Es brennt schon wieder im Paradies. Vor einer Woche erklärte Präsident Abdulla Yameen den Ausnahmezustand. Militär und Polizei marschierten vor staatlichen Gebäuden auf. Kurz darauf drangen sie gar in die Räume des Obersten Gerichts und verhafteten zwei Richter, die im Justizgebäude Zuflucht gesucht hatten.
Die zahlreichen Touristen aus aller Welt – Fremdenverkehr ist die wichtigste Erwerbsquelle des Landes – müssen dennoch nicht befürchten, in Strassensperren zu geraten oder Schüsse zu hören. Die Landfläche der Malediven ist etwa so umfangreich wie jene von Singapur; sie ist aber auf über hundert Inseln verzettelt, die sich über knapp eintausend Kilometer in die Weite des Indischen Ozeans ziehen.
Zwar müssen alle Reisenden das Nadelöhr des Flughafens von Malé passieren, wo ihnen womöglich Gewehrläufe entgegenstarren. Doch dann verschwinden sie im weiten Blau des Ozeans und können sich hinter den Ringen der Atolle sicher fühlen. Vermutlich müssen sie auf den obligaten Shopping-Ausflug nach Malé – der einzigen urbanen Siedlung des Landes – verzichten. Aber dies lässt sich verschmerzen, wenn die Alternative das Eintauchen in die Unterwasser-Pracht der Korallen und Fischschwärme ist.
Abgewürgte Demokratisierung
Für eine solche Nussschale von einem Land – es gibt mehr Stadt-Zürcher als Malediver – verzeichnet dessen Politik seit zehn Jahren einen hohen Wellengang. Dies hat nur in zweiter Linie mit der Demokratisierung seit 2008 zu tun und dem ohrenbetäubenden Lärm, mit dem die Volksherrschaft in Südasien gewöhnlich daherkommt. Viel verhängnisvoller ist die Fähigkeit des Ancien Régime, nach dreissig Jahren Diktatur eine Verwurzelung der Demokratie weiterhin zu verhindern.
Dass der Ausnahmezustand von Abdulla Yameen gerade die Richter so hart anfasst, hat guten Grund. Es war das Oberste Gericht, das dem Präsidenten vor zehn Tagen die Pistole an die Brust setzte. Es ordnete die Freilassung der neun wichtigsten Oppositionspolitiker an. Sie seien nur dank fingierter Gesetzesbrüche und mit massivem Druck auf die Justiz verurteilt worden. Dasselbe gilt für zwölf Parlamentarier, die vor zwei Jahren die Regierungspartei verlassen hatten. Die Annullierung ihres Mandats sei ungesetzlich gewesen; sie seien wieder in ihr Amt einzusetzen. Das Gericht liess sogar offen, ob gegen Yameen ein Absetzungsverfahren angestrengt werden sollte.
Für den Präsidenten war klar, dass er handeln musste. Er rief Armee und Polizei zu Hilfe und setzte die Grundrechte ausser Kraft. Interessanterweise liess er dabei nicht nur die Richter verhaften, sondern auch Maumoon Abdul Gayoom. Der achtzigjährige Gayoom ist nicht nur der ehemalige Staatspräsident, der die Malediven während dreissig Jahren (zwischen 1978 und 2008) diktatorisch beherrschte. Er ist auch der Halbbruder Yameens und hatte diesen vorgeschoben, als 2008 ein Volksaufstand gegen den Autokraten drohte.
Kleptokratischer Clan
Die Rechnung ging damals nicht ganz auf, war es doch der charismatische Exil-Politiker Mohamed Nasheed, der die Wahlen von 2008 gewann. Vier Jahre später war es dann soweit. Die Wiederwahl Nasheeds wurde trotz dessen Stimmenmehrheit nicht anerkannt, es kam zu einer Wiederholung und Abdulla Yameen gewann.
Er schaffte dies nicht zuletzt dank den Obersten Richtern, alten Weggefährten Gayooms, dem sie ihr Amt verdankten. Sie hatten sich 2012 geweigert, den Wahlsieg von Nasheed anzuerkennen und ebneten damit Yameen den Weg zum Thron. Doch warum zogen sie nun Gayooms eigenem Bruder wieder den Boden unter den Füssen weg?
Irgendwann müssen die beiden Brüder auseinandergedriftet sein. Indische Zeitungen spekulieren, dass es innerhalb des Gayoom-Clans zum Streit um die Verteilung des Raubguts kam, das Yameen anhäufte, um seine Macht zu sichern. Es kann auch sein, dass die ideologische und strategische Neuausrichtung des Landes für Gayoom immer ungemütlicher wurde.
Er hatte sich dreissig Jahre an der Macht gehalten, weil er sorgsam darauf bedacht war, sich international nicht zu exponieren. Er dämpfte Indiens kritische Haltung, indem er sich regelmässig Wahlen unterzog und die regionale Vormacht Delhis anerkannte. Und er predigte einen sanften Islam, der ihn vor der Welle des sunnitischen Islamismus aus dem Mittleren Osten verschonte.
Beim demokratischen Umsturz von 2008 setzte Indien auf den Volkstribun Mohamed Nasheed. Als dieser vier Jahre später um den Wahlsieg betrogen wurde, blieb Indien auf kritischer Distanz zum kleptokratischen Gayoom/Yameen-Clan. Den neuen Präsidenten schien dies nicht zu kümmern: Wirtschaftlich warf er sich China in die Arme; und um nicht von rechts überholt zu werden, verschärfte er die islamistische Ausrichtung und berief eine Reihe radikaler Sunniten in staatliche Schlüsselressorts.
Chinesische Avancen
Es war ein vermeintlich schlauer Schachzug. Denn für China mit seinen strategischen Ambitionen im Indischen Ozean wäre ein Marinestützpunkt auf den Malediven eine wichtige Ergänzung der „Perlenkette“, die es mit seinen Basen von Myanmar über Sri Lanka, Pakistan bis nach Djibouti gezogen hat.
Nur ein Jahr nach Yameens Amtsantritt besuchte Präsident Xi Jinping den Archipel. Die Malediven schlossen sich bereits damals enthusiastisch dem OBOR-Projekt (OBOR = One Belt, One Road – der chinesische Plan für ein interkontinentales Infrastruktur-Netzwerk) an. China erhielt Konzessionen für Hafenprojekte, den Ausbau des Fernmeldewesens, für Erdgas-Pipelines. Zusammen mit saudischem und chinesischem Geld sollte die Bin Ladin-Gruppe den Flughafen der Insel Hulhulmalé ausbauen. (Dem indischen Konsortium, das im Bieterverfahren den Zuschlag erhalten hatte, wurde kurzfristig gekündigt.) Eine „Freundschaftsbrücke“ würde die Insel mit dem benachbarten Malé verbinden.
Yameen revanchierte sich mit einem neuen Gesetz, das es Ausländern erlaubt, ganze Inseln langfristig zu pachten. Und im Dezember letzten Jahres unterzeichnete er ein Freihandelsabkommen mit China trotz Widerstands im Parlament, selbst aus der Regierungspartei.
Exilierter Oppositionsführer hofiert Indien
Wie so oft bei OBOR-Projekten sind grosse Teile der Milliarden-Darlehen in chinesischen Yuan rückzahlbar. Bei der unausweichlichen Wertsteigerung der chinesischen Währung wird dies zu einer Aufblähung der Schulden in Lokalwährung führen. Bereits in Myanmar und Sri Lanka ist es aus diesem Grund zu Strassenprotesten gekommen. Um solche zu unterbinden, verabschiedete das Kabinett gleichzeitig ein Gesetz, das die Freiheitsrechte – vor allem jenes der freien Meinungsäusserung – scharf beschränkt.
Aus seinem (Zwangs-)Exil in Colombo meldete sich in den letzten Tagen der ehemalige Präsident Nasheed und appellierte an Indien, dies nicht zuzulassen. „Piece by piece, island by island, the Maldives are being sold off to China“, schrieb er in einem Kommentar im „Indian Express“. Und: „The Indian Ocean is India’s ocean.“
Es ist nicht anzunehmen, dass sich Indien von Nasheeds dick aufgetragener Schmeichelei betören lassen wird. Delhi scheint vielmehr den Kurs zu verfolgen, den diplomatischen Druck auf das Regime zu verstärken. Ein Sondergesandter, den Yameen nach Delhi, Islamabad, Riyad, Tokyo und Beijing schickte, wurde in der indischen Hauptstadt abgewiesen.
Reisebeschränkungen?
Im Verein mit westlichen Staaten könnte es zu Reise-Einschränkungen kommen, die über die üblichen Travel Advisories hinausgehen. Dies würde die Regierung an ihrer empfindlichsten Stelle treffen; umso mehr, als selbst China seinen Bürgern empfohlen hat, Reisen in das Ferienparadies zurückzustellen.
Allerdings zeigt das Beispiel Sri Lankas in den Jahren des Bürgerkriegs, dass sich Touristen nicht abschrecken lassen, solange sie sich in ihren Resorts von der Umwelt abschotten können. Die Malediven mit ihren abgelegenen und gut versorgten Hotelinseln laden buchstäblich dazu ein, einfach ... unterzutauchen.