Hannah Villiger (1951–1997) wählte in ihrem fotografischen Werk seit den frühen 1980er Jahren fast ausschliesslich ihren eigenen nackten Körper zum Ausgangspunkt ihrer Arbeiten. Ihr Blick geht nach innen. Walter Pfeiffer (geboren 1946) hingegen blickt nach aussen und richtet in seinen Fotografien, denen man in Schaffhausen begegnet, sein Augenmerk ausschliesslich auf junge Männerkörper: zwei Positionen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Warum sie in einer Ausstellung zusammenführen?
Gegenüberstellungen
Das Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen beginnt mit dieser Ausstellung die neue Reihe „Doppio“. Da wird jeweils in kleinen Präsentationen das Werk einer Künstlerin oder eines Künstlers aus Schaffhausen dem Schaffen eines oder einer Auswärtigen gegenübergestellt. Ziel dieser Reihe ist es, dass man die Arbeiten der zwei in der Nachbarschaft des/der je anderen auf neue Weise und vielleicht auch viel schärfer wahrnimmt. Betreut wird die Reihe vom 1990 geborenen Julian Denzler, seit etwas mehr als einem Jahr Kurator für Gegenwartskunst des Museums. Im Falle von Walter Pfeiffer und Hannah Villiger sind die Unterschiede zwischen den beiden Werkgruppen auf den ersten Blick weit grösser als die Gemeinsamkeiten. Verbindend ist vor allem das Sujet, der menschliche Körper, seine Haut, seine Struktur, seine raumbildende Qualität. Doch bereits in der Thematik unterscheiden sie sich. Es mag vielleicht bezeichnend sein, dass sich die beiden Künstler trotz gleicher Generation nie bewusst begegnet sind.
Inszenierte schöne Welt
Der aus dem Kanton Schaffhausen stammende Pfeiffer begann als Schaufenster-Dekorateur, wurde Künstler, griff zur Kamera, zählte in den 1970er Jahren zu den Underground-Fotografen des Zürcher Homosexuellen-Milieus, mischte in den unruhigen Zürcher 1980er Jahren mit und wurde später zum Modefotografen mit internationalem Aktionsradius. Er ist dabei, trotz Kamera in der Hand, stets im weitesten Sinn Künstler geblieben, der das Medium einsetzt, um einen sehr persönlich empfundenen Lebensraum Bild werden zu lassen. In der „Doppio“-Ausstellung präsentiert Julian Denzler Werke Pfeiffers von 1974 bis in die jüngste Zeit. Die Bilder sind von ausserordentlichem ästhetischem Gestaltungswillen geprägt, von perfekter Lichtführung, von – meist handelt es sich um Farbaufnahmen – präzisem Kolorit. Hohe Sorgfalt verwendet er auf die Wiedergabe der makellos wirkenden Haut der stets jungen Männer. Unverkennbar sind es Bilder, die von homosexueller Erotik geprägt sind und von erotischem Begehren zeugen.
In dieser fast makellos präsentierten und hochgradig inszenierten schönen Welt gibt es kaum Brüche. Pfeiffers Ästhetisierungsbestreben glättet die leisen Andeutungen von Gewalt – hier eine geballte Faust – oder von Ängstlichkeit – dort der Rückenakt eines jungen Mannes in Embryostellung. Pfeiffers Werkgruppe illustriert auf ehrliche und authentische Weise eine Aussenwelt als Lebensraum des Künstlers.
