medium
Das ist es, was die Manager der Autoindustrie und ihre Verkehrspolitiker übersehen: Der elektrische Antrieb macht aus dem Auto ein neues Medium. Es ist ein Pferd, das man an jeder Station wechselt. Darin liegt für die Umwelt, für den Lebensraum Stadt und insgesamt für die Mobilität eine grosse Chance.
Denn das elektrisch betriebene Auto ist im Grunde ein selbstfahrender Computer. Man muss nicht eine schwere und teure Batterie in einem Vehikel erwerben, um beide teuer zu parken. Man kann ein solches Auto schneller und einfacher bestellen, per Kilometer und Minute abrechnen und es danach buchstäblich vergessen.
Der Charme früherer Zeiten, ein eigenes Auto zu haben, zu dessen Motor und seiner Wartung man ein persönliches Verhältnis hatte, ist verflogen. Früher war man stolz auf die Anzahl der Kilometer, die man mit dem eigenen Fahrzeug zurückgelegt hatte. Und wenn der Benzinverbrauch niedrig war, erzählte man das gern in seinem Bekanntenkreis. Es ist kaum vorstellbar, dass jemand zu „seiner Batterie“ ein derartiges Verhältnis gewinnt. Und das ist gut so.
Das „liebste Kind“ hat ausgespielt
In Zukunft braucht nur noch eine Minderheit ein eigenes Auto. Die Mehrheit fordert bei Bedarf ein Auto an, aber kauft es nicht mehr, um es die meiste Zeit irgendwo herumstehen zu lassen. Dafür sind Batterien gut. Sie erleichtern die elektronische Abrechnung.
Je unpersönlicher das Auto wird, desto rationaler seine Nutzung. In dem Masse, wie das Auto mit der Elektomobilität zu einem neuen Medium der Fortbewegung wird, werden sich die Verkaufszahlen verringern. Die Rolle des „liebsten Kindes“, wie man früher sagte, ist ausgespielt. Damit sinkt der Materialverbrauch, aber der Nutzen steigt. Das ist gut, aber den Bossen der Autoindustrie steht noch eine bittere Erkenntnis bevor: Die neue Technik passt nicht mehr zu ihren alten Vorstellungen und Konzepten. Sie ist kreativer als sie selber.