Die Weltgesundheitsorganisation WHO befürchtet, dass die Erdbeben in der Türkei und Syrien bis zu 20’000 Todesopfer gefordert haben. Bis Mittwochmittag wurden mehr als 11'500 Tote aus den Trümmern geborgen. Die Zahl der Todesopfer in der Türkei ist nach Angaben der türkischen Katastrophenschutzbehörde auf über 8'000 angestiegen. Die Zahl der Toten in Syrien lässt sich nur schwer überprüfen. Die staatlichen Medien des Landes sprechen von etwa 2’700 Todesopfern. Die Hoffnung schwindet, dass bei winterlichen Temperaturen Überlebende aus den Trümmern geborgen werden können.
Auch in der Nacht zum Mittwoch waren Rettungskräfte mit schwerem Gerät im Einsatz. Aus dem Ausland rückt immer mehr Unterstützung an.
In Gaziantep, dem Epizentrum des ersten Bebens in der Türkei, sanken die Temperaturen inzwischen auf minus ein Grad. Noch kälter war es nördlich von Gaziantep. Dort wurden minus fünf Grad registriert. Meteorologen prophezeien, dass es in der Südtürkei und in Syrien in den nächsten Tagen noch kälter werden wird.
Wettlauf gegen die Zeit
Im Erdbebengebiet spielen sich schreckliche Szenen ab. Bis tief in die eiskalte Nacht hinein waren Retter am Werk und versuchen mit Baggern und zum Teil nur mit Pickeln, Spitzhacken und Brechstangen Trümmer wegzuräumen – in der Hoffnung, noch Überlebende zu finden. «Alles wird immer mehr zu einer Bergungsaktion, statt zu einer Rettungsaktion», sagt ein Helfer, «denn wir befürchten, dass hier niemand mehr am Leben ist.»
Die Helfer stehen vor grossen logistischen Problemen. Es gibt nicht genug Fahrzeuge und genug Treibstoff. Zudem sind viele Strassen durch die Beben unpassierbar geworden.
Die Retter wickeln die aufgefundenen Leichen sorgfältig in Tücher und übergeben sie den wartenden Angehörigen. Dann werden die Toten in Metallsärgen abtransportiert.
Einige verzweifelte Menschen versuchen, mit eigenen Händen in den Trümmern zu graben und nach Angehörigen zu suchen.
Rettungsteams aus der ganzen Welt
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat in der Türkei einen dreimonatigen Ausnahmezustand über die zehn am stärksten vom Beben betroffenen Provinzen verhängt. Erdoğan hat am Mittwoch Kahramanmaras und Hatay besucht, wie das Präsidialamt mitteilte. Er begab sich auch nach Pazarcik, dem Epizentrum des Bebens (siehe Karte unten).
Aus der ganzen Welt reisen Rettungsmannschaften mit Spezialteams, Spürhunden und Spezialausrüstungen an. Es wird befürchtet, das viele zu spät kommen.
Auch 80 Schweizer Retter sind seit Montagabend vor Ort. Mit Suchhunden, Schweissgeräten, aber auch mit blossen Händen suchen sie nach Überlebenden in den Trümmern.
Bisher wurden in der Türkei 8’000 Menschen lebend aus den Trümmern geborgen.
Mehr als eine Viertelmillion Menschen in der Türkei benötigen nach Schätzungen eines Mitarbeiters der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes Lebensmittel, Kleidung und Unterkünfte. Nach türkischen Angaben sind mehr als 60’000 Menschen an den Hilfsmassnahmen beteiligt, und mehr als 4’700 Fahrzeuge und Baumaschinen helfen, die Trümmer zu beseitigen.
Schwierige Lage in Syrien
Die Rettungsaktion im Norden Syriens gestaltet sich schwierig. Das Gebiet, in dem die Erdbeben stattfanden, wird von der syrischen Anti-Assad-Opposition kontrolliert und ist vom übrigen Syrien fast abgeschnitten.
Aus diesem Grund ist es schwierig, Hilfsgüter in den Norden des Landes zu transportieren. Laut Hilfsorganisationen sind die Strassen an den Hauptübergängen in das von der Opposition kontrollierte Gebiet beschädigt.
Selbst an Wasser fehlt es im Norden. Viele Wasserleitungen sind zerstört. Wasser müsse mit Lastwagen herangeführt werden, erklären Uno-Helfer. Vor dem Erdbeben war das nördliche Syrien von einer Dürre und einer Cholera-Epidemie heimgesucht worden.
Der syrische Aussenminister Faisal Mekdad sagte am Dienstag in einem Interview mit dem libanesischen Fernsehsender Al Mayadeen TV, die syrische Regierung sei bereit, die Hilfe für die Erdbebenopfer in alle Regionen zu lassen, sofern sie nicht zu bewaffneten Terrorgruppen gelange.
(J21)