Soll man einem Despoten, einem Wahlbetrüger, den roten Teppich auslegen, um das fehlende russische Öl zu ersetzen?
Der diktatorisch regierende venezolanische Präsident Nicolás Maduro sitzt (noch) fest im Sattel – dies trotz der harten Wirtschaftssanktionen, die der Westen vor vier Jahren gegenüber Venezuela verhängt hatte. Die USA und die EU werfen ihm Wahlfälschung und schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Er löste das Parlament auf und regiert mit einem Schattenparlament. Ferner soll er mit Drogenkartellen zusammenarbeiten. Präsident Trump hatte versucht, das Maduro-Regime zu stürzen – vergebens.
Das Land befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise. Es fehlt an Devisen, Ersatzteilen, Lebensmitteln und medizinischer Versorgung. Die Löhne der Staatsbeamten kann Maduro kaum noch bezahlen. Sieben Millionen Venezolaner und Venezolanerinnen haben das Land verlassen. Das ist ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Gestützt wird der Präsident von seinen Generälen, die er mit üppigen Privilegien bei der Stange hält.
Ursache für das Chaos sind sowohl die internationalen Sanktionen als auch die «bolivarische» Planwirtschaft.
Venezuela verfügt über die weltweit grössten Ölvorkommen. Um das Land in die Knie zu zwingen, kaufte der Westen kein Öl mehr in Venezuela. Die Fördermenge beträgt heute im Vergleich zu früher noch einen Sechstel.
Soll nun der Westen – angesichts der weltweiten Energieknappheit – zu Kreuze kriechen und wieder venezolanisches Öl kaufen? Dies würde faktisch eine Rehabilitierung Maduros bedeuten.
Die einen sagen: Was kümmert uns ein dahergelaufener Gewaltherrscher im fernen Venezuela? Wichtig ist, dass die Weltwirtschaft funktioniert, und dafür braucht es Öl – woher dieses auch kommen mag. Also: Sanktionieren wir Maduro nicht weiter, rehabilitieren wir ihn, auch wenn er ein Diktator ist: Kaufen wir sein Öl! Denn: Wenn die Weltwirtschaft nicht mehr funktioniert, werden Millionen Menschen in Armut versinken.
Doch: Würden die USA und die EU mit einer solchen Kehrtwendung nicht jede moralische Glaubwürdigkeit verlieren? Da predigt man das hohe Lied von Demokratie, Menschenrechten und «westlichen Werten». Und diese wirft man dann über Bord, nur um das hochwertige venezolanische Öl zu bekommen? Spielt bei weltweiter Energieknappheit die Moral plötzlich keine Rolle mehr?
Schon haben die energiehungrigen USA ihre Fühler nach Caracas ausgestreckt und sind Maduro einen kleinen Schritt entgegengekommen. Das US-Finanzministerium erlaubte dem amerikanischen Ölkonzern Chevron die Wiederaufnahme der Ölgewinnung in Venezuela – allerdings in sehr geringem Ausmass. Dies, nachdem sich – auf norwegische Initiative hin – die venezolanische Opposition und das Maduro-Regime offenbar etwas angenähert haben.
Ist damit Bewegung in die festgefahrene Krise gekommen? Vorsicht ist angezeigt.
Schon aus innenpolitischen Gründen kann sich Joe Biden nicht erlauben, Maduro ohne erhebliche Gegenleistung zu rehabilitieren und die Sanktionen im grossen Stil aufzuheben.
Und diese Gegenleistung ist klar formuliert. Die USA verlangen vom venezolanischen Präsidenten, dass er freie, international überprüfte Wahlen ansetzt.
Doch Maduro wird das nur tun, wenn er sicher ist, dass er solche Wahlen gewinnen wird. Die Meinungen gehen auseinander, wie viel Unterstützung er in der Bevölkerung hat. Vor vier Jahren forderten 80 Prozent der Befragten eine Absetzung des Präsidenten. Anderseits könnte Maduro auf einen Sieg hoffen, weil die Medien vom Regime kontrolliert werden. Die Opposition ist zudem völlig zerstritten und würde bei Wahlen vermutlich mit mehr als einem Dutzend Kandidaten ins Rennen steigen – was die oppositionellen Stimmen zersplittern würde.
Der Westen hofft noch immer, dass Maduro angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage in seinem Land zu tiefgreifenden Konzessionen bereit sein wird. Auch deshalb, weil ihm der Ukraine-Krieg zusätzlich schwer schadet. Russland war für Venezuela nach den verhängten westlichen Sanktionen zu einem wichtigen Umschlagplatz geworden. Das russische Bankensystem erlaubte es Maduro, an Devisen heranzukommen und die amerikanischen Sanktionen zu umgehen und weiterhin Öl zu exportieren. Der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Finanzsystem brachte deshalb auch Maduro riesige Probleme.
Und dennoch: Verzichtet ein Diktator vom Kaliber eines Maduro auf seine Macht? Nur wenige glauben das. Lässt er nicht lieber sein Volk weiter hungern, als dass er seine Herrschaft aufs Spiel setzt?
Zur Zeit glaubt er offenbar noch immer, alles überstehen zu können. Er krallt sich an der Hoffnung fest, dass der Westen sein Öl brauchen wird.
Hoffnung hat er auch, weil er heute weniger isoliert ist als noch vor kurzem. Lateinamerika wird wieder vorwiegend von linksgerichteten Präsidenten regiert, die zumindest eine leichte Sympathie für ihn hegen – oder besser: eine latente Antipathie gegen die «Gringos». Selbst im Nachbarland Kolumbien regiert jetzt ein Linker, ein Ex-Guerillero, der bereits freundschaftlich auf Maduro zugegangen ist. Jetzt hat auch der wiedergewählte linke brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva angekündigt, dass die brasilianische Botschaft in Caracas wieder eröffnet werde.
Offiziell sind die Positionen nach wie vor festgefahren: Der Westen pocht auf freie Wahlen, Maduro verlangt eine Aufhebung der Sanktionen. Schleichen sich die beiden Parteien an einen Salamitaktik-Kompromiss heran: Maduro gibt nach und nach ein klein wenig von seiner Macht ab und der Westen würde nach und nach die Sanktionen ein klein wenig aufheben? Man würde das dann «Realpolitik» nennen.
Doch selbst wenn sich der Westen und Maduro annäherten: Das venezolanische Öl wird nicht so schnell das russische Öl ersetzen. Die venezolanischen Förderanlagen sind völlig verrottet. Zu ihrer Sanierung wären Milliarden nötig.