Von Robert Ruoff
Er wird immer wieder als schwierig geschildert, als Mann der einsamen Entscheidungen, schwierig im Umgang mit Mitarbeitenden. Ich habe Rudolf „Ruedi“ Matter, den neuen Chef vom Schweizer Radio und Fernsehen SRF, anders in Erinnerung - und jüngste Begegnungen haben mir das bestätigt. Er ist sehr kommunikativ, diskussionsfreudig, aber auch ein Mann mit klaren Zielsetzungen, festen Entschlüssen, und mit einem sehr gesunden Selbstbewusstsein. Und er ist, das wird in der Schweiz nicht immer geschätzt, ein Mann des offenen Wortes.
Das scheint sich zu bestätigen, wenn er, wie im Interview mit der „NZZ am Sonntag“ mehr Relevanz bei Sendungen wie ‚10vor10‘, und ‚Arena‘ velangt und die blosse Konfrontation zwischen Links und Rechts – also zwischen der SP und der SVP" nicht mehr als "sachlich gerechtfertigt" ansieht. Statt dessen sollen die „Mitteparteien… in angemessener Weise zur Sprache kommen“. Matter lässt sich damit – ausdrücklich „auch im Hinblick auf das Wahljahr 2011“ – auf eine harte Auseinandersetzung ein. Man darf annehmen, dass er dafür die Rückendeckung des neuen Generaldirektors Roger de Weck geniesst. Beide treten ihre Ämter Anfang 2011 an.
Die Auswahl der Nachrichten
Meine Erinnerung an die Fernseh-Zusammenarbeit mit Matter liegt etwa 25 Jahre zurück. Damals haben wir gemeinsam an einer neuen „Redaktions-Tageschau“ gearbeitet. Peter Achten war mit anderen inspirierend dabei. Heiner Hug hat damals aus Genf die Westschweiz und die internationalen Organisationen und Konferenzen abgedeckt, und Ruedi Matter spielte eine konzeptionell prägende Rolle. Wir waren uns einig, dass eine Nachricht sich nicht selbst erklärt sondern in einen Zusammenhang gestellt werden muss. Wir stimmten auch darin überein, dass eine mehr oder weniger chaotische Abfolge mehr oder weniger relevanter Nachrichten in einer „Tagesschau“ vor allem die Vergesslichkeit des Publikums fördert. Das war durch wissenschaftliche Untersuchungen untermauert. Und wir waren uns darin einig, dass die Auswahl der Nachrichten keiner absoluten Wahrheit folgt, sondern den sehr menschlichen und subjektiven Auswahlkriterien von Journalistinnen und Journalisten.
Deshalb lösten wir die Nachrichtensprecher durch journalistische Moderatoren ab und richteten das Redaktionsstudio ein, das im Hintergrund der „Tagesschau“ das ganze Team zeigt, das die Sendung produzierte. Ob uns die Umsetzung dieser Ideen damals in jeder Hinsicht gelungen ist, darf man mit Fug und Recht in Frage stellen, auch wenn manches heute selbstverständlich geworden ist. Aber Matters Kernaussage galt damals und soll offenbar heute wieder gelten: „Wofür bekommen wir Empfangsgebühren? Wir bringen den Zuschauern relevante politische Themen näher. In einer direkten Demokratie ist das eine besonders wichtige Aufgabe.“ Wenn ich das richtig verstehe, bedeutet das die Abwendung vom Fernsehen als Marketingveranstaltung.
Intellektuelle und gestalterische Anstrengung
„Das Publikum will das“, war in den letzten 20 Jahren eine Standardaussage in den Chefetagen am Leutschenbach, die dominante Ausrichtung an Einschaltquoten und sogenannten Zuschauergewohnheiten. Der Satz „Das Publikum will das“ bedeutet – als generelle Richtlinie - bei Lichte besehen eine Kapitulation vor der grössten Herausforderung an qualifizierte, gebührenfinanzierte Medienarbeit: Komplexe Wirklichkeit auf attraktive Weise nachvollziehbar zu machen, damit das Publikum daraus Nutzen ziehen kann – im Interesse der Einzelnen und im Interesse der demokratischen Gesellschaft. Das verlangt zuerst und vor allem eine intellektuelle und gestalterische Anstrengung der Medienschaffenden. Erst danach ist zu fragen, ob Zuschauerinnen und Zuschauer zu einer solchen Anstrengung ebenfalls bereit sind.
Das Fernsehen als Nachfragemedium führt zur populistischen Banalisierung, Fernsehen als Qualitätsmedium ist ein Angebotsmedium. Wer ein Auslandmagazin abschafft, kann damit rechnen, dass es bald nicht mehr nachgefragt wird. Wer behauptet, „Bildung funktioniert am Fernsehen nicht“ und sie auf Randzeiten und in Spartenkanäle verschiebt, kann sich darauf verlassen, dass das Publikum solcher Sendungen zur marginalen Randerscheinung wird. Und wer Kultursendungen zu nachtschlafener Zeit ausstrahlt, darf sich nicht wundern, wenn auch die attraktivsten Moderatorinnen die grösste Anziehungskraft verlieren.
Das ganze politische Spektrum
Wahr bleibt allerdings, dass solche qualifizierten Angebote da und dort auch einen Verlust an Marktanteilen mit sich bringen. (Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich bin für quotenträchtigen guten Sport am TV, für einen gut gemachten Krimi und manchmal sogar für einen sentimentalen Streifen durchaus empfänglich.) Und die politischen Verfechter der Privatisierung von der SVP bis hinein in die „Mitte“-Parteien werden mit Marktanteils-Verlusten gerne gegen den Service Public argumentieren. Die Populisten mit der SVP an der Spitze haben ja von der Schlagabtausch-Arena kräftig profitiert.
Und da treibt mich nun doch noch eine kleine Sorge um. „Auch im Hinblick auf das Wahljahr 2011 müssen die Mitteparteien in der ‚Arena‘ auf angemessene Weise zur Sprache kommen“, sagt Ruedi Matter. Das kann man richtig verstehen. Oder politisch. Nach dem sich, wie ich meine, Christoph Blocher und Filippo „Macho“ Leutenegger über die Jahre gegenseitig nach oben gehievt haben, kann ja nun nicht in einer „neuen Arena“ ein politischer Ausgleich zugunsten der schwarz-gelben CVP-FDP-Allianz stattfinden. Auch die politischen Lösungsvorschläge aus diesem Gefüge werden journalistisch daraufhin geprüft werden müssen, ob sie die Gesellschaft in allen Teilen weiter bringen oder vor allem einer Lobby oder sogar persönlichen politischen Interessen dienen.
Ich gehe davon aus, dass der neue Regionaldirektor Rudolf Matter das Kriterium der „Relevanz“ auf das gesamte politische Spektrum anwenden wird. Im Sinne einer konsequenten Pflege der Qualität am Fernsehen. Und weiterhin am Radio. – Wir bleiben dran.