Reza Zarrab ist ein 34-jähriger Goldhandels-Fachmann. Er besitzt die iranische, aserbaidschanische und türkische Nationalität, wurde 2016 in Miami vom FBI (Federal Bureau of Investigation) festgenommen und sitzt seither im Gefängnis unter der Anklage von Vergehen gegen die Gesetze über den Boykott Irans, Bestechung, Geldwäsche und zahlreiche andere Gesetzesübertretungen ähnlicher Natur.
Undurchsichtige Geschäfte
Seit Jahren war bekannt, dass Zarrab im Mittelpunkt von Operationen zur Umgehung des Boykotts der iranischen Banken durch die Uno und im besonderen durch die USA stand; dies zur Zeit vor dem Atomvertrag mit Iran zwischen 2010 und 2015. Mit Goldhandel im Umfang hunderter von Millionen Dollars – teilweise in Dubai, aber offenbar auch in der Türkei getätigt – wurden die durch den Bankenboykott verunmöglichten Dollarüberweisungen ersetzt.
Zu den acht Mitangeklagten gehört der ebenfalls in den USA gefangene ehemalige Stellvertretende Chef der türkischen Halk Bank, deren Aktienmehrheit dem türkischen Staat gehört. Fünf weitere türkische Banken sollen ebenfalls in den Prozess verwickelt sein, der in New York stattfindet.
Neuerdings ist unklar, ob der Fall Zarrab noch zu dem gleichen Prozess gehört oder ob sein Dossier von denen seiner Mitangeklagten getrennt wurde. Beim letzten Prozesstermin befand sich sein Name nicht mehr unter jenen der übrigen Angeklagten. Dies hat Vermutungen ausgelöst, dass Zarrab neuerdings mit der staatlichen Anklage als Belastungszeuge zusammenarbeitet, um eine Strafreduktion zu erhalten, wie das in Amerika häufig vorkommt.
Angebliche Verschwörung gegen die Türkei
In der Türkei wird jedenfalls angenommen, dass dies der Fall sei. Es wird mit schwerstem Propagandageschütz auf den Prozess geschossen. Präsident Erdogan sprach öffentlich davon, dass der Prozess einem Versuch gleichkomme, die türkische Regierung zu Fall zubringen. Der Stellvertretende Ministerpräsident Bakir Bozdag erklärte auf einer Pressekonferenz, die „amerikanische Verschwörung“ gehe darauf aus, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Türkei, Iran und Russland zu schädigen. Er sagte auch, die amerikanische Regierung übe Druck auf die Angeklagten einschliesslich Zarrabs aus, um Anklagen gegen die Türkei zu erheben.
Die Regierungszeitungen ergehen sich in wildesten Spekulationen über eine Verschwörung gegen die Türkei, in der die USA die Fäden ziehe. Ein türkischer Staatsanwalt hat eine Untersuchung gegen die beiden amerikanischen Staatsanwälte begonnen, welche die Anklage im Fall Zarrab leiten. Im Visier sind der ursprünglich ermittelnde Preet Bhara und der gegenwärtig zuständige Joon H. Kim. Der türkische Staatsanwalt verlangt Aufklärung über die Methoden, mit denen das FBI Beweismittel gegen Zarrab und die Mitangeschuldigten gesammelt habe. Es geht um Dokumente, die in der Türkei als „gefälscht“ dargestellt werden, Tonaufzeichnungen von Telefongesprächen und ähnliches. Aus einer der Tonaufnahmen soll hervorgehen, dass Erdogan persönlich über die Geldaffäre Bescheid wusste.
Die Türkei hat auch eine offizielle Anfrage an die USA gerichtet, um Auskunft über das Verbleiben und den Gesundheitszustand Zarrabs zu erhalten. Die Antwort war, er befinde sich wohl und in Sicherheit. Ohne weitere Angaben. Zu den Spekulationen in der türkischen Presse gehört die Annahme, dass Zarrab nach den USA geflohen sei, um Mordanschlägen zu entgehen, die von Teheran aus gegen ihn organisiert würden und gegen die er sich in der Türkei nicht sicher gefühlt habe. Einer seiner früheren Mitarbeiter wurde in Teheran zum Tode verurteilt, vermutlich weil sich die Iraner durch ihn hintergangen glaubten. Die türkische Zeitung „Yeni Safak“ ging so weit zu behaupten, die Verschwörung gegen die Türkei bewirke, dass die Nato einen Krieg gegen ihren Mitgliedstaaat Türkei vorbereite.
Aufgewärmte Anklagen gegen die AKP
Die Reaktionen des türkischen Staates und der Propagandapresse der AKP sind dermassen heftig, weil der Prozess gegen Zarrab die ohnehin stark belasteten Verhältnisse zwischen der türkischen Regierung und den USA an empfindlichen Stellen berührt. Zarrabs Name figurierte in den Anklagen gegen die AKP-Regierung durch die damaligen türkischen Polizeibehörden und Staatsanwälte vom Dezember 2013, die an die Presse weitergegeben wurden. Vier AKP-Minister mussten zurücktreten, und die Familie Erdogans, allerdings nicht Erdogan persönlich, galt als mitbetroffen.
Diese Affäre löste die Fehde zwischen der Gülen-Bewegung und der AKP-Regierung aus, nachdem die beiden zuvor ein Jahrzehnt lang zusammengearbeitet hatten. Ihre Allianz hatte sich unter anderem gegen die Macht der türkischen Armee gerichtet, und die Gülen-Bewegung spielte eine führende Rolle in den Grossprozessen gegen hohe Armeeoffiziere, die in den Jahren des Aufstiegs der AKP von 2008 bis 2013 über die Bühne gingen.
Verbindungen mit der Gülen-Fehde
Erdogan setzte sich 2013 gegen die Anschuldigungen zur Wehr, indem er begann, gegen einen „Staat im Staate“ zu polemisieren und anfing, Polizei-Inspektoren, Anwälte, Richter und Staatsanwälte zu entfernen, die als Mitglieder oder Sympathisanten der Gülen-Bewegung galten. Die Anklagen wurden alle niedergeschlagen und kamen nicht mehr zur Sprache. Die Fehde zwischen dem Staat und der Gülen-Bewegung führte drei Jahre später zum versuchten Staatsstreich vom 15. Juli 2016. Erdogan und seine Partei führen den Coup auf die Gülen-Bewegung zurück. Die anschliessenden Verfolgungen aller Gegner Erdogans dauern bis heute an.
Die Beziehungen zwischen Ankara und Washington sind denn auch durch das Auslieferungsbegehren der Türkei in Bezug auf Gülen belastet, dem die USA bisher nicht stattgaben. Reibungen erzeugt auch die Zusammenarbeit der amerikanischen Militärs mit den syrischen Kurden gegen den IS, weil die Türkei die syrischen Kurden als Gefolgsleute ihrer bitteren kurdischen Feinde, der „terroristischen“ PKK einstuft.
Vorsorgliche Polemik gegen die USA
Die Regierungspropaganda über die „Verschwörung der USA gegen die Türkei“ ist als Präventivmassnahme zu sehen. Im Fall dass der ganze totgeschwiegene Skandal von 2013 nun wieder aufbricht, weil Zarrab in den USA darüber Zeugnis ablegt, wird die offizielle und offiziöse Presse in der Türkei alle Anschuldigungen abstreiten, indem sie auf diese angebliche Verschwörung hinweist.
In Finanzkreisen in Istanbul rechnet man bereits jetzt mit einer schweren Busse für die türkischen Banken von vielleicht fünf Milliarden Dollars, wie es heisst. Es herrscht die Ansicht vor, dass dies die türkische Wirtschaft zwar schädigen, aber nicht ruinieren werde.
Zusammenhang mit der Affaire Flynn?
In Amerika ist die Aufmerksamkeit in der Zarrab-Affaire nicht so sehr auf die Türkei und die angeblichen dortigen Korruptionsfälle gerichtet als vielmehr auf den amerikanischen Aspekt. Dieser ist dadurch gegeben, dass dem früheren General Michael Flynn, Mitarbeiter in der Wahlkampagne und kurzfristig Sicherheitsberater Präsident Trumps, nicht nur Zusammenarbeit mit Russland vorgeworfen wird, sondern auch Verbindungen zur Türkei. Es heisst, er habe eine Zusage von 15 Millionen Dollar aus der Türkei erhalten für den Fall, dass es ihm gelinge, Gülen aus Amerika nach der Türkei zu schleusen. In den Staaten geht die Vermutung um, dass Zarrab auch in dieser Sache mit dem Sonderbeauftragten der Untersuchung gegen Flynn, Robert Mueller, möglicherweise zusammenarbeite.