„Der Mensch ist allein“
Von all dem unterscheidet sich der Blick Hannah Villigers. Denzler präsentiert sie vor allem mit Werken der 1980er Jahre. Die jüngste Arbeit stammt von 1993/94. Es sind mit einer Ausnahme – einem Block aus zwölf Einzelaufnahmen – durchwegs auf 125 x 123 cm vergrösserte und auf dünnes Aluminium aufgezogene Polaroid-Aufnahmen. Die Künstlerin nahm die Bilder allein in ihrer Wohnung und ohne Stativ oder andere Hilfsmittel auf, indem sie mit der in der Hand gehaltenen Kamera ihren Körper umkreiste. Dieser Körper zeigt sich in den Werken wegen der kurzen Distanz zwischen Objektiv und Objekt nur in Fragmenten. Hannah Villigers Ehrlichkeit geht so weit, dass sie, was gemeinhin als körperlicher Makel empfunden werden kann, wohl nicht akzentuiert, aber doch das Bild mitprägen lässt – Sommersprossen zum Beispiel oder extrem magere Gliedmassen und Knochen, über die sich eine dünne Haut spannt. Die Künstlerin zeigt sich selber in ihrer ganzen Fragilität und Verletzlichkeit. Da wird nichts beschönigt – auch nicht die Einsamkeit, in die sie sich nach Aufenthalten hier und dort – in Rom, in New York, auf einer zweijährigen Weltreise, in Paris – zurückzog.
Hannah Villiger stammt aus dem Kanton Zug, besuchte an der Kunstgewerbeschule Luzern die Abteilung dreidimensionales Gestalten, spielt in der Schweizer Kunst bald eine bedeutende Rolle und hatte auch Ausstellungsbeteiligungen in wichtigen internationalen Museen. Als sie 1997 in Auw im Freiamt, starb, erschien in der Zeitung eine Todesanzeige mit folgender Aussage Hannah Villigers: „Der Mensch ist allein. Das ist eine existenzielle Wahrheit. Deshalb ist der eigene Körper als unumgänglicher Ausgangs- und Endpunkt das naheliegendste und zudem ein faszinierendes Instrument.“ Damit fasste die Künstlerin die existenzielle Dimension ihrer künstlerischen Arbeit auf eindrückliche Weise in Worte.
Intimität und Öffentlichkeit
Die Werke Hannah Villigers und Walter Pfeiffers zielen hinein in die Spannungen zwischen Intimität und Öffentlichkeit. Beide stellen ihr Privates ins Zentrum ihrer Kunst und damit in die Öffentlichkeit – Hannah Villiger die Zerbrechlichkeit ihres eigenen Körpers, Walter Pfeiffer seinen Blick auf die schönen fremden Körper. Beider Arbeiten lassen sich als Lebensmetapher lesen – Hannah Villigers Werk als Bild der existenziellen Erfahrungen der Einsamkeit, Walter Pfeiffers Fotografien als Bilder der Sehnsucht.
Während Pfeiffers Bilder der Sehnsucht stark dem (auch trügerischen?) Oberflächenglanz verpflichtet sind, lotet Hannah Villiger die Welt ihrer Kunst tiefer aus. Auch Pfeiffer lässt seine Akte zu streng gebauten, „klassischen“ Skulpturen werden. Hannah Villiger aber, von ihrer Ausbildung her Plastikerin, gibt ihren Fotoarbeiten meist den Titel „Skulptural“, wählt als „Material“ dieser Skulpturen ihren eigenen Körper und lässt den Betrachter immer wieder jene Innenräume erfahren, die sich zwischen den Partien dieses Körpers öffnen. Es geht also nicht um jenes Selbst-Bild, das im Selfie-Zeitalter die Medienwelt überflutet, sondern um einen genuin skulpturalen und damit künstlerischen Umgang mit sich selber als mit dem Naheliegendsten, was es für eine Künstlerin, einen Künstler gibt. So überrascht es denn auch nicht, dass Hannah Villiger 1996 in einem Gespräch mit Miriam Cahn sagte: „Mein Leben und meine künstlerische Arbeit fliessen total ineinander … „Meine Bilder zeigen mir immer wieder Neues, was ich dann in mein Leben einbeziehe. Ohne meine künstlerische Arbeit würde ich mich verlieren.“
Vielleicht zeigt die kleine, aber konzentrierte „Doppio“-Ausstellung in Schaffhausen, dass dieser letzte Satz Hannah Villigers auch für Walter Pfeiffer Geltung haben kann – bei allen Differenzen, die wir in der Gegenüberstellung verschärft wahrnehmen.
Museum zu Allerheiligen Schaffhausen. Bis 3. Januar. Informatives Begleitheft mit Texten des Kurators Julian Denzler