Im Frühjahr 2011 wird im Teatro de la Fenice in Venedig Verdis ‚Rigoletto’ geprobt. Das ‚musikalische Melodrama in drei Akten’, das dort am 11. März 1851 uraufgeführt worden war. 2011 nun erschien Dirigent Myung-Whun Chung nach der Preniere bleich, hohläugig, erschöpft und deprimiert. Der Südkoreaner, Chef des ‚Orchestre Philharmonique de Radio France’.‚ erklärte dies so: ‚Rigoletto’ ist ein extrem negatives Stück. Es geht um die menschliche Niedertracht, Verrat, Gewalt, Betrug. Und Verdi setzt dies so intensiv in Musik um, dass ich es wie am eigenen Leibe spüre. Ich bin froh, wenn diese Aufführung vorbei ist.’
Das Lachen bleibt im Halse stecken
Sicher hat dazu die Inszenierung von Daniele Abbado beigetragen. Der Sohn des berühmten Dirigenten Claudio Abbado studierte Regie am renommierten ‚Piccolo Teatro’ von Giorgio Strehler in Mailand, das für seine oft verstörenden Regiearbeiten bekannt ist. Die Intrigen am Hof in Mantua, die Atmosphäre von gegenseitiger sexueller und emotionaler Ausbeutung, die rauschhaften Feste, die Gier nach Lust, Zerstreuung und Grausamkeit ohne Gedanken für die Folgen, dies alles inszeniert Abbado in einer Erlebniswelt wie Fellini und Pasolini, doch in moderner Ästhetik. Orgiastische Szenen wechseln in raschem Tempo mit tragisch-komischen.
Bei der Szene wie der geblendete ‚Rigoletto’ unwissentlich seinen Widersachern eifrig beim Raub seiner eigenen Tochter hilft, bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Dies alles wird getragen von Darstellern, die sich auf die Schauspielerei wie auf das Singen verstehen.
Die Inszenierung selbst ist so spannend, dass schon allein sie fasziniert. In Verbindung mit Giuseppe Verdis hochemotionaler Musik aber, in der Visuelles und Musik sich gegenseitig steigern, wird dieser ‚Rigoletto’ zu einem sehr intensiven Erlebnis. Das Publikum wird völlig vereinnahmt und auf einen Teufelsritt mitgenommen, an dessen Ende es tief beeindruckt, doch emotional völlig erschöpft, das Theater verlässt.
Ratlose Betrachter in München
Ganz anders die gegenwärtige ‚Rigoletto’-Aufführung in München. Gemessen am venezianischen Erlebnis müsste man hier von gepflegter Langeweile sprechen. Regisseur Arpad Schilling inszeniert Verdi minimalistisch; so sehr, dass Szenen wie der Raub der Tochter nur mal angedeutet sind. Die Höflinge von Mantua sitzen als Puppen auf einer Treppenbühne. Das Treiben des Hofes bleibt der Phantasie des Betrachters überlassen, so er das Programm gelesen hat. Die Sänger stehen zum Publikum gewandt und singen, oft ohne irgendwelche gegenseitige Interaktion. Die spärlichen Aktionen auf der Bühne lassen den Betrachter oft ratlos und generieren keine Emotionen.
Musikalisch überzeugend
Musikalisch war die Aufführung allerdings ein Genuss. Das Bayrische Staatsorchester und der Chor der Bayrischen Staatsoper musizierten und sangen unter der Leitung Stefano Ranzanis mit Verve. Samir Pirgu agierte überzeugend als der vergnügungssüchtige, verantwortungslose Duca di Mantova und erfreute mit seiner warmen, vollen Tenorstimme und seinem Belcanto. Die kurzfristig als Gilda, die Tochter Rigolettos, eingesprungene Moldawierin Valentina Nafornita entledigte sich ihrer Aufgabe ehrenvoll. Scheu und feingliedrig entsprach sie optisch ihrer Figur genau. Ihre Stimme zeigte zeitweilig Volumen und Reife, hat aber zweifellos Potential, gerade auch im Interpretatorischen, das noch ausgeschöpft werden kann.
Der Glanzpunkt der Aufführung war zweifellos Interpretation des Rigoletto von George Petean. Gesanglich wie darstellerisch füllte der Rumäne seine Figur aus. Nur schade, dass er dabei oft wie im luftleeren Raum agierte.
Verdi mit gebremsten Emotionen? Ein Unding!