Anna Püntener, eine Zürcher Maturandin, schreibt der Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner und wirft ihr vor, das Bildungssystem zu ruinieren. „Treten Sie zurück, Frau Steiner.“
Anna Püntener ist Maturandin am Realgymnasium Rämibühl in Zürich und Mitglied der Schülerinnen- und Schüler-Organisation des RG
Liebe Frau Steiner
Ich gehöre zu denjenigen, die Ihre AHV finanzieren werden. Ich gehöre zu denjenigen, die mit den Konsequenzen des Klimawandels umgehen müssen. Ich gehöre zu denjenigen, die in einer zunehmend komplexeren Welt zurechtkommen müssen; einer Welt, in der Ihre Generation gerade recht erfolgreich Kriege führt und Flüchtlingsströme verursacht. Ich und meine Generation, wir werden jedes bisschen Wissen bitter nötig haben! Sie als unsere Bildungsdirektorin sollen im Auftrag des Volkes sicherstellen, dass wir dieses Wissen auch erhalten. Doch anstatt sicherzustellen, dass wir für die stetig steigenden Anforderungen des Lebens bestmöglich gerüstet sind, verweigern Sie uns aus fadenscheinigen „Kostenoptimierungs-Gründen“ eine Ausbildung, die den Anforderungen und Möglichkeiten der Schweiz im 21. Jahrhundert entspricht.
Ich verstehe, dass man sparen muss, und es versteht sich von selbst, dass es in der Kantonskasse nicht unendlich viel Geld gibt, das man zu Origami-Tierchen falten und dann auf der Strasse an mehr oder weniger bedürftige Passant/innen verteilen könnte. Ich verstehe auch, dass man sparen muss, um ein Budget einzuhalten. Aber wenn Sie sagen, „s Sackgeld wird nöd gchürzt, s wird nume iigfrore“, dann verstehe ich das nicht – und zwar nicht, weil es mich intellektuell überfordern würde, sondern weil es nicht der Wahrheit entspricht.
Seien Sie doch ehrlich: Sie wissen nur zu genau, dass das Sackgeld nicht eingefroren, sondern drastisch reduziert wird. Und lassen wir den unehrlichen Vergleich doch überhaupt weg: Es geht hier schliesslich nicht bloss um „ein bisschen Sackgeld“, sondern es geht um die Finanzierung unserer Zukunft. Und glauben Sie mir, Frau Steiner: Auf Sackgeld können wir notfalls verzichten; auf unsere Zukunft nicht.
Es geht also nicht nur ums Sparen an sich, sondern um die – bei allem gebotenen Respekt für Ihr Amt – unehrliche und in höchstem Masse inakzeptable Art und Weise, wie Sie vorgehen, um Ihre Agenda gegenüber uns “Kostentreibern“, wie Sie uns Schülerinnen und Schüler in offiziellen Dokumenten bezeichnen, durchzuzwängen. Ich bin nicht sicher, ob es wirklich nötig ist, dass Ihnen eine Achtzehnjährige Ihr eigenes Vorgehen erklärt, und ob Sie mir - einer von Tausenden Ihnen anvertrauten Schülerinnen - überhaupt die Bereitschaft entgegenbringen und zuhören. Ich sage es trotzdem: Frau Steiner, Sie sind im Begriff, in unserem Land die Chancengleichheiten bezüglich der Bildung abzuschaffen, ohnehin schon überarbeitete Lehrpersonen noch mehr unter Druck zu setzen und die Bildungsqualität massiv zu verringern. Was Sie mit Ihren sogenannten „Leistungsüberprüfungen“ de facto betreiben, ist eine Spaltpilzpolitik in Reinkultur. Systematisch spalten Sie alle Betroffenen in Untergruppen auf, um sie dann gegeneinander auszuspielen; immer im Wissen darum, dass Ihnen die einzelnen Grüppchen nicht gefährlich werden können. Lassen Sie mich Ihnen anhand zweier Beispiele zeigen, was ich meine:
Jedes zusätzliche Kind, das es ans Gymnasium schafft, belastet Ihr Budget. Indem Sie nun aber aus reinen Kostengründen die Aufnahmebedingungen verschärfen und die Aufnahmequoten heruntersetzen, vermindern Sie die Chancengleichheit. Ins Gymnasium schaffen es jetzt schon mehrheitlich nur noch diejenigen, deren Eltern es sich leisten können, den Nachwuchs in eine teure Prüfungsvorbereitung und nachher allenfalls in die Nachhilfe zu schicken. Schülerinnen und Schüler aus reichem Elternhaus sind entscheidend im Vorteil. Mit schwereren Aufnahmeprüfungen wird diese Ungerechtigkeit zusätzlich verschärft. Dadurch schaffen Sie eine auf Finanzkraft basierende (Bildungs-)Elite. Indem Sie die privaten gegen die öffentlichen Schulen ausspielen, unterwandern Sie das bis anhin gut funktionierende Schweizer Bildungssystem. Dadurch schaffen Sie amerikanische Verhältnisse: Bildungsreichtum für die Reichen, Bildungsarmut für die Armen!
Doch auch innerhalb der Schulen setzen Sie Ihre Spaltpilzpolitik ein:
Indem Sie das Stundenpensum ausschliesslich für Sprachlehrer, nicht aber für die Lehrpersonen der anderen Fächer anheben, spalten Sie das Lehrerkollegium an allen Schulen in zwei Lager; solche, die neu weniger verdienen, und solche, die nicht von Ihren Massnahmen betroffen sind. Dadurch stellen Sie sicher, dass die Lehrpersonen nicht geeint gegenüber Ihnen und Ihrer „Optimierung“ auftreten können. Und das nächste Mal nehmen Sie sich dann halt einfach das andere Grüppchen vor: Herzliche Gratulation: So motiviert man ein Team! Der Einsatz von Ironie ist übrigens ein rhetorisches Stilmittel. Ein solches zu erkennen, zu benennen und einzusetzen ist Teil des Sprachunterrichts, der nun also in viel grösseren Klassen bei immer gestressteren und schlechter bezahlten Lehrpersonen in Gebäuden stattfindet, deren Infrastruktur aus Kostenoptimierungsgründen immer schlechter wird.
Ich weiss nicht, was für negative Erfahrungen Sie mit Ihren Sprachlehrern gemacht haben, um nur gerade von ihnen Mehrarbeit einzufordern und sie zu diskreditieren: Diese Lehrpersonen sind aktiv im Schulalltag, organisieren Veranstaltungen mit den Schüler-Organisationen und unterstützen andere schulinterne Schülergruppen. Sie arbeiten in Kommissionen, um den Schulalltag zu verbessern, sie leisten Überstunden, wenn sie mit uns auf Exkursionen kommen, und sie pflegen ganz einfach einen gesunden zwischenmenschlichen Kontakt zu ihren Schüler/innen. Und wissen Sie was? Das ist unbezahlbar. Aber all das braucht Zeit, und genau die nehmen Sie den Lehrpersonen – und dadurch uns Schülerinnen und Schülern – weg.
Es gäbe noch viele weitere Punkte, an denen sich Ihre Spaltpilzpolitik erkennen liesse, aber ich möchte zu einem Ende kommen: Ich weiss, dass ich als Gymnasiastin für Sie in erster Linie eine Kostentreiberin bin. Aber ich treibe die Kosten nicht aus Eigennutz in die Höhe. Was ich im Gymnasium lerne, was ich profitiere, lerne und profitiere ich für die Gesellschaft. Die Gesellschaft braucht gut ausgebildete, zufriedene, wissenshungrige und ehrgeizige junge Menschen, die mit einem breiten Wissen aus dem Gymnasium kommen und in der Gesellschaft etwas bewegen wollen. Die Gesellschaft braucht mich, braucht uns. Und zwar als Menschen, die nicht nur etwas verändern wollen, sondern auch können!
Liebe Frau Steiner, in diesem Brief habe ich nur kurz skizziert, was Sie momentan alles falsch machen. Die Art und Weise, wie Sie den vom Kanton kommenden Sparbefehl umsetzen, ist schlicht und einfach miserabel. Statt sich um eine Lösung zu bemühen, treiben Sie Pflöcke in die Gesellschaft und spalten sie in Gruppen, die Sie geschickt gegeneinander ausspielen. Anstatt mit den Schulen das Gespräch zu suchen, befehlen Sie von oben herab, was zu tun sei, und machen dabei ganz nebenbei unser Bildungssystem kaputt. Für eine Bildungsdirektorin ist das nicht akzeptabel: Sie müssten doch auf unserer Seite stehen! Da Sie sich bis jetzt unfähig gezeigt haben, sich auch nur minimal für die Bildung, die Lehrpersonen und uns Schülerinnen und Schüler einzusetzen, bitte ich Sie, nein, fordere ich Sie auf, zurückzutreten. Liebe Frau Steiner, richten Sie nicht noch mehr Schaden an. Nehmen Sie Ihre „Leistungsüberprüfungen“ zurück und lassen Sie jemanden daran arbeiten, für den Bildung nicht nur eine Budget-, sondern auch eine Herzensangelegenheit ist.