Im Mai hatte Erwiana Sulistyaningsih in Hongkong eine Stelle als Haushaltshilfe angetreten. Als die 22-Jährige jetzt in ihre Heimat in Sragen in Zentraljava zurückkehrte, konnte sie kaum noch gehen und musste „in kritischem Zustand“ in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Ihr Körper war übersät mit Brand- und Schnittwunden.
Angriff auf die Würde des Lebens
Acht Monate hatte die junge Frau in Hongkong gearbeitet, wofür sie von ihrem Arbeitgeber 100 Hongkong Dollar (zehn Euro) und ein T-Shirt erhielt. Acht Monate war sie den Schlägen und Misshandlungen ihres Arbeitgebers ausgeliefert. Dann gab er ihr ein Flugticket nach Jakarta und wies sie an, mit niemandem zu reden, ehe sie an Bord der Maschine sei.
Der Fall, beileibe kein Einzelfall, brachte in Hongkong Tausende Hausangestellte auf die Strasse. „Wir sind Arbeiterinnen, keine Sklaven“, skandierten sie und trugen Bilder des geschundenen Gesichts und Körpers der 22-Jährigen. Auch Indonesiens Öffentlichkeit ist aufgebracht. „Das betrifft die Würde des Landes“, sagte der Chef der Nationalen Agentur für Arbeit und zum Schutz Indonesischer Arbeiter, Mohammad Jumhur Hidayat, der Fall müsse vor Gericht gebracht werden, der Arbeitgeber und die Arbeitsvermittlungsagentur müssten bestraft werden.
„Die Polizei wird sich mit Interpol in Verbindung setzen und Beamte nach Indonesien schicken, um die Aussagen der Frau aufzunehmen“, versprach Honkongs Arbeitsminister Matthew Cheung. „Wir tolerieren keine Misshandlung und Ausbeutung von Haushaltsangestellten und werden den Fall unbarmherzig verfolgen.“
Grauenhafte Verstümmelungen
Jeden Monat exportiert Indonesien etwa 25 000 junge Frauen nach Hongkong, Malaysia, Saudi-Arabien und in die Emirate am Golf, wo sie als Haushaltshilfen angestellt werden. Und jedes Jahr kommen viele, rund zwanzig Prozent, wie Frauenorganisationen sagen, nach Hause, ohne bezahlt worden zu sein. Dafür wurden sie oft vergewaltigt, geschlagen oder mit Messern, Scheren oder „heissem Eisen“ regelrecht gefoltert. Auch die anderen 80 Prozent klagen über Unregelmässigkeiten. „Laut Vertrag“, so erklärt Vicky Silvani von der „Solidaritas Perempuan“ (Frauensolidarität), „darf der Arbeitgeber den Pass nicht einziehen und muss den Lohn regelmässig auszahlen.“ Doch kaum jemand hält sich daran. Meist kassiert der Arbeitgeber den Pass sofort, womit ihm die junge Frau praktisch ausgeliefert ist.
Besonders berüchtigt sind die saudischen Arbeitgeber. Seitenweise berichten indonesische Frauenorganisationen im Internet über schlimme Misshandlungen, denen junge Frauen in saudischen Haushalten ausgesetzt waren. Zahlreiche Fotos von Frauen mit oft grauenhaften Verstümmelungen an Kopf und Körper durch heisse Eisen, Messer, Ketten oder Säure dokumentieren die Grausamkeit. Vergewaltigte Frauen werden demnach in Saudi Arabien häufig wegen Ehebruchs verurteilt. Zum einen können die Angeklagten den in Arabisch geführten Prozessen meist gar nicht folgen, zum andern hat die Aussage eines Mannes nach saudischem Recht mehr Gewicht als jene einer Frau. Also sind sie vor Gericht chancenlos. Seit Jahren drängen Frauenorganisationen die Regierung in Jakarta, mehr zum Schutz ihrer im Ausland arbeitenden Landsleute zu tun.
Vergewaltige Frauen
In Saudi Arabien „sitzen 25 in Todeszellen“ berichtet Vicky Silvani: „Wir wissen nicht, wie viele Mädchen insgesamt dort im Gefängnis sind.“ Derzeit arbeitet sie vorrangig am „Fall Anni“. Anni war vom Sohn ihres Arbeitgebers vergewaltigt und geschwängert worden. Weil die Botschaft ihre Anrufe nicht beantwortete, liess sie es in ihrer Verzweiflung zu, dass ihr der Täter anal eine Flüssigkeit einflösste, die eine Fehlgeburt auslösen sollte. Danach vergewaltigte er sie ein zweites Mal. „Schliesslich rief sie ihre Familie an, die uns informierte.“
Eine andere junge Frau, die Vicky betreut hatte, war Rosita. Rositas Kollegin „starb, nachdem sie von drei Kerlen vergewaltigt worden war.“ Die Täter hatten ihr den Mund zugehalten, woran sie erstickte. Der Arbeitgeber, „ein Polizeioffizier“, behauptete, Rosita habe ihre Kollegin ermordet. Als sich die indonesische Regierung auf Druck verschiedener Frauenorganisationen um ihre Freilassung bemühte, wurde sie von Riad zunächst abgewiesen: „Das geht euch nichts an.“ Doch „dann wurde sie plötzlich freigelassen, ohne Begründung“, wundert sich Vicky. „Ich nehme an, sie fürchteten Rositas Aussagen.“ Während sie in Saudi-Arabien inhaftiert war, hatte Rositas Mann eine zweite Frau geheiratet. „Als Rosita endlich heimkehrte, schickte ihr Mann seine Zweitfrau nach Saudi-Arabien. Stellen Sie sich das vor“, empört sich Vicky.
Jahrelang hat sich Indonesiens Regierung kaum um die Schicksale und das Leid der Frauen gekümmert. Erst neuerdings gibt sie zögerlich dem Druck der verschiedenen Frauenorganisationen nach. Aber immer noch müssen „wir zum Aussenministerium gehen, wenn uns ein Fall gemeldet wird, und eine Untersuchung fordern. Von alleine unternimmt die Regierung nichts“, klagt Vicky. „Bei drohender Todesstrafe arbeitet die Botschaft inzwischen intensiver“, hat sie beobachtet, „wenn es aber nur um Misshandlung geht, unternimmt sie nichts.“
Ausbeutung in der Familie
Die Indonesier empören sich über die Saudis und die Scheiche in der Golfregion. Doch sie behandeln ihre Hausmädchen kaum besser. Bisher gibt es keine Gesetze, in denen diese Hausarbeit geregelt wird. „Wir drängen auf ein Gesetz zum Schutz der Hausangestellten“, sagt Rinno von der Koalisi Perempuan Indonesia. „Es gibt aber kaum Fortschritte.“
In Indonesien wird die Einstellung einer Haushaltshilfe meist zur Familienangelegenheit, ist Teil der Schattenwirtschaft. Eine indonesische Familie ist traditionsgemäss verpflichtet, die ärmeren Teile der Grossfamilie zu unterstützen. Also stellt der potentielle Arbeitgeber eine Nichte ein, die dann als Hausmädchen rund um die Uhr, ohne Ruhetag oder Urlaub für Nahrung, Kleidung, Unterkunft und einen monatlichen Hungerlohn, der oftmals kaum zehn Euro beträgt, arbeiten muss. - Der gesetzliche Mindestlohn in Fabriken und anderen Unternehmen beträgt 1,8 Millionen Rupiah, rund 150 Euro.
„Wenn eine Hausangestellte 900 000 Rupiah verdient, ist das schon ein gutes Einkommen“, meint Rinno. „Wenn ein Arbeitgeber aber eine Wasch- oder Spülmaschine hat, bezahlt er noch weniger.“ In diesem System, in dem Familienangehörige die Haushaltskraft des Arbeitgebers sind, kann sogar ein Hausmädchen ein Hausmädchen beschäftigen. Manche Haushaltsangestellte hat ein Kind, um das sie sich nicht kümmern kann, weil sie ja rund um die Uhr arbeiten muss. Also stellt sie eine andere junge Frau ein oder ein Mädchen an, das schon in den Teenagerjahren ist, um auf das Kind aufzupassen. „Dafür bekommt die Babysitterin zu essen, zwei, drei Schalen Reis sind der Lohn.“