Zwei wichtige Fakten haben unser Land vor einem Angriff durch Hitler-Deutschland bewahrt: die Tatsache, dass sich England 1940 unter der Führung von Winston Churchill dazu entschloss, den Widerstand fortzusetzen, und die andere Tatsache, dass Hitler sich im nächsten Jahr mit seinem Angriff auf die Sowjetunion auf einen Eroberungsfeldzug einliess, der nicht zu gewinnen war.
Vom Verdienst der Sowjetunion um die Rettung der Schweiz ist in Zeiten des Kalten Krieges selten die Rede gewesen. Was die Schweiz der unbeugsamen Persönlichkeit Churchills verdankte, war jedoch bereits 1945 jedermann klar. Kaum je in der Geschichte unseres Landes ist denn auch ein ausländischer Besucher von der Bevölkerung mit so viel dankbarer Begeisterung empfangen worden, wie dies bei Churchill im Spätsommer 1946 der Fall war.
Chuchills Zürcher Rede
Die beiden Bücher von Werner Vogt und Philipp Gut, die kürzlich zum Churchill-Besuch in der Schweiz erschienen sind, unterscheiden sich in mancher Hinsicht, lohnen aber beide die Lektüre.* Vogt bettet die Episode in die Biografie des Staatsmanns ein und skizziert in grossen Zügen die Etappen eines aussergewöhnlichen Lebens. Der Autor hat sich bereits in seiner Zürcher Dissertation mit dem englischen Staatsmann und mit den ihn betreffenden Kommentaren der „Neuen Zürcher Zeitung“ befasst. Dann war Vogt als Auslandkorrespondent der NZZ in Südafrika tätig, wo Churchill während des Burenkrieges stationiert war und durch seine waghalsige Flucht aus der Gefangenschaft die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit erregte.
Durch seine spätere berufliche Tätigkeit ist Vogt mit England und mit englischer Mentalität bis heute verbunden geblieben, und viele der von ihm konsultierten Quellen befinden sich in englischen Archiven. Als besonderes Entgegenkommen der Engländer mag man empfinden, dass es Vogt erlaubt wurde, sich in Churchills Arbeitssessel im bombensicheren Büro von Whitehall niederzulassen; das Foto ziert die Umschlagklappe des schön gestalteten Bildbandes. Werner Vogts Buch enthält auch, in englischer Sprache und in deutscher Übersetzung, den Text der berühmten Rede, die Churchill am 19. September 1946 in der Aula der Zürcher Universität hielt und die mit den Worten endete: „Therefore I say to you: Let Europe arise!“
Der malende Churchill
Winston Churchill war auch ein begabter Künstler, der sich in seiner Freizeit und in Phasen psychischer Depression gern der Malerei zuwandte. Es war der Winterthurer Künstler und Kunstvermittler Charles Montag – Churchill hatte ihn schon in der Zwischenkriegszeit als Mallehrer beigezogen –, der den Schweiz-Besuch einfädelte. Montag machte auch den Farbenhersteller Willy Sax mit Churchill bekannt, und am 19. September kam es zu einer ersten Begegnung zwischen den beiden sehr verschiedenen Persönlichkeiten. Man unterhielt sich im Grand Hotel Dolder auf Französisch über Malerei und Maltechnik, und Sax schickte dem Kriegspremier ein Sortiment von Farben an dessen Wohnsitz in Chartwell (Kent). In der Folge kam es zwischen Churchill und Sax zu mehreren Begegnungen in Chartwell und während der Malferien des Politikers in Südfrankreich.
Diese Begegnungen stehen im Zentrum des Buches, das Philipp Gut dem Kunstmaler Winston Churchill und seinem Schweizer Freund gewidmet hat. Im Archiv der Familie Sax, die heute in vierter Generation das Geschäft weiterführt, ist der Autor auf das reiche Quellenmaterial an Briefen, Telegrammen und Originalfotografien gestossen, auf das sich seine Darstellung stützt. Es gelingt Gut, ein detailliertes und persönliches Bild der Beziehung zwischen dem erst schüchternen, dann immer keckeren Schweizer und dem weltberühmten Staatsmann zu zeichnen – einer Beziehung, die zuletzt der Freundschaft recht nahe kommt.
Champagner, Schokolade und Handorgel
Man trifft sich zum Essen, spricht dem Champagner und edlen französischen Weinen zu, plaudert in gelöster Atmosphäre über Gott und die Welt. Sax bringt aus der Schweiz allerlei Esswaren mit, die in England noch rationiert sind und vergisst die Schweizer Schokolade nicht, die von Churchills Gattin Clementine besonders geschätzt wird. Zuweilen sind auf den Pilgerfahrten zu Churchill auch Freunde von Sax mit von der Partie, so etwa Cuno Amiet, der Churchill beim Malen berät, aber darauf verzichten muss, den berühmten Mann zu porträtieren. Alle diese Zusammenkünfte mit ihren reizvollen Episoden und amüsanten Zwischenfällen werden von Philipp Gut mit leichter Hand geschildert, und man kann sich gut vorstellen, zur Lektüre einen prickelnden Champagner zu geniessen, am besten von der Marke „Pol Roger“, die Churchill bevorzugte.
Verschiedentlich versuchte Willy Sax Churchill zu einem zweiten Schweizer Besuch zu überreden; doch dazu kam es nicht. Die Beziehung setzte sich jedoch auch nach dem Rückzug Churchills aus der Politik im April 1955 fort. Zu einem letzten Zusammentreffen kam es 1957 in Cap d’Ail in Südfrankreich. Sax nahm seine Handharmonika mit, spielte Churchill ein paar Alpweisen vor und war überglücklich zu hören, wie ihm der berühmte Staatsmann „Bravo, Sax!“ und „Encore une mélodie, Sax!“ zurief. Als Zeichen seiner Verbundenheit, die insgesamt 18 Jahre dauerte, schenkte Churchill, der seine Bilder nur äussert selten aus der Hand gab, dem Farbenfabrikanten eines seiner Gemälde.
Der andere Gut
Philipp Gut ist beruflich als stellvertretender Chefredaktor der „Weltwoche“ tätig. In dieser Eigenschaft ist er damit beschäftigt, soziale Ungerechtigkeiten aufzuspüren, Skandalöses zu entdecken und sittliche Missstände ans Licht zu heben, und er tut dies mit einer Sprache, welche die kritische Zuspitzung nicht scheut und das vernichtende Urteil nicht meidet. In den Büchern jedoch, die Gut in seiner Freizeit schreibt, zieht er andere Register. Hier zeigt er sich als der gelehrige Schüler Thomas Manns, dem er eine Dissertation gewidmet hat, die mit dem Prädikat „summa cum laude“ ausgezeichnet wurde. Er schreibt ein entspanntes, flüssiges und zuweilen auch ironisches Deutsch. Sehr lesenswert ist auch seine Edition des Briefwechsels zwischen Hermann Hesse und dem Bildhauer Hermann Hubacher; auch mit diesem Buch hat Gut einen verborgenen Schatz gehoben. Man möchte Philipp Gut viel Freizeit wünschen, damit er vermehrt in Privatarchiven fündig werden kann.
Werner Vogt: Winston Churchill und die Schweiz. Vom Monte Rosa zum Triumphzug durch Zürich, NZZLibro, Zürich 2015
Philipp Gut: Champagner mit Churchill. Der Zürcher Farbenfabrikant Willy Sax und der malende Premierminister, Stämpfli Verlag, Bern 2015