Kämpfer der AQAP (al-Qaeda auf der Arabischen Halbinsel) begannen am Samstagabend in einigen der zentralen Teilen von Aden zu patrouillieren. Manche der Patrouillen zeigten nach dem Vorbild des „Islamischen Staats“ (IS) die Schwarze Flagge. Die Bewohner von Tawahi, dem wichtigsten Wohnviertel der Hafenstadt, aber auch solche in Crater, der zentralen Altstadt, sowie Gewährsleute in Dar Saad, einer Vorstadt nördlich von Aden, erklärten übereinstimmend, die AQAP-Kämpfer beherrschten ihre Quartiere. Dies berichten die Nachrichtenagenturen AP und Reuters.
Am vergangenen Donnerstag war eine Bombe vor dem Hauptsicherheitsgebäude in Aden explodiert. Dort hatte der neue Gouverneur der Stadt und der Provinz, Nayef al-Bakri, seinen provisorischen Sitz aufgeschlagen. In dem Gebäude waren auch die Sicherheitsdienste von Aden untergebracht. Vier Personen verloren ihr Leben. Al-Bakri war von dem jetzt im Exil lebenden Präsident al-Hadi eingesetzt worden, nachdem die pro-Hadi-Kräfte im vergangenen Monat die Kontrolle über die Hafenstadt wiedererlangt hatten. Al-Bakri kam bei dem Anschlag unverletzt davon. Doch das Gebäude wurde zerstört. Zwei Tage später hatte AQAP die Verantwortung für das Attentat übernommen.
Al-Qaeda gegen die Huthis
Ein Armeelager nahe dem Vorort Dar Saad, das die Pro-Hadi-Kräfte erst kürzlich eingenommen hatten, soll jetzt ebenfalls von AQAP kontrolliert werden. Die Terrorgruppe bilde dort 200 Kämpfer aus, heisst es. AQAP-Patrouillen wurden auch in Ortschaften ausserhalb Adens gesichtet, so in Breiqa, Khoda und der Hauptstadt der Lahej-Provinz, Houtha.
Der überraschende Erfolg von AQAP ist aus zwei Gründen gelungen: Während der Kämpfe zwischen den sudjemenitischen Pro-Hadi-Kämpfer und den Huthis und ihren Verbündeten stand Al-Qaeda auf der Seite der Pro-Hadi-Kräfte. Für Al-Qaeda gehören die Huthis zu ihren Hauptfeinden. Nach Ansicht eines Beobachters betrachtet Al-Qaeda den Satan als allergrössten Feind. Es folgen dann, in dieser Reihenfolge, die Amerikaner, die Engländer und dann die Huthis.
Schläferzellen
Die AQAP-Leute hatten im Kampf gegen die Huthis den Pro-Hadi-Kämpfern oftmals mit schweren Waffen und auch mit Geld ausgeholfen. Sie hätten zwar meist in getrennten Einheiten gegen die Huthis gekämpft, sagt ein Vertrauter, "doch auf dem Schlachtfeld begegneten wir uns".
Der Feldkommandant von AQAP, ein gewisser Jalal Baleedi, erklärte in der östlichen Hafenstadt Mukallah: "Wir haben Mukallah in ein Zentrum verwandelt, wo im Kampf gegen die Huthis Waffen, Munition und Geld angehäuft wird." Mukallah befindet sich seit Anfang April unter der Kontrolle von AQAP. Während des gemeinsamen Kampfes mit den Anti-Huthi-Milizen hat AQAP offenbar Schläferzellen in Aden gebildet und Sympathisanten angeworben, die nun aktiv werden.
Sicherheitsvakuum
Der zweite Grund für diesen plötzlichen Erfolg dürfte darin liegen, dass die Pro-Hadi-Kräfte und ihre neuen Hilfstruppen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und möglicherweise aus Saudi-Arabien von Aden aus rasch nach Norden vorstiessen. Sie kämpfen nun um Taiz, die zweitgrösste Stadt Jemens. Dabei scheint ein "Sicherheitsvakuum" in Aden entstanden zu sein.
Riad ist sich offenbar dessen noch nicht voll bewusst, was im Rücken seiner Truppen und Verbündeten geschehen ist. Jedenfalls erklärte der Verkehrsminister al-Hadis, der sich in Saudi-Arabien aufhält, Aden und sein Hafen seien sicher und funktionsfähig. Was schwerlich zutreffen dürfte. Aus Aden selbst wird bereits gemeldet, ein Patrouillenboot der Regierung (d.h der al-Hadi-Kräfte) sei von den AQAP-Leuten im Hafen beschossen worden. Auch dort werde die Fahne von AQAP gezeigt.
Vor der zweiten Schlacht um Aden
Ob es den Pro-Hadi-Kräften gelingen wird, die AQAP-Kämpfer aus der Hafenstadt zu vertreiben, bleibt abzuwarten. Möglicherweise steht nun eine zweite Schlacht um Aden bevor, und dies nur einen Monat nachdem die erste, zwischen den Huthis und ihren Feinden, mit einem Rückzug der Huthis zu Ende gegangen war. AQAP geht in Jemen so vor, wie der "Islamische Staat" in Syrien und im Irak vorgegangen ist: Zuerst versucht man, Vertrauen bei der Bevölkerung zu gewinnen, gleichzeitig bildet man Schläferzellen - und plötzlich zeigt man seine Macht auf der Strasse.
Gleichzeitig versucht auch der „Islamische Staat“, der Rivale von AQAP in Jemen Fuss zu fassen und Einfluss zu gewinnen.
Al-Qaeda und IS in die Hände gespielt
Was die Amerikaner und die Saudis angeht, so zeigt die geschilderte Entwicklung einmal mehr, was man schon lange weiss und oft wiederholt hat: Aus der Luft allein lässt sich ein Land nicht beherrschen. Die Amerikaner betonen zwar, dass sie mit ihren Drohnenangriffen der AQAP schweren Schaden beifügten. So soll im April einer der Chefs der AQAP von einer Drohne getötet worden sein. Dies hinderte Al-Qaeda jedoch nicht, ihre Macht und ihren Einfluss auszubauen. Und die Saudis fahren fort, dass Land weiterhin flächendeckend zu bombardieren. So wird ganz Jemen in ein Elendsquartier verwandelt.
Nach dem viermonatigen Luftkrieg der Saudis sehe Jemen so aus wie Syrien nach vier Jahren Bürgerkrieg, sagte Peter Maurer, der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), nach seinem Besuch in Jemen. Dies gereicht Al-Qaeda und dem „Islamische Staat“ zum Vorteil.