Der 1953 in Chur geborene Foto-Künstler Hans Danuser ist am 26. August 2024 unvermittelt in Zürich verstorben. Seit den frühen 1980er-Jahren hat er ein immenses, in Werkgruppen gegliedertes Werk hervorgebracht, das nicht nur einzigartig und international bekannt ist, sondern sich über formalästhetische und ikonografische Aspekte hinaus interdisziplinär mit der Wissenschaft, Forschung, Architektur und Literatur auseinandersetzte.
Hans Danuser gehörte zu jenen Schweizer Künstlern und Künstlerinnen, die mit ihrem fotografischen Schaffen ihren Kunstanspruch einforderten. Als Pioniere, die keine Trennlinie zwischen Malerei, Skulptur und Fotografie zogen, sorgten sie mit Museumsausstellungen für Furore und ihre Arbeiten wurden erstmal nur vereinzelt und zögerlich für die Sammlungen erworben. Danuser hat retrospektiv die damalige «Neuerfindung der Fotografie» (Berlin/Boston 2014) aufgrund von Gesprächen mit dem Architekten Peter Zumthor, dem Schriftsteller Reto Hänny und den Kunsthistorikern Bettina Gockel und Philipp Ursprung ergründet und analysiert.
Den Auftakt zur fulminanten Karriere von Hans Danuser machte eine kleine Ausstellung im Bündner Kunstmuseum in Chur im Jahr 1985; die drei gezeigten Fotoserien waren Teil der Werkgruppe IN VIVO mit insgesamt sieben Bildserien, die 1989 abgeschlossen wurde und den Künstler schlagartig bekannt machte. Der während Jahrzehnten intensiv erarbeitete Werkkomplex mit unterschiedlich umfangreichen Werkserien und Projekten wie «Partituren und Bilder», «Frozen Embryo Series» (1996), «Strangled Bodies» (1995, 2001), «Frost» (2001) und «Erosion I–VII» (2000–2006) wurde schliesslich mit der Retrospektive «Dunkelkammern der Fotografie» 2017 im Bündner Kunstmuseum Chur umfassend vermittelt.
Hans Danuser hielt sich fast stets an das Medium der analogen Schwarzweiss-Fotografie. Im Ausloten der äussersten Grenzbereiche und im Sichtbarmachen der schillerndsten Grauwerte trieb er dieses Ermessen mit einer derartigen Virtuosität bezüglich der Interaktion von Fläche und Räumlichkeit, von Transparenz und Opazität, von Nähe und Ferne voran, dass er mit Recht als einer der weltweit bedeutendsten Meister seines Fachs gilt. Über das Anschauliche hinaus handelt es sich bei Danuser stets um eigentliche Recherche- und Forschungsarbeiten, die sich bedrohlichen, verdrängten und tabuisierten Wirklichkeiten der modernen, hochtechnisierten und anonymen Welt annehmen. Und er agierte immer aus kritischer Distanz, aber mit der notwendigen konzeptuellen Schärfe und Beharrlichkeit im Aufspüren relevanter Bilder mit frappanten, so noch nie gesehenen bildnerischen Resultaten – wenn er etwa sein fotografisches Interesse an der pränatalen Existenz und auf die unmittelbare Zeit nach dem Tode, post mortem, richtet.
Zeitgenossenschaft und Tradition
In Bezug auf das Landschaftliche, das er in extremer Nahsichtigkeit und deshalb als etwas Unvertrautes zeigt, fordert die Natur den Künstler vor allem dort heraus, wo ein Zustand durch den Prozess der Erosion in einen anderen übergeht wie beim Schiefergestein oder wenn fliessendes Wasser durch den Frost in erstarrtes Eis mutiert. Eine besondere Qualität von Hans Danusers Arbeit ist, dass er die vordergründige, mimetische Greifbarkeit, das Abbildhafte, auf eine metaphorische, sinnbildliche Ebene zu verschieben weiss – und damit mit seiner Arbeit gesellschaftliche Relevanz erlangt, indem soziale und kollektive Prozesse und Phänomene mitgemeint sind. Bei den auf dem Boden von Ausstellungshallen ausgelegten Bildtableaus verlieren wir bei ausgiebiger Betrachtung den Massstab für die Proportionen derart, dass das Mikrokosmische zum Megalomanen mutiert. Danusers Fotografien thematisieren Existentielles, spüren seismographisch nach kollektiven Veränderungen und knüpfen bei aller Zeitgenossenschaft an lange Bildtraditionen an.
Noch im Mai dieses Jahres hat Hans Danuser seinen Nachlass geregelt und sein fotografisches Archiv der Fotostiftung Schweiz in Winterthur vermacht. Neben seinen mobilen Werken in den öffentlichen Sammlungen wie dem Aargauer Kunsthaus Aarau, dem Kunstmuseum Bern, dem Bündner Kunstmuseum, dem Metropolitan Museum in New York, dem Fotomuseum Winterthur oder dem Kunsthaus Zürich ist auf seine permanenten, installativen Arbeiten im öffentlichen Raum hinzuweisen – etwa auf die «Institutsbilder» (1990–1993) in der Universität Zürich Irchel, auf den Lichthof des Peter-Merian-Hauses in Basel (1999), auf das Gesamtkonzept «Zeichen und Erosion» für die Psychiatrische Klinik Beverin in Cazis (2001). Beim Werkzyklus «Entscheidungsfindung – Decision taking» manifestieren sich einmal mehr die transdisziplinären Interessen des Künstlers.
Vermeintliche Trivialität
Bei den Kunst-in-Architektur-Projekten «Piff Paff Puff» (2010–2011) im Prime Tower in Zürich und «Akka Bakka» (2013) in der Gesundheitsdirektion Kanton Zürich verwendet Danuser das Element der Schrift, das heisst kindliche Auszählreime, bei denen sich die vermeintlich kindliche Trivialität als tiefgründiges, vielschichtiges Phänomen entpuppt. Berührt werden dabei volkskundliche Aspekte ebenso wie der Fluss der Sprache, die dem Abstraktum eine akustisch-phonetische Facette hinzufügen – jedenfalls sind es simple Entscheidungshilfen, die gleichzeitig ebenso für komplexe, wissenschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Entscheidungsprozesse ihre Gültigkeit haben. Schliesslich realisierte Danuser die Arbeit «GOLD – Material und Fiktion» (2015–2019), sechs blattvergoldete Rohgold-Wand-Vliese für die Schweizerischen Nationalbank in Bern.