Geiselnahmen erfolgten mal direkt, aber manchmal auch indirekt durch den wichtigsten Verbündeten, die libanesische Hizbollah. Auch die Deutschen und die deutsche Diplomatie haben das erfahren.
„Dann sollten wir eben deutsche Diplomaten festnehmen“: Mit diesem Satz sollte man sich näher beschäftigen. Man sollte ihn ernst nehmen, obwohl eine Festnahme deutscher Diplomaten nicht bevorsteht. Doch diese Forderung nach einer Geiselnahme ist aktuell – und erhellend zugleich.
Ein Insider plaudert
Das „Wir“, das die Festnahme der Diplomaten vorschlägt, sind die Mitglieder des Ausschusses für nationale Sicherheit im iranischen Parlament. Und es ist der Vizepräsident dieses Ausschusses, Abolfazl Hassan Beigi, der die Öffentlichkeit am 8. November 2018 in sachlichem Ton in einem Interview darüber informierte, wie die Diskussion um die Festsetzung deutscher Diplomaten in seinem Ausschuss verlaufen ist. Der 60-jährige Kriegsveteran sitzt seit elf Jahren im iranischen Parlament, nicht nur im Sicherheitsausschuss, sondern auch in anderen Gremien, die hauptsächlich mit Armee, Geheimdienst und Aussenpolitik zu tun haben.
An diesem Tag will er mit seinem Interview und seiner Geheimnisausplauderei eigentlich seine Enttäuschung und seinen Ärger über Aussenminister Javad Zarif öffentlich machen. Dafür hat er einen symbolischen Tag gewählt.
Eine Autobahn in Deutschland
Denn an diesem 8. November sind genau 120 Tage seit der Festnahme eines iranischen Diplomaten an einer Raststätte der Autobahn 3 zwischen Würzburg und Frankfurt vergangen. Der Diplomat befindet sich noch immer in Haft, die iranische Diplomatie zeigt sich machtlos.
Der Festgenommene,der aufgrund eines europäischen Haftbefehls der belgischen Behörden verhaftet wurde, heisst Assadollah Assadi und soll Kommandeur und Chefplaner eines vereitelten Attentats auf eine Veranstaltung von Exiliranern in Paris gewesen sein. Er soll dafür einem in Belgien festgenommenen Paar Sprengstoff besorgt und es beauftragt haben, eine Bombe auf der Versammlung der iranischen Regimekritiker Ende Juni 2018 zu zünden.Der deutsche Generalbundesanwalt wirft dem 48-Jährigen ausserdem Agententätigkeit und Verabredung zum Mord vor. Assadi, der in der iranischen Botschaft in Wien offenbar für den Geheimdienst tätig war, hätte sich hauptsächlich mit intensiver Beobachtung und Bekämpfung von Exil-Oppositionellen beschäftigt, so jedenfalls die deutsche Staatsanwaltschaft. Die Immunität des Diplomaten ist längst aufgehoben, die deutschen Behörden haben ihn inzwischen als „normalen“ Verdächtigen der belgischen Justiz überstellt.
Parlamentsdebatte für und wider Geiselnahme
Doch für die Islamische Republik war und ist Assadi ein unschuldiger Diplomat und Opfer einer internationalen Verschwörung. Seit seiner Verhaftung tagte der Parlamentsausschuss für nationale Sicherheit mehrmals hinter verschlossenen Türen. Aussenminister Zarif musste wiederholt dort erscheinen und berichten, was er für die Freilassung des Diplomaten unternommen hat. In der letzten Sitzung habe Zarif vor dem Ausschuss erklärt, deutsche Gerichte seien unabhängig, die deutsche Regierung könne ihre Urteile nicht beeinflussen, deshalb müsse man abwarten, berichtet Hassan Beigi. Diese Erklärung des Aussenministers überzeugte offenbar nicht alle, weshalb die Ausschussmitglieder ernsthaft über eine mögliche Festsetzung deutscher Diplomaten in Teheran diskutierten. Viele hätten angeregt, man solle als Vergeltung deutsche Diplomaten verhaften oder ausweisen, berichtete Hassan Beigi in seinem Interview.
Nur die Spitze entscheidet
Bemerkenswert ist aber Zarifs Antwort auf diesen Vorschlag. Der Aussenminister, so Hassan Beigi, habe erwidert: Ob ein deutscher Diplomat in Teheran festgesetzt werde oder nicht, obliege weder ihm noch irgendeinem Parlamentsausschuss. In solchen Angelegenheiten entscheide immer und ausschliesslich der Rat für nationale Sicherheit.
So weit die Arbeitsteilung und so weit die jeweiligen Verantwortlichkeiten in der Islamischen Republik – hier hat Zarif vollkommen recht.
Ob ein ausländischer Diplomat im heutigen Iran verhaftet, ausgewiesen oder nach einer Geiselnahme freigelassen wird: Darüber entscheidet die Spitze der Macht. Und alle andere Staatsorgane, ob Parlament, Justiz oder Aussenministerium, haben sich dieser Entscheidung zu fügen.
Geiselnahme als Geburtsmal
Dieser Grundsatz ist 40 Jahre alt und gilt quasi als Geburtsmal der Islamischen Republik. Nur drei Monate vor ihrem ersten Geburtstag inszenierte sie eine Geiselnahme, die beispiellos war und bis heute die Gegenwart bestimmt. Gemeint ist die Geiselnahme von 52 US-Diplomaten, die 444 Tage in Teheran festgehalten wurden. Sie begann am 4. November 1979, und schon an diesem Tag bezeichnet Revolutionsführer Ruhollah Khomeini sie als die „zweite Revolution“, die das Land für immer verändern werde. Und er hatte recht. Der Iran hat sich durch diese Geiselnahme nachdrücklich verändert. Und damit war auch jedem, der es wissen wollte, klar: Über den Beginn, den Verlauf und das Ende dieser Geiselnahme bestimmt niemand ausser der mächtigste Mann an der Spitze des Staates.
Bis Reagan gewinnt
Und er entschied, dass die Diplomaten so lange in Geiselhaft bleiben sollten, bis die damaligen US-Präsidentschaftswahlen beendet seien. Mit anderen Worten: Die Geiselnahme sollte Verlauf und Ergebnis der US-Wahlen beeinflussen, ja bestimmen. Und es kam genauso, wie Khomeini es wollte. Präsident Jimmy Carter verlor die Wahl, Ronald Reagan gewann sie – und die US-Geiseln kamen genau an dem Tag frei, an dem Reagan seinen Amtseid leistete. Symbolischer geht es nicht.
Steve Bannon und die Geiselnahme in Teheran
Diese Geiselgeschichte prägt die vierzigjährige Geschichte der iranisch-amerikanischen Nichtbeziehung – heute mehr denn je.
Die Geiselnahme der US-Diplomaten habe seine Einstellung für immer geprägt, sagt etwa Steve Bannon, Trumps einstiger Wahlkampfleiter und Sicherheitsberater. Im März 1980, auf dem Höhepunkt der Geiselaffäre, war Bannon im Persischen Golf Navigator des US-Flugzeugträgers USS Nimitz. Von Bord dieses Kriegsschiffs sollten mehrere Hubschrauber zur US-Botschaft nach Teheran fliegen und die Geiseln befreien. Doch nur wenige Tage vor dem Start der Befreiungsmission wurde Bannons Zerstörer plötzlich und unerwartet abkommandiert.
Der Fehlschlag dieser Mission sei für ihn ein entscheidendes Erlebnis gewesen, deshalb verachte er Jimmy Carter, den er für das Abblasen der Operation verantwortlich machte, und habe begonnen, Ronald Reagan zu bewundern. So sei er schliesslich zu dem geworden, der er heute sei, wiederholt Bannon jedesmal, wenn er über seine Biographie und seine politische Vergangenheit spricht.
Was aus ihm geworden ist, ist hinlänglich bekannt. Bannon ist heute dabei, eine Art „Internationale der Populisten“ zu gründen.
Geiselnahme als Element der Diplomatie
Auch die Islamische Republik machte mit dieser Geiselnahme eine besondere Erfahrung: Kidnapping kann ein wirksames Element der Diplomatie sein. Deshalb liess der Gottesstaat in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts etliche westliche Geiseln mithilfe der Hizbollah gefangen nehmen, trat dann später selber als „Vermittler“ an und presste im Austausch Terroristen frei oder ergatterte Konzessionen.
Deutschland traf es mit der Entführung des Hoechst-Managers Rudolf Cordes und des Siemens-Technikers Alfred Schmidt 1987 in Beirut besonders hart. Die Hizbollah wollte mit dieser Geiselnahme den in Deutschland inhaftierten libanesischen Terroristen Mohammed Ali Hamadi freipressen.
Hamadi war Mitglied eines Kommandos, das 1985 den TWA-Flug 847 entführt hatte und zwei Wochen lang die Weltöffentlichkeit in Atem hielt. Die Crew und die Passagiere dieser Maschine erlebten zunächst einen dreitägigen Irrflug durch verschiedene Staaten, sie sahen zu, wie ein amerikanischer Passagier an Bord erschossen wurde, und viele von ihnen wurden nach dem Ende des Irrflugs zwei Wochen lang von der Hizbollah in Beirut festgehalten.
Das Entführungskommando leitete Imad Mughnieh, der bis heute wie ein Held verehrt wird, viele halten ihn für den „Mastermind des schiitischen Terrorismus“. Das FBI führte ihn auf der Liste der 22 meistgesuchten Terroristen, US-Behörden hatten auf seinen Kopf 25 Millionen Dollar gesetzt. Die libanesische Hizbollah prahlte einmal, niemand habe nach dem Zweiten Weltkrieg bei Terroranschlägen mehr Juden getötet als Imad Mughnieh.
Mughnieh hatte eine sehr enge, manche sagen emotionale Beziehung zu Qassem Soleymani, dem Kommandeur der Quds-Brigaden der iranischen Revolutionsgarden. Beide befanden sich am 12. Februar 2008 in Damaskus, als der CIA und Mossad-Agenten Mughnieh töteten. „Wir durften Soleymani nicht eliminieren“, berichtete später einer der Agenten der Washington Post.
Einen Tag nach diesem Anschlag adoptierte Qassem Soleymani Mughniehs Sohn Jihad. Auch dieser wurde sieben Jahre später in Syrien durch einen Angriff der Israelis getötet.
Während Mughnieh bei der Entführung der TWA-Maschine das Kommando führte, fungierte Hamadi eher als Befehlsempfänger und Gehilfe. Zwei Jahre nach dieser Entführung wurde Hamadi auf dem Frankfurter Flughafen verhaftet, als er versuchte, flüssige Sprengstoffe zu schmuggeln. Vier Tag nach seiner Festnahme begann in
Beirut die Geiselnahme der Deutschen Rudolf Cordes und Alfred Schmidt.
Planer und Vermittler zugleich
Der Prozess gegen Hamadi, der aus Sicherheitsgründen in einem Frankfurter Gefängnis stattfand, war ein nationales Ereignis, an dem Dutzende Journalisten aus allen Ländern teilnahmen*. Bei dieser Gerichtsverhandlung gab Hamadi mehrmals zu verstehen, dass die Entscheidung zu der Flugzeugentführung nicht in Beirut, sondern in Teheran gefallen sei. Er wurde schliesslich zu 19 Jahren Haft verurteilt und 2005 vorzeitig aus der Haft entlassen und in den Libanon abgeschoben. Er sei nicht mehr gefährlich, urteilten die zuständigen Behörden. Kam auch diese Entlassung durch eine Geiselnahme zustande, vermittelte der Iran dabei einen Handel, mit dem man die Freilassung der deutschen Geisel Susanne Osthoff im Irak erreichen wollte? Spekulationen und Vermutungen wollten damals nicht enden, zumal israelische Zeitungen schon 2004 über Hamadis bevorstehende Freilassung berichtet hatten.
Kehrt die Geschichte zurück?
Sollen Geiselnahmen wieder ein Element der iranischen Aussenpolitik werden? Wohl kaum. Warum aber streiten Parlamentsabgeordnete und Aussenminister über Für und Wider einer Festsetzung deutscher Diplomaten?
Jener harte Kern der iranischen Macht, der immer seine eigene Aussenpolitik betrieb und das Aussenministerium stets links liegen liess, scheint in den vergangenen Monaten wieder aktiv geworden zu sein. Das vereitelte Attentat in Paris, zwei Morde in den Niederlanden, ein gescheiterter Mordplan in Dänemark – sind das Aktionen, die an Zarifs Aussenministerium vorbei von den Hardlinern geplant und durchgeführt wurden?
Wie dem auch sei: Die ominösen Debatten im Parlamentsausschuss, ob man deutsche Diplomaten festsetzen solle oder nicht, sind nur Nachwehen dieser Aktionen.
*Ali Sadrzadeh berichtete ein Jahr lang als ARD-Hörfunkreporter über den Hamadi-Prozess.
© Iran Journal
Mit freundlicher Genehmigung vom Iran Journal