Alle Jahre wieder: Kurz vor Beginn des neuen Schuljahrs Ende Februar/Anfang März melden sich Argentiniens Lehrergewerkschaften mit ihren Lohnforderungen und drohen mit Arbeitsniederlegung, falls ihren Begehren nicht stattgegeben wird. Manchmal einigen sich die Sozialpartner in letzter Minute. Nicht selten bleiben die Schulen jedoch zunächst einmal geschlossen, weil die Lehrer das Angebot der Regierung als zu knauserig einstufen und mit einem Streik ihren höheren Saläransprüchen Nachdruck verleihen wollen.
Mehr Lohn und dennoch weniger Geld
In diesem Jahr hat der Bildungsminister den Anfangslohn für Lehrer von monatlich 2340 auf 2800 Peso (rund 600 Franken) erhöht. Er hielt sich damit streng an die Richtlinie der Regierung, die Gehaltsaufbesserungen bis zu 20 Prozent für verkraftbar und angemessen hält. Einem Arbeitnehmer in der Schweiz würde bei einem solchen prozentualen Einkommenszuwachs das Herz vor Freude hüpfen. Sein Kollege in Argentinien hingegen kann trotz der 20 Prozent mehr in der Lohntüte mit seinem Geld heute weniger kaufen als vor einem Jahr, weil die Preise stärker gestiegen sind als sein Gehalt.
Deshalb, so argumentierten die Lehrerverbände, müsse der Grundlohn, also der Mindestverdienst ohne alters-, orts- oder funktionsabhängige Zulagen, auf 3000 Peso (631 Franken) steigen. Doch die Regierung war nicht bereit, ihre Offerte aufzubessern, und legte per Dekret 2800 Peso als Basisgehalt fest.
Das Schuljahr begann, und die Lehrer streikten prompt. In dieser Woche liessen schätzungsweise 600 000 Lehrkräfte im ganzen Land den Unterricht einen oder zwei Tage ausfallen. Beinahe zehn Millionen Kinder und Jugendliche kamen so mehr oder weniger unverhofft zu zusätzlichen schulfreien Tagen. Und die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass es nicht die letzten sein werden. In früheren Jahren fielen wegen des Arbeitskampfs schon bis zu 17 Schultage aus.
Verdoppeltes Gehalt…
Möglicherweise hätten sich die Lehrer schliesslich doch noch mit der 20-prozentigen Gehaltsaufbesserung abgefunden, wäre nicht mitten in ihren Lohnverhandlungen bekannt geworden, dass Argentiniens Parlamentarier ihre so genannten Diäten um sage und schreibe 100 Prozent angehoben haben. Die Abgeordneten verdienen neuerdings 35 000 Peso (7400 Franken) im Monat, die Senatoren 40 000 Pesos (8400 Franken). Ein nationaler Volksvertreter ist somit mindestens zwölf Lehrer wert – lohnmässig gesehen.
Zum Grundgehalt kommen Vergünstigungen wie beispielsweise Gratis-Flugtickets für Kongressmitglieder, die im Landesinnern wohnen. Verwenden die Politiker die Passagen nicht, können sie diese in Bargeld umtauschen und so steuerfrei ihr Gehalt aufbessern. Abgeordnete und Senatoren haben zudem Anspruch auf eine bestimmte Anzahl von Beratern, die aus der Staatskasse entlöhnt werden. Dabei behalten sie gelegentlich einen Teil des ihnen dafür zugestandenen Geldes für sich. Laut dem „Argentinischen Tageblatt“ soll es Fälle geben, in denen einen Parlamentarier auf 90 000 Peso monatlich kommt.
…für gleich wenig Arbeit
Die Verdoppelung der Löhne für die 257 Abgeordneten und die 72 Senatoren empörte nicht bloss die Lehrer, sondern einen Grossteil der Bevölkerung. Umso mehr, als die allermeisten Parlamentarier nicht gerade als arbeitswütig gelten. Die beiden Kammern tagen selten mehr als einmal pro Woche, und in den Kommissionen wird in der Regel auch nicht übermässig gerackert.
Die Präsidentin giesst Öl ins Feuer
Will man Staatschefin Cristina Fernández de Kirchner glauben, dann übertun sich auch die Schulmeister nicht. In einer Rede vor dem Parlament sagte sie, die Lehrer hätten keinen Grund, mit dem Angebot der Regierung unzufrieden zu sein, zumal sie nur vier Stunden pro Tag arbeiteten und drei Monate Ferien hätten. Diese Belehrung in schönster Stammtisch-Manier löste unter den Pädagogen einen Sturm der Entrüstung aus. Auch Lehrerverbände, die der Regierung nahe stehen, bezichtigten die Präsidentin der Respektlosigkeit gegenüber ihrem Berufsstand und riefen zum Streik auf.
In mehreren Städten machten die Lehrer ihrem Unmut darüber hinaus mit Protestmärschen Luft. „Ich bin enttäuscht und wütend, dass unsere Arbeit so wenig geschätzt wird“, sagte eine Lehrerin, die an einer Kundgebung vor dem Bildungsministerium in Buenos Aires teilnahm. „Von einem Vierstunden-Tag kann nicht die Rede sein. Ich komme jeweils um acht Uhr morgens und bleibe in der Regel bis nachmittags um vier in der Schule.“ „Und das mit den drei Monaten Ferien stimmt auch nicht“, ergänzte ein Kollege. „Wir haben bis am letzten Werktag im Dezember gearbeitet und sind am 13. Februar in die Schule zurückgekehrt.“
Ab in die Privatschule
Der Dauerkonflikt um die Lehrerlöhne vertieft die Kluft im argentinischen Bildungswesen. Wie in den meisten lateinamerikanischen Ländern funktioniert die öffentliche Schule mehr schlecht als recht. Viele Eltern schicken deshalb – nicht selten unter grossen finanziellen Opfern – ihren Nachwuchs lieber in private Lehrinstitute, die in der Regel ein höheres Niveau aufweisen. Kinder aus ärmeren Familien, die das Schulgeld nicht aufbringen können, haben das Nachsehen; sie müssen wohl oder übel mit der staatlichen Schule vorlieb nehmen. Wird diese auch noch des Öfteren bestreikt, geraten sie gegenüber den Schülern in den Privatschulen bildungsmässig noch stärker ins Hintertreffen.
Mit besseren Lehrergehältern allein lässt sich dieses Problem nicht aus der Welt schaffen. Aber noch viel weniger mit den Lippenbekenntnissen der Politiker. Die betonen zwar bei jeder Gelegenheit, wie sehr ihnen die Bildung am Herzen liegt, sobald es jedoch darum geht, konkrete Massnahmen für eine bessere Schule zu ergreifen, haben sie andere Prioritäten. Zum Beispiel die eigene Lohnerhöhung.