Dabei hat er Kunstschätze aus Indien an Land gezogen, unzählige Passagiere bewirtet und beherbergt - Tänzerinnen, Musiker, Poeten und Akademiker. Er hat die kostbaren Frachten gesichtet und geordnet, und sie dann im Rietberg-Museum den Besuchern offeriert. Es war zuerst ein heimisches Publikum, doch im Laufe der Jahre liess sich ein immer internationaleres in die reich ausgelegten Netze locken.
E.F. ist selber auch oft genug in See gestochen und hat, wie es sich für einen studierten Ethnologen gehört, ‚Feldaufenthalte‘ gemacht – in Afrika zuerst, dann aber immer häufiger und regelmässig im Indischen Subkontinent. Er tat (und tut) dies häufig in Begleitung seiner Frau Barbara, ohne deren vielfältige Unterstützung die Hafenstadt an Limmat und Ozean kaum je so viel kulturelle Fracht hätte löschen können.
Intime Distanz
Ich habe E.F. im Delhi der siebziger Jahren kennengelernt, bei ‚Aunty Prem‘, einer liebevollen, weisshaarigen Dame mit freundschaftlichen Verbindungen zur Familie meiner Frau. Sie war E.F.s Gastwirtin gewesen, als er für den ‚Deutschen Akademischen Auslandsdienst‘(DAAD) in Delhi lebte. Sie bewohnte ein kleines Haus an der ‚Amrita Shergill Marg‘, Delhis schönster Strasse, damals wie heute. Eberhard war damals noch Student. So zumindest hat er sich in meiner Erinnerung festgesetzt, bis ich kürzlich sein Curriculum in den Händen hielt. Erschrocken und belustigt stellte ich fest, dass er damals wohl schon Direktor des Rietberg-Museums war.
Dies hat natürlich in erster Linie damit zu tun, dass E.F. schon in jungen Jahren zu akademischen Ehren und Titeln kam und mit einunddreissig das Rietberg-Museum übernahm. Aber da war noch etwas Anderes, etwas Jungenhaftes, das sich Eberhard bis heute bewahrt hat, und das wohl diese studentische Assoziation hervorruft. E.F. trägt seine Titel und Ehren mit leichten Schultern – ohne sie auf die leichte Schulter zu nehmen notabene, aber auch ohne die schiere Lust am Neuen von der Last des akkumulierten Wissens erdrücken zu lassen.
Auch seinen studentischen Kleiderhabitus scheint er nie abgelegt zu haben. Als prominenter Bewohner einer durch und durch bürgerlichen Stadt respektiert er natürlich dessen Kleider-Kodex. Doch ein Couturier würde mit ihm wohl nie reich werden, spiegelt die ordentliche Nachlässigkeit seiner Kleider doch die ‚intime Distanz‘ des Ethnologen, der sich diesen Benimmregeln geduldig unterzieht, ohne von ihnen vereinnahmt zu werden.
Der Doktorhut als Narrenkappe
Aber es war immer augenscheinlich, dass er sich im ‚Feld‘ wohler fühlte als auf dem glatten Parkett, so charmant er, als Direktor einer finanziell eng geschnürten städtischen Institution, die Damen der Zürcher Gesellschaft in seine Kreise zu ziehen wusste. Das ‚Feld‘ konnte buchstäblich eines sein, das Tessiner Dorf oder vielleicht der Walliser Weinberg, und seine weit ausladenden Schritte – er ist immer in Eile – haben dabei etwas Bäuerisch-Bodenständiges, ebenso wie sein Schwäbisch, das er in den drei Varianten Hochdeutsch, Züritütsch und Englisch spricht. Aber es war vorallem das weite Feld Indiens, das ihm behagte. Es behagte ihm ob dessen historischer Tiefe und der schieren räumlichen und kulturellen Weite eines Landes, das nicht umsonst ein ‚Subkontinent‘ genannt wird.
Der Doktorhut des Ethnologen war ihm mehr als akademischer Ausweis, er war auch Narrenkappe und Zauberhut. Statt ihn festzulegen auf eine Fachdisziplin, nahm er ihn als Freibrief zum Erkunden einer Vielfalt von Formen der ästhetischen Verarbeitung: Textilien und Terracotta-Figuren, Haushaltsutensilien und Tempeltücher, illustrierte Palmblätter und Tanzmasken, Miniaturen und Skulpturen, Pigmente und Spielkarten. Sie wurden in seinen Händen zu ästhetischen und wissenschaftlichen ‚objets de desir‘, dem er in 23 Büchern und zahllosen Essays freien Lauf liess. Es war dies immer eine dialogische Form des wissenschaftlichen Arbeitens, augenfällig in der Zahl gemeinsamer Publikationen, verfasst in Zusammenarbeit mit Kollegen – die meist auch Freunde wurden. Und wo ist der dialogische Austausch besser aufgehoben als in den kleinen Vereinen, die Fischer schuf, präsidierte, animierte: die Alice-Boner-Stiftung, die Rietberg-Gesellschaft, der Schweizerisch-Indische Verein.
Disziplin und Leidenschaft
Derselbe kommunikativer Gestus liegt ja auch dem Prinzip der Ausstellung zugrunde: das Teilen und Mitteilen von kulturellen Prozessen und Produkten, von künstlerischen Hochleistungen und handwerklichen Praktiken. 25 grosse Ausstellungen hat Eberhard Fischer in seinen langen Rietberg-Jahren ausgerichtet. Allen lag eine ästhetische Triebfeder zugrunde. Aber genauso wie der ‚Tanzende Shiva‘ einer strengen Formsprache gehorcht und dennoch spielerisch leicht daherkommt, sprachen auch Fischers Ausstellungen alle Sinne an, sei es in der Thematik (‚Krishna: The Divine Lover‘), oder im Begleitprogramm einer Ausstellung. Es gab Kinderprogramme zum Malen und Zeichnen, es gab Musik und Tanz, und den Augenschmaus indischer Miniaturen konnte man anschliessend oft mit Kulinarischem auf der Zunge zergehen lassen.
Vielleicht war es dieses Ineinander von Disziplin und Leidenschaft, von Sinnlichem und Spirituellem, das ihn beim Thema Miniaturen so in den Bann zog. Sie waren die Höhepunkte einer reichen Ausstellungs- und Katalogarbeit, zuletzt in der weltweit gepriesenen Miniaturen-Schau des vergangenen Sommers. Eberhard konnte zu lustvoller Gesprächigkeit auflaufen, wenn er in der strengen Formensprache einer Miniatur die leisen Töne des Künstlers hör- und sichtbar machte. Und es war wohl diese Epiphanie der künstlerischen Individualität hinter den ausdruckslosen höfischen Gesichtern, die ihn in den letzten Jahren immer häufiger ins Hügelgebiet des Himalayas zog.
Ein gemeinsamer Freund
Dort hatten es die ‚Pahari-Meister‘ gewagt, neben dem adligen Arbeitgeber und seinem Hofstaat auch sich verstohlen ins Bild zu setzen. Allen voran war dies der Maler Nainsukh, dem E.F. letztes Jahr einen stillen und doch seltsam aufregenden Film widmete.
Vor einigen Wochen fuhr ich mit der Fähre von Bombay in mein Dorf auf der anderen Seite der Hafeneinfahrt zurück. Der Bootsverkehr hatte nach dem Monsun soeben den Betrieb wieder aufgenommen, und das Deck war fast leer. So kam ich mit einer Frau ins Gespräch. Als sie meine Schweizer Herkunft erfuhr, kam sie sogleich auf die Miniaturen-Ausstellung in Zürich zu sprechen. „We know Eberhard Fischer, he’s an old friend“, fügte sie hinzu. Das kann einem nur in Indien passieren, dachte ich: Dass man mitten in einem Bevölkerungsmeer von 1.2 Milliarden Menschen jemanden trifft, mit dem man einen Freund gemeinsam hat. Aber vielleicht, sinnierte ich weiter, erlebt man so etwas nur, wenn dieser Freund Eberhard Fischer heisst – ein Mann, der seine Beziehung mit Indien ernstgenommen hat: Indem er sich dessen Bewohner zu Freunden machte.
Eberhard Fischer wurde am 15. Oktober Siebzig.