Das Uno-Hilfswerk UNWRA ist in Diskussion. Die Schweiz hat ihre Zahlungen an die UNWRA vorerst gestoppt. In der Auseinandersetzung spielen umstrittene palästinensische Lehrmittel eine Hauptrolle. Doch wer schaut eigentlich auf die israelischen Pendants?
Am gleichen Tag (Montag), als Amnesty International Schweiz im Bundeshaus eine Petition mit 45’000 Unterschriften einreichte, die eine Freigabe der Hilfsgelder für die UNWRA forderte, bearbeitete drinnen im Bundeshaus der Direktor der pro-israelischen NGO UN Watch, Hillel Neuer, die Mitglieder des Parlaments, genau das nicht zu tun. Eine Zerreissprobe für die schweizerische Nahostpolitik.
Mitglieder des National- und des Ständerats, auch der Bundesrat, befinden sich zwischen Hammer und Amboss. Wem sollen sie mehr Glauben schenken, wem mit mehr Misstrauen entgegentreten? Durch den Untersuchungsbericht, den eine von der ehemaligen französischen Aussenministerin, Catherine Colonna, geleitete Kommission publizierte, wurde UNWRA nach der Auffassung zahlreicher Regierungen (darunter Kanada, Schweden, Australien, Deutschland) von der klammheimlichen Zusammenarbeit mit der Terror-Organisation Hamas entlastet.
Aber in der Schweiz machte der Bericht wenig Eindruck. Man orientiert sich in Bern lieber an den USA, den Briten und den Österreichern, die das Uno-Hilfswerk für die Palästinenser samt seinem Chef, dem Schweizer Philippe Lazzarini, weiterhin mit Misstrauen beäugen und ihre Hilfsgelder (im Fall der Schweiz handelt es sich um 20 Millionen Franken) entweder zurückhalten oder permanent blockieren wollen.
Unbestätigte Anschuldigungen
Weshalb? Salopp gesagt, weil die pro-israelische Seite wortgewaltiger auftritt als die Gegenpartei. Hillel Neuer und die Vertreter anderer pro-israelischer Interessengruppen bringen (scheinbar) glasklare Argumente vor: Gaza-Palästinenser, die von UNWRA angestellt waren, hätten an den Massenmord-Attacken vom 7. Oktober teilgenommen, sagen sie. Werden sie gefragt, ob sie dafür Beweise hätten, verweisen sie auf die Arbeiten ihrer Geheimdienste. Nur: Dem direkt Betroffenen, Philippe Lazzarini, Chef der UNWRA, haben sie diese Texte nie zugänglich gemacht. Lazzarini reagierte dennoch, als aus Israel entsprechende Anschuldigungen kamen, ohne Verzögerung und entliess die Verdächtigten fristlos.
Es folgten von UN Watch und anderen Vereinigungen weitere Anschuldigungen – unter anderem, das Uno-Hilfswerk verbreite in den Schulbüchern für palästinensische Kinder Antisemitismus. Hillel Neuer in einem Gespräch mit der NZZ vor dem Hearing im Parlament in Bern: «Wenn ein Lehrer an einer Schweizer Schule sagen würde: Bringt alle Juden um, was passiert dann?» Und fuhr fort: «Wir stellen doch niemanden vor eine Schulklasse, der zum Massenmord aufruft und Hitler glorifiziert.» An den Schulen von UNWRA (das Uno-Hilfswerk beschäftigt in Nahost total rund 30’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon im Gaza-Streifen etwa 13’000) geschehe das aber regelmässig.
Verlagerung der Diskussion
Verlagert sich also die Debatte nun von der Hamas-Attacke des 7. Oktobers auf die Frage, was den palästinensischen Kindern in den Schulen beigebracht wird? Ja, so ist es, und das ist nicht unwesentlich. Nur sollte man sich dann beide Seiten anschauen.
Zunächst die palästinensische: UNWRA unterhält zwar eine grosse Zahl von Schulen für palästinensische Kinder, die Schulbücher werden aber nicht von UNWRA, sondern vom palästinensischen Bildungsministerium, also einem Zweig der Behörde von Mahmud Abbas im Westjordanland, herausgegeben. In diesen Büchern finden sich so offensichtlich feindselige Texte gegen Israel und Israeli, dass sich UNWRA-Verantwortliche zu Interventionen veranlasst sahen. Ein journalistischer Mitarbeiter des Deutschlandfunks recherchierte im März zu diesem Thema und sagte: «Es gab ein Treffen zwischen UNWRA und dem palästinensischen Bildungsministerium, auch dem palästinensischen Premier. Das Ergebnis war, dass die palästinensische Autonomiebehörde zum jetzigen Zeitpunkt keine Notwendigkeit sieht, Curricula oder Inhalte zu verändern.»
Im Klartext: Ein Problem gibt es zwar, aber dafür ist die hohe Politik bei den Palästinensern verantwortlich, nicht UNWRA.
Und die Gegenseite?
Aber wie steht es mit den israelischen Schulbüchern? Dazu gibt es nicht viele Publikationen. Eine gründliche Untersuchung stammt aus dem Jahr 2013, eine andere ist sogar noch etwas älter – das ist halbwegs verständlich, weil das Thema in Israel unpopulär ist und weil die Autoren und Autorinnen nach der Veröffentlichung im eigenen Land weitgehend geschnitten wurden. In «Die Geografie des Landes Israel» (2013) vermerkte die Autorin Nurit Peled (Professorin an der Hebräischen Universität in Jerusalem) beispielsweise, dass in israelischen Schulbüchern die besetzten Gebiete nicht erkennbar sind. Israel reicht da bis zum Jordan, manchmal, mit Rückverweis auf Textstellen in der Bibel, noch darüber hinaus.
«Die Existenz der Palästinenser wird den israelischen Kindern weitgehend verschwiegen», so Peled. «Es gibt in Hunderten von Büchern kein Bild, auf dem ein Palästinenser als Individuum zu sehen wäre», schrieb sie. Und, sinngemäss, weiter: Wenn die Palästinenser doch einmal erwähnt werden, dann wird die Verantwortung für ihr Flüchtlingsschicksal eindeutig verortet. Nämlich bei arabischen Politikern, die, statt den Palästinensern zu helfen, politisches Kapital aus ihrem Elend gezogen haben.
Lese man israelische Schulbücher, so Peled, so wurde die Schaffung des Staats eigentlich nicht durch einen Beschluss der Vereinten Nationen ermöglicht, sondern das Land wurde «re-established» im Jahr 1948. «Such a statement assumes that the current state of Israel is a direct successor of another, ancient state of Israel or rather, kingdom.» Juden seien einfach etwa so aus dem Land abwesend gewesen, als hätten sie sich auf einen Einkaufsbummel begeben, und in der Zwischenzeit hätten Diebe sich das Land und die Behausungen unter den Nagel gerissen, schrieb sie, mit Rückverweis auf israelische Schulbücher. Womit die Autorin meint, die Tatsache, dass Palästinenser während Jahrhunderten, ja seit mehr als eintausend Jahren in dieser Region lebten, werde in den israelischen Schulbüchern negiert.
Der Schulbuchstreit, der in der aktuellen Debatte sowohl in Israel als auch bei uns nur einseitig ausgetragen wird (mit der Schuldzuweisung an die Seite der Palästinenser respektive die UNWRA, welche zwar für den Unterricht zuständig ist, nicht aber für die Texte), ist ein wesentliches Element für politische Entscheidungen der Nahostpolitik geworden. Man sollte dieses Thema sachlich angehen – nüchterner auf jeden Fall, als das in der Schweiz beim Streit um das Uno-Hilfswerk geschieht.