Die neue Produktion von Georg Friedrich Händels ‚Alcina’ an der Zürcher Oper ist allenthalben hoch gelobt worden: Zu Recht. Allem voran begeisterte das Bühnenbild mit den übereinander gelagerten Doppelbühnen, die zu allerlei Bühneneffekten einluden. Solche Spielereien wurden im Barock vom Publikum nicht nur geschätzt, sondern verlangt, und boten so eine perfekte Einstimmung in diese Periode. Diverse Dekorationen boten weitere Freuden fürs Auge, wie auch die prachtvollen Kostüme und die zeitgenössischen Perücken. Die tänzerischen Einlagen eines ‚Barockballetts’ taten ein Übriges uns die spielerischen Zeiten des Barock näher zu bringen.
Beeindruckendes Ensemble in Zürich
Die Ensembleleitung der Sänger war beeindruckend: Die Stimmen harmonierten miteinander und waren sich in ihrer Qualität ebenbürtig. Die Spielfreude der einzelnen Akteure und ihre Identifikation mit ihren Rollen war spürbar. Das Orchester wurde kundig von Giovanni Antonini geleitet und dieser nahm es im ersten Akt sogar bewusst zurück um der exquisiten, doch eher kleinen, Stimme der Zauberin ‚Alcina’ Cecilia Bartoli mehr Raum zu geben. Die Stimme steigerte sich im Verlauf der Aufführung und beeindruckte durch ihre Nuancierungen und grosse Ausdruckskraft. Die Aufführung war beim Publikum rundum ein Erfolg.
Ganz anders war die ‚Alcina’ Aufführung in Paris. Auch eindrucksvoll und meisterlich, doch mit grösseren Anforderungen an den Zuschauer.
Paris - von Luc Bondy inspiriert?
Dieser, ganz eingestimmt auf pompöse Pracht durch den Eintritt ins fast erdrückend opulente Interieur des Palais Garnier, sieht sich zuerst einmal vor einer leeren Bühne. Der gefeierte kanadische Regisseur Robert Carsen hat mit den Ausstattern Christophe Gayral und Tobias Hoheisel den Minimalismus gewählt. Auf der Bühne ist nichts, das keine direkte Funktion hat. Somit erinnert er, vielleicht bewusst, an die grossartigen in Grautönen gehaltenen Barockproduktionen von Luc Bondy, die von den Fachleuten hoch geschätzt, vom Publikum jedoch, das sich um seinen barocken Augenschmaus betrogen sah, regelmässig ausgepfiffen wurden.
Noch etwas anderes eint ihn mit Bondy: Die ausgezeichnete Sängerführung. Manche steigern sich damit zu veritablen Schauspielern und geben der Oper damit eine zusätzliche Dimension. Regieeinfälle, wie mit kleinen Gesten die Stellung der Figuren untereinander klar gemacht wird, sind meisterlich, wie auch kurze Spielszenen, die zum grossen Schwung beitragen und die doch stark lineare Handlung der Oper zusätzlich bereichern. Obwohl mit dem Libretto vertraut, folgt man doch plötzlich atemlos dem Geschehen auf der Bühne.
Raffiniertes Kammerkätzchen
Sandrine Piau, als raffiniertes Kammerkätzchen ‚Morgana’ in sehr kurzem Röckchen wäre mit ihrer schalkhaften Lebhaftigkeit für jede Feydeau- Aufführung eine Zierde und reisst hier die ganze Truppe mit ihrem Temperament förmlich mit. Piaus klare, technisch gut geführte Stimme überzeugte zusätzlich wie auch die Gesangsleistung von Ruggiero, Alcinas Liebhaber, obwohl Anna Goryachova, an diesem Abend heiser war. Sie überzeugte zusätzlich schauspielerisch mit einem bewusst männlichen Duktus und maskulinen Gesten. Interessant, dass heute die Rollen, die früher Kastraten spielten, von Frauen gesungen werden.
Anklänge an die Callas
Alcina selbst wurde hier von der griechischen Sopranistin Myrto Papatanasiu verkörpert, die als attraktive Femme Fatale, die ihre abgelegten Liebhaber in Tiere verwandelt, sicher eine überzeugende Wahl war, doch stimmlich erst einmal enttäuschte. Vor Jahren war sie als ‚die neue Callas’ angekündigt, hat dieses Versprechen jedoch nicht eingelöst. Auch hier verwirrte sie zunächst, doch sie steigerte sich zunehmend und sang dann die Arien voll Enttäuschung und Liebesschmerz mit solch gefühlsmässiger Intensität, dass wir Gänsehaut bekamen . Sie nutzte dazu die der Callas eigenen rauhen Töne und überzeugte durch grosse Modulation. Sowünschte man sich mehr von dieser Sängerin zu hören.
Die Ensembleleistung der Sänger an der Opera Garnier war nicht so überzeugend wie die der Zürcher Produktion, doch das Orchester unter Christophe Rousset spielte mit solchem Bravour, dass der Schwung nie verloren ging.
Die’ Alcinas’ in Zürich wie die in Paris sind, bei aller Verschiedenheit , beide äusserst gelungene Produktionen. Am Ende schätzte man sich glücklich beide Aufführungen gesehen zu haben